Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos
Mein Bruder, mein Held
Daniel Niklaus und sein Bruder Matthias Niklaus, zvg.

Mein Bruder, mein Held

Matthias schafft Dinge, die selbstverständlich scheinen und doch bewundernswert sind. Er hat mich gelehrt, dass nicht grosse Erfolge zählen, sondern der Weg dorthin. Zeit, Danke zu sagen.

Leistung wird in unserer Gesellschaft oft anhand von Rekorden gemessen. An Zahlen, die uns beeindrucken, oder an Erfolgen, die mit Applaus bedacht werden. Doch was ist mit den stillen Leistungen, die keinen Applaus bekommen, obwohl sie ihn so sehr verdienten?

Mein Bruder Matthias hat eine Behinderung. Was für andere selbstverständlich ist, stellt für ihn oft eine grosse Herausforderung dar. Und doch wächst er daran. Jahrelang hiess es, er werde nie alleine Zug fahren können. Heute reist er selbstständig in der Ostschweiz herum. Er hat dafür keine Auszeichnung bekommen, keine Schlagzeile. Aber für mich ist das eine Heldentat.

Das gilt auch für seine Kunst. Matthias hat seinen ganz eigenen Stil entwickelt – mit Disziplin, Ausdauer und unglaublich viel Zeit macht er für mich die schönsten Zeichnungen und Comics. So gut, dass er schon mehrere lokale Ausstellungen hatte.

Zeichnung von Matthias Niklaus.

Für manche mag das «normal» sein. Für mich ist es bewundernswert. Und ich frage mich: Wie oft übersehen wir die grossen Leistungen derer, die das Beste aus ihren Möglichkeiten machen?

«Wie oft übersehen wir die grossen Leistungen derer, die das Beste aus

ihren Möglichkeiten machen?»

Menschen mit einem Handicap haben die gleichen Wünsche wie wir alle. Aber sie setzen oft andere Prioritäten. Sie fragen nicht, was von ihnen erwartet wird, sondern sagen, was sie wirklich wollen. Das ist erfrischend. Ich bin Matthias dankbar, dass er ein Vorbild für mich ist, denn es ist so leicht, in der Erwachsenenwelt diesen «Gwunder» und diese kindliche Ehrlichkeit zu verlieren.

Matthias bringt mich oft zum Lachen – vor allem, wenn er mich abends ungläubig anschaut, wenn ich nach dem Abendessen wieder ins Büro gehe. «Du musst doch nicht so viel arbeiten», sagt er dann kopfschüttelnd. Und wissen Sie was? Er hat recht.

Als sein Beistand habe ich grossen Einfluss auf Matthias’ äusseres Leben – wo er arbeitet, wo er wohnt, über seine Finanzen. Aber seine Persönlichkeit? Die ist stärker als mein Einfluss. Umgekehrt ist es anders. Matthias hat mich geprägt, mehr als jeder andere Mensch. Seine Sicht auf die Welt hat mir gezeigt, was wirklich zählt: nicht die Rekorde, sondern der Weg dorthin.

Deshalb möchte ich heute Danke sagen. Meinem Bruder, meinem Helden. Und Ihnen, die Sie mir in diesem Jahr Ihre Zeit für diese Kolumne geschenkt haben.

Ich höre jetzt auf meinen Bruder, mache mir eine Abendstunde weniger Arbeit – und verabschiede mich als regelmässiger Kolumnist des Schweizer Monats. Ich wünsche Ihnen frohe Festtage, geniessen Sie die Zeit mit Ihren Liebsten. Und denken Sie daran: Wenn die Welt verrücktspielt, heisst das nicht, dass Sie mitspielen müssen.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!