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Meine ersten Schweizer Wörter waren Nestlé, Novartis und Holcim

Noch bevor ich wusste, wo die Schweiz war, kannte ich ihre Marken. Sie standen für Qualität, Gesundheit und Wohlstand. Werte, die sich Jahrzehnte später in meinem Aktienportfolio widerspiegeln.

Meine ersten Schweizer Wörter waren Nestlé, Novartis und Holcim
Weckt bei unserem Kolumnisten Heimatgefühle: Der Kinderbrei Cerelac von Nestlé.

Der französische Schriftsteller Marcel Proust brauchte nur einen in Tee getauchten Madeleine-Keks, um die ganze Welt seiner Kindheit zum Leben zu erwecken. Bei mir sind es drei Schweizer Logos, die eine ähnliche Zeitreise auslösen – zurück in das Labyrinth meiner marokkanischen Kindheit, als ich noch nichts von der Schweiz wusste, aber bereits ihre industriellen Botschafter kannte.

Da war zunächst der weiss-blaue Cerelac-Karton von Nestlé (ein Milch- und Getreidebrei für Kleinkinder), der bei uns zu Hause gesunde Ernährung versprach. Ich war längst zu alt dafür, aber heimlich kostete ich immer noch davon. Auch sechs Jahre Altersunterschied zwischen mir und meiner kleinen Schwester hielten mich nicht davon ab, auf sie und ihr Privileg, diesen cremigen Brei zu essen, neidisch zu sein.

Aber da war auch Nido – die grossen gelben Dosen mit der Pulvermilch, die in einer Welt ohne Kühlschränke und in Dörfern ohne Elektrizität zur Rettung wurden. In den 1990er-Jahren war Nido allgegenwärtig, ein Schweizer Produkt, das die arabische Welt erobert hatte, obwohl die wenigsten wussten, woher es stammte.

Letzte Woche sah ich auf Instagram ein Video eines arabischen Supermarktbesitzers in Zürich, der auf Arabisch und stolz verkündete: «Wir haben auch Nido!» Für Millionen von Arabern ist Nido die Proust’sche Madeleine – ein Geschmack mit dem süsslichen Geruch der Kindheit.

Da waren auch die Medikamentenschachteln meines Grossvaters. Fast alle trugen das Novartis-Logo, natürlich auf Arabisch geschrieben. In einer Welt, wo Krankheit oft den Tod bedeutet, sind diese Schachteln Symbole der Hoffnung und der Heilung geworden. Medikamente zu besitzen war Luxus – wer sie hatte, konnte wieder gesund werden.

«Für Millionen von Arabern ist Nido die Proust’sche Madeleine – ein Geschmack mit dem süsslichen Geruch der Kindheit.»

Und schliesslich waren da die 50-Kilogramm-Zementsäcke von Holcim, die ich gemeinsam mit meinem Vater die Treppen hinaufschleppte für kleinere und grössere Heimwerkerarbeiten. Doch Holcim war mehr als «bricolage» – es war ein Symbol des sozialen Aufstiegs. Wenn die Nachbarn mehrere Säcke vor ihrer Haustür deponierten, hiess das: Sie werden ein weiteres Stockwerk hinzubauen. Und das wiederum bedeutete, dass es ihnen finanziell gut ging. Zement war ein Zeichen von Wohlstand, jeder Sack ein Versprechen auf eine bessere Zukunft.

In Erinnerungen zu investieren

Jahrzehnte später, als ich in die Schweiz kam und begann, mich für Geldanlagen zu interessieren, geschah etwas Faszinierendes: Meine ersten Aktienkäufe basierten nicht auf rationalen, sondern auf rein emotional motivierten Entscheidungen. Nestlé, Novartis, Holcim – ich investierte nicht in Unternehmen, sondern in Erinnerungen. Es war, als würden sich die Puzzleteile meiner Biografie endlich zusammenfügen.

Beim Kauf der ersten Nestlé-Aktie überkamen mich Wellen der Nostalgie. Ich dachte an die kleinen Hände meiner Schwester, die den Cerelac-Löffel hielten, an meine eigenen heimlichen Kostproben, an die gelben Nido-Dosen in der Küche meiner Mutter. Wie vielen Cerelac-Kartons entsprach der Wert einer einzigen Aktie? Wie viele Nido-Dosen hatte meine Familie über die Jahre gekauft, ohne zu ahnen, dass wir damit zu den Dividenden der Aktionäre des Schweizer Lebensmittelmultis beitrugen?

Marcel Proust brauchte nur eine Madeleine für seine Zeitreise – ich habe ein ganzes Depot voller Erinnerungen. Das ist unbezahlbar. Auch wenn die Börse das anders sieht. Meine Rendite ist immateriell – ein Kapital aus Nostalgie und der Gewissheit, dass immerhin das Finanzportal meiner Wahl mich in meiner Haltung bestätigt: HOLD.

«Ich investierte nicht in Unternehmen, sondern in Erinnerungen. Es war, als würden sich die Puzzleteile meiner Biografie endlich zusammenfügen.»

Vielleicht ist das der Fluch des nostalgischen Anlegers: Wir kaufen nicht nur Aktien, wir kaufen Geschichten. Wir investieren in das, was wir waren, nicht unbedingt in das, was die Unternehmen werden könnten. Mein Portfolio ist eine autobiografische Sammlung, ein Museum meiner eigenen Vergangenheit.

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