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«Meine Position ist unkündbar»

Wie frei ist eigentlich eine Familienunternehmerin? Sie entscheidet unabhängig. Sie denkt langfristig. Und sie kann sagen, was sie will. Aber sie kann nicht kündigen. Ein Gespräch mit Franziska Tschudi, die ihr Unternehmen in vierter Generation leitet.

«Meine Position ist unkündbar»
Franziska Tschudi, photographiert von Suzanne Schwiertz.

Frau Tschudi, Sie sind CEO einer Firma mit über 3500 Angestellten. Sind Sie eine «Patronne»?

Das wäre ich gerne! «Patron» bezeichnet für mich einen Unternehmer, der auf der einen Seite für die Zufriedenheit von Kunden und Stakeholdern sorgt, auf der andern Seite aber auch zu seinen Angestellten schaut. Die Patronne wäre also quasi eine «Gluggere», die vielleicht etwas streng ist, sich aber vor ihre Leute stellt und sie wissen lässt, dass sie ihnen Sorge trägt.

Eigentlich ist das bemerkenswert: Noch vor einigen Jahren war der Ausdruck verpönt, klang nach Bevormundung und wäre kaum jemandem leicht über die Lippen gekommen. Nun aber, da der «Manager» in Verruf geraten ist, scheint der Patron wieder salonfähig.

Ich habe Mühe mit diesen Schubladisierungen – hier der Patron oder Unternehmer, dort der Manager. Diese Unterscheidung hat keine Basis in der Realität: Ein Manager macht letztlich dasselbe wie ein Patron.

Nämlich?

Was im Wort «managen» im Grunde steckt: Dinge «fertigzubringen», zu «regeln» und zu «bewirtschaften» – und vor allem Menschen zu führen. Natürlich haben sich einige Manager in der Vergangenheit übermässig viel bezahlen lassen, was freilich auch den bezahlenden Unternehmen anzulasten wäre, die dies zuliessen. Dass deshalb die ganze Berufsgruppe in Verruf gerät, ist komplett unsinnig. Erstens handelt es sich um Einzelfälle, und zweitens ist exzessives Macht- und Geldstreben nichts Neues: In unserer Firma zum Beispiel hat es das schon vor 100 Jahren gegeben.

Nur hat man solches Gebaren damals nicht breit öffentlich verhandelt.

Nein, wahrscheinlich auch darum nicht, weil damals andere Transparenzvorstellungen herrschten. Unser Unternehmen ist nach dem Tod des Gründers Heinrich Weidmann durch die Masslosigkeit zweier Herren «Direktoren» wirklich fast in den Ruin getrieben worden.

Das stärkt doch eigentlich eine mittlerweile populäre Sichtweise: Es gibt leitende Angestellte, die falsche Entscheide fällen, davon gar noch profitieren – und den Preis bezahlen dann andere, «normale» Angestellte, die bei Restrukturierungen ihren Job verlieren.

Diese Optik ist mir zu kurzsichtig. Sie blendet erstens aus, dass Manager nicht in ihren Kämmerchen isoliert vom Rest der Firma Entscheidungen treffen, die dann alles in den Abgrund reissen. Auch der klügste Mensch kann nicht alles richtig entscheiden, jede Dynamik vorwegnehmen, auf jeden Input adäquat reagieren. Und zweitens geht in dieser Sichtweise die Verhältnismässigkeit verloren: Den wenigen, die negativ von sich reden machen, steht eine riesige Zahl von fähigen, anständigen Managern gegenüber, die ihren Job hervorragend erledigen und wesentlich dazu beitragen, das Unternehmen weiterzubringen.

Nachdem Sie nun gewissermassen eine Lanze fürs Managertum gebrochen haben, entgegne ich: Ein fundamentaler Unterschied zwischen Unternehmern und Managern besteht darin, dass der eine mit Leib, Seele und Geld ins Geschäft investiert ist, während der andere letztlich Lohnarbeit verrichtet und im Härtefall nur seinen Job, nicht aber seine gesamte Existenz verliert.

Das mag in der Theorie so sein, die Praxis lässt da aber sehr viel mehr Grautöne zu. Bei uns beispielsweise gibt es viele Manager, die mit Leib und Seele für «Weidmann» arbeiten und sich für das Wohl «ihres» Unternehmens voll einsetzen. Für mich selbst hingegen stimmt die Definition: Der Unternehmer ist auf Gedeih und Verderb mit dem Unternehmen verbunden, finanziell wie auch existenziell.

Führt diese Verschmelzung von Firma und Leben eher zu Verschleiss oder zu erhöhter Kreativität?

Die Möglichkeit, zusammen mit anderen etwas zu schaffen, zu gestalten, etwas weiterzubringen, Lösungen zu finden – das ist grossartig. Jeden Tag zu wissen, wofür ich meine Energie und Zeit einsetze – das beflügelt mich. Und trotzdem gibt es immer wieder zähe Phasen, Entscheidungsprozesse, ein Ringen um die beste Lösung, was alles sehr viel Kraft und Energie kostet – auch weil man als Letztverantwortliche den Entscheid allein trifft.

Das entspricht dem Bild, das sich viele vom Unternehmer machen: dass er auf der Kommandobrücke steht und das Schiff souverän und wohlüberlegt in eine gute Richtung lenkt. Erkennen Sie sich darin wieder?

Manchmal steht man wirklich auf der Kommandobrücke, und das Schiff schwimmt in angenehmem Tempo durch ruhige Gewässer, und man hat das Gefühl, man wisse, wo man hinfährt. Oft aber ist das Wetter nicht gut, ein Sturm braut sich zusammen, der Wind bläst in die falsche Richtung, man hat zu viel Wellen, zu wenig Treibstoff, der Kompass fällt aus. Irgendetwas Unerwartetes passiert immer. In einem Unternehmen hat man den Markt, die Kunden, alle möglichen Ressourcengeber, Mitarbeiter, Stakeholder – unzählige Gruppen, die allesamt eine Eigendynamik haben. Von überall her wirken Kräfte auf einen ein, und da wird die Steuerung zuweilen anspruchsvoll. Aber am Ende entscheide ich aus freien Stücken. Und übernehme für den Entscheid auch die Verantwortung.

Sie können sich nicht aus dem Staub machen.

Ich würde es anders sagen: Meine Position ist letztlich unkündbar.

Wie wichtig ist es Ihnen denn, die Geschichte des Familienunternehmens fortzuschreiben?

Es geht um eine Verbundenheit, die ich empfinde, um eine Ehre auch, der ich gerecht werden will – immerhin hat man mich für fähig erachtet, die Aufgabe zu übernehmen. Wenn ich nun aber dauernd nur von Pflicht und Verantwortung spreche, hat das einen zu negativen Klang. Denn am Anfang und Ende des Tages freue ich mich einfach nur über meine Berufung.

Und daneben – was macht das Leben aus?

Unverzichtbar sind Familie, Freunde und stabile, enge menschliche Beziehungen. Ohne sie könnte ich nicht leben. Sehr wohl aber ohne Luxus. Natürlich geniesse ich es, in ein schönes Hotel oder ein gutes Restaurant zu gehen. Ich brauche das aber nicht und bin auch mit Brot und Käse in der SAC-Hütte glücklich. Ich bin sehr froh, dass ich so ticke, denn das ist meine Freiheit.

Freiheit heisst für Sie verzichten können?

Ja, das würde ich so unterschreiben. Dazu kommt natürlich noch die Gesundheit als wichtige Komponente. Und vor allem und zentral für mein Freiheitsgefühl: Ich kann denken und sagen, was ich will. Als Unternehmerin kann ich das, als angestellte Managerin ginge das nicht ohne weiteres.

Die Wicor Holding ist ein weltweit tätiges Unternehmen – was bedeutet diese globale Orientierung für Sie? Sind Sie ständig auf Reisen, um die Entwicklungen in anderen Ländern zu beobachten und zu beeinflussen, oder versuchen Sie, von Rapperswil aus die Welt zu verstehen?

Ich bin zwar viel und gerne unterwegs – und gedanklich oder per Telephon und E-Mail eigentlich dauernd. In der Regel bin ich aber physisch dort, wo es am meisten Probleme zu lösen gibt, und das ist zurzeit die Schweiz.

Unser Industriestandort ist unter Druck. Was setzt ihm am stärksten zu?

Die hohen Kosten. Zwar ist das weitere Erstarken des Frankens durch die vernünftige Politik der Nationalbank begrenzt worden; Tatsache ist aber, dass wir mit unserer starken Währung und den generell hohen Kosten gegen ausländische Mitbewerber schlecht dastehen. Ein Unternehmen, das die Overhead-Kosten, also Verkauf, Entwicklung und Adminis-tration, im Euroraum hat, hat uns gegenüber von Beginn weg einen immensen Vorteil.

Der Laie antwortet darauf: Diese Situation zwingt uns, High Quality und High Tech zu liefern, neue Dinge zu erdenken und in einer Qualität zu produzieren, die die Konkurrenz nicht bieten kann – dann können wir trotzdem verkaufen. Stimmt das denn nicht?

Wenn die Konkurrenz das mal nicht könnte! Natürlich entwickeln wir dauernd neue Produkte und Verfahren und verbessern unsere Prozesse, aber unsere Konkurrenten, etwa in Deutschland, tun das ja auch! Oder denken Sie nur an China. Auf dem Riesenmarkt gibt es viele geschickte Unternehmer mit vielen sehr gut ausgebildeten Leuten, die zu einer namhaften Konkurrenz anwachsen. Diese Entwicklungen muss man einfach sehen und bedenken, vor allem wenn man unsere durch das Frankenhoch ungünstige Stellung durch zunehmende Auflagen und Regulierungen noch weiter erschwert re-spektive verteuert.

Muss man davon ausgehen, dass die meisten unserer Firmen in zehn Jahren hier nur noch eine Verwaltungszentrale haben und die Produktionsstandorte anderswo sind?

Man könnte auch noch härter fragen: Vermögen es die meisten exportorientierten Unternehmen in zehn Jahren überhaupt noch, die Administration in der Schweiz zu halten?

Wie lautet Ihre Prognose?

Naja, ich beobachte einfach, dass es heute schon Schweizer Unternehmen gibt, die hier so gut wie gar keine Leute mehr haben und diesen Schritt also bereits vollzogen haben. Andere verlagern in kleinen Schritten, zuerst die nichtautomatisierte Produktion, dann Teile der Entwicklung oder die IT…

Die Bevölkerung scheint diese Entwicklung noch nicht bemerkt zu haben: Firmen wie die Ihre werden weiterhin als Milchkühe gesehen, die gemolken und mit Steuern belegt werden können. Worauf führen Sie dies zurück?

Auf ein Informationsdefizit. Wenn wir in den Medien etwas über die «Entwicklung der Schweizer Wirtschaft» hören oder lesen, wissen wir ja nicht, wie es um die einzelnen Wirtschaftszweige – Maschinenindustrie, Luxusgüterindustrie, Banken, Tourismus, Baugewerbe – steht. Und selbst wenn über die Branchen berichtet wird – wer weiss schon, wie das einzelne Unternehmen aufgestellt ist? Durchschnittswerte sind hier nur bedingt aussagekräftig. Ein weiterer Punkt kommt hinzu. Wir Schweizer haben die Wahrnehmung, dass wir überdurchschnittlich gut sind und über die besten Rahmenbedingungen verfügen…

…was ja zum Teil auch stimmt…

…wir haben eine ausserordentlich gute Bildungslandschaft, eine funktionierende Sozialpartnerschaft, eine hohe Lebensqualität, keine Frage. Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen! Die ausländische Konkurrenz ist oft agiler als wir und bringt zweckdienliche und günstige Produkte auf einen Markt, der schon längst die ganze Welt umspannt. So gut, wie wir rausgehen in die Welt, kommt die Welt auch rein zu uns, sprich: Wir müssen gegen die Weltkonkurrenz antreten.

Was raten Sie den Patrons, was können Sie und andere Unternehmerinnen tun, um eine unternehmerfreundlichere Stimmung zu schaffen im Land?

Ich gebe ungern Ratschläge, habe aber für mich selber zum Credo gemacht, mehr zu kommunizieren, zu sagen und zu schreiben, was ich wirklich denke. Vielleicht hilft es, wenn wir Unternehmer uns sichtbarer und nahbarer machen. Dass wir unsere Lage, Aussichten, Probleme, Aktivitäten so darstellen, wie sie sind, und damit Neugierde, Respekt und Verständnis wecken.

Haben Sie sich schon Gedanken über Ihre Nachfolge gemacht?

Abgesehen von einem Notfallszenario nicht wirklich. Mein Bruder Daniel, ebenfalls in der Geschäftsleitung, hat einen Sohn, der ist jetzt 13.

Ich sehe schon: Sie müssen als Patronne noch etwas durchhalten.

Und Überzeugungsarbeit leisten. Der junge Mann will Fussballprofi werden. Aber wir haben ja noch Zeit. Denn meine Arbeit hält mich jung und erfüllt mich.

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Stefan und Christian Ganzoni, photographiert von Giorgio von Arb.
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