Mehr Markt für
unsere Gesundheit
Die Coronakrise zeigt: Planwirtschaftliche Inputsteuerung funktioniert auch im Gesundheitswesen nicht. Statt einzelner Leistungen sollten wir künftig Therapieerfolge vergüten – und endlich für einen Qualitätswettbewerb sorgen.
In der aktuellen Krise regiert der Bundesrat mit Notrecht. Die Bevölkerung gehorcht und ist mit Kritik zurückhaltend und dankbar, dass es nicht noch schlimmer ist. Die Linke sieht die Krise als Chance, die Macht des Staates nicht nur im Gesundheitswesen auszubauen. Wer aber die Krisenplanwirtschaft nüchtern betrachtet, sieht schon jetzt, dass Unternehmen mit den richtigen Anreizen rascher und differenzierter Veränderungen antizipieren oder darauf reagieren als staatliche Krisenstäbe.
Das bundesrätliche Krisenmanagement führte dazu, dass sich Spitäler und Praxen der Ärzte und Therapeuten leerten. Die stark ausgebauten Intensivstationen für Coronapatienten waren insgesamt nie ausgelastet, zugleich waren nichtdringende Untersuchungen und Behandlungen lange verboten. Viele Patienten meiden zudem immer noch medizinische Einrichtungen aus Angst, mit dem Coronavirus angesteckt zu werden.
Das Corona-Feldexperiment
Nun kann man einwenden, dass diese Fehlplanung die bessere Alternative sei als die Zustände in Norditalien. Der Bundesrat hat aus Vorsicht etwas übers Ziel hinausgeschossen und ein grosses Feldexperiment in Sachen medizinische Über- beziehungsweise Unterversorgung geschaffen. Es gibt zwei mögliche Ergebnisse:
a) Das Verbot für nicht dringliche Untersuchungen und Operationen und die Ansteckungsangst der Menschen führen zu einem Nachholbedarf und Kostenschub, weil die verschleppten Diagnosen und Behandlungen nachgeholt werden und viel teurer sein werden, als wenn die Menschen rechtzeitig zum Arzt oder ins Spital gegangen wären.
b) Das Verbot zeigt, wie viel unnötige Medizin vor dem Verbot konsumiert wurde. Und die Menschen machen in der Coronakrise gute Erfahrungen, wenn sie nicht mit jedem «Bobo» zum Arzt oder in den Spitalnotfall rennen.
Die Coronakrise zeigt, was durch die Verhaltenswissenschaften schon lange empirisch belegt ist: Komplexe Systeme entwickeln sich durch die richtigen Anreize viel besser entlang der sich verändernden Bedürfnisse und technischen Möglichkeiten als durch zentrale oder dezentrale staatliche Inputsteuerung. Der Markt ist nicht perfekt, funktioniert aber besser als staatliche Planwirtschaft. Kein vernünftiger Mensch verlangt Märkte ohne Spielregeln und ohne Schiedsrichter, die Regelverletzungen sanktionieren. Die immer umfangreicheren Revisionen des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) mit ihren vielen Geboten und Verboten werden die Schäden staatlicher Planwirtschaft nicht beheben. Anreize, die für ein Kräftegleichgewicht zwischen Anbietern und Konsumenten beziehungsweise Patienten sorgen, sowie schlanke Aufsichtsbehörden, die Anbieter aus dem Verkehr ziehen, welche wiederholt Regeln verletzen, sind wichtige Voraussetzungen für einen funktionierenden Gesundheitsmarkt.
Das Planwirtschaftslager besteht aus zwei Fraktionen. Die Fraktion mit dem Kostenröhrenblick will dem System Geld entziehen und glaubt, dass so die Effizienz wie durch ein Wunder besser wird und die Qualität womöglich auch noch. Für die Fraktion der Versorgungssicherheit und Rundumversorgung spielt Geld keine Rolle, weil man es bloss bei den Reichen holen muss. Noch mehr Geld und noch mehr Fachpersonal werden unsere Gesundheitswirtschaft aber nicht fit für die Zukunft machen, weil unsere Personaldichte, Tarife und Preise schon jetzt zur Weltspitze gehören. Die wirtschaftliche Not wird nicht einfach verschwinden, wenn wir das Coronavirus besiegt haben. Und diese Not wird uns erfinderisch machen, weil uns die Mittel fehlen werden, die Herausforderungen mit mehr vom Gleichen zu meistern.
Das Gesetz erlaubt mehr Markt
Bundesrat und Parlament müssen einsehen, dass noch mehr Planwirtschaft bloss die Bürokratie aufbläht und das gut ausgebildete medizinische Fachpersonal immer weniger Zeit für die Patienten hat, immer unzufriedener wird und andere Tätigkeiten sucht. Bundesrat Bersets Sparpakete mit dem Mikromanagement des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) und der kantonalen Gesundheitsdirektionen müssen gestoppt werden. Das Parlament muss vom Gesundheitsminister und vom BAG endlich den Vollzug der KVG-Kernelemente einfordern. Das KVG verlangt seit der Inkraftsetzung 1996 von den Krankenversicherern, dass diese nur wirksame, zweckmässige und wirtschaftliche Medizin (WZW) vergüten und dass die Qualität der Medizin transparenter wird.
Wirksame, zweckmässige und wirtschaftliche und keine überflüssige Medizin (WZW): Eine WZW-Gebrauchsanweisung für die Aufnahme neuer Medikamente und Therapien in den Leistungskatalog sowie für die Rechnungsprüfung der erbrachten Leistungen liegt immer noch in einer BAG-Schublade. Für die Zulassung neuer Medikamente und Therapien werden Health Technology Assessments durchgeführt. Wie bei der Zulassung durch Swissmedic müssen Schweizer Behörden nicht alles prüfen, was in anderen Ländern mit vergleichbaren Standards schon geprüft worden ist. Die Gebrauchsanweisung von WZW bei der Leistungserbringung könnten die Tarifpartner in den Tarifverträgen schlank und pragmatisch regeln. Die Ärzte würden sich verpflichten, die Patienten in 80 Prozent der Fälle nach den wissenschaftlich fundierten Guidelines ihrer jeweiligen Fachgesellschaft zu untersuchen und zu behandeln. In 20 Prozent der Fälle hätten sie Spielraum für Ausnahmen. Die Krankenversicherer würden Stichproben machen und müssten nicht mehr mit Ärzten kontrahieren, die diese Regeln wiederholt und ohne plausible Gründe verletzten. Auch Ärzte müssten mit Versicherern, die wiederholt und unbegründet Rechnungen beanstandeten, nicht mehr zusammenarbeiten.
Für erreichte Therapieziele bezahlen: Ebenfalls in den Tarifverträgen müssen die Vergütungsanreize richtig gesetzt werden. Die Tarifsysteme Tarmed für ambulante Leistungen der Arztpraxen und Spitäler und etwas weniger das Tarifsystem SwissDRG für stationäre Spitalleistungen belohnen Input statt Output und Outcome beziehungsweise Menge statt Qualität. Gerade teure und innovative Therapien sollten gemäss Therapieerfolg vergütet werden. Auch die individualisierte Medizin verlangt diesen Vergütungswechsel. Ärzte und Therapeuten müssten mit ihren Patienten messbare Behandlungsziele vereinbaren. Die Versicherer vergüteten einen Teil nach Menge und einen Teil nach Therapieerfolg. Den Therapieerfolg zu vergüten, ist anspruchsvoller als die Therapiemenge, da er auch von externen Faktoren beeinflusst werden kann, die weder der Therapeut noch der Patient direkt beeinflussen können. Das ist aber kein Argument gegen die Vergütung des Therapieerfolgs, sondern ein Argument dafür, die Erfolgsfaktoren genau zu definieren, welche Therapeuten und Patienten beeinflussen können. Verbindlich vereinbarte Therapieziele erhöhen das Commitment der medizinischen Leistungserbringer und Patienten.
Transparenz über die Qualität: Ebenfalls seit 1996 verlangt das KVG transparente Qualität, damit die freie Arztwahl der Versicherten kein Blindflug ist. Anstatt diese KVG-Bestimmung auf Verordnungsstufe zu konkretisieren, haben Bundesrat und Parlament mit neuen Paragrafen das Kompetenzdurcheinander zwischen Bund beziehungsweise Krankenversicherern und Kantonen beziehungsweise Kantonsärzten sowie das Durcheinander zwischen Qualitätssicherung und Qualitätstransparenz vergrössert. Die Kantone beziehungsweise Kantonsärzte gewähren den medizinischen Leistungserbringern die Zulassung und sind somit für die Qualitätssicherung sowie Patientensicherheit verantwortlich. Die Patientensicherheit gehört nicht ins KVG, weil Patienten sicher vor schädlicher Medizin sein müssen, egal wer die Leistungen bezahlt. Das KVG verlangt von den zugelassenen Leistungserbringern Transparenz über die Qualität, damit die Patienten unter den von den Kantonen zugelassenen und damit sicheren Leistungserbringern auswählen können. Patienten müssen sich also darauf verlassen können, dass Kantonsärzte Ärzte und andere medizinische Leistungserbringer aus dem Verkehr ziehen, die Patienten gefährden. Sie müssen sich auch darauf verlassen können, dass Krankenversicherer mit Leistungserbringern nicht kontrahieren müssen, welche die Qualität ihrer Leistungen nicht für Laien verständlich ausweisen. So entsteht ein Qualitätswettbewerb.
Versorgungssicherheit: Immer wenn die Versorgungssicherheit gefährdet ist, blüht das Geschäft der Protektionisten. Die Land- und Stromwirtschaft macht es vor. Auch die Gesundheitswirtschaft wird die Rechnung für Pflichtlager, mehr im Inland hergestellte Produkte und auch für die ambulante und stationäre medizinische Versorgung in Randregionen präsentieren. Aber machen wir uns in der globalisierten Welt nichts vor. Wir hatten am Anfang der Pandemie zu wenig Testkapazitäten, weil ein Teil des Testmaterials ausgerechnet aus Norditalien hätte geliefert werden sollen – nicht etwa aus China oder Indien wie viele Wirkstoffe in unseren Medikamenten. Da wir die nächste Krise nicht genau hervorsagen können, wissen wir auch noch nicht genau, welche Vorräte wir jetzt anlegen müssen. Und Vorräte für alle Eventualitäten kann sich auch die reiche Schweiz nicht leisten. Wir können es uns aber leisten, von den zuständigen Leistungserbringern und von der Industrie Garantien zu verlangen, uns auch in Krisenzeiten medizinisch zu versorgen. Wie viel Versorgungssicherheit wir uns leisten wollen und zu welchem Preis, ist eine politische Frage. Damit Versorgungssicherheit nicht zum Geschäftsmodell wird, müssen entsprechende Aufträge ausgeschrieben und an den öffentlichen oder privaten Anbieter mit dem jeweils besten Preis-Leistungs-Verhältnis vergeben werden.
Fehlgeplante Planwirtschaft
Auch wenn es in einer Krise kaum anders geht, zeigt das Coronanotrecht mit den leeren Arztpraxen und Spitälern, wie weit die staatliche Planwirtschaft an den sich rasch ändernden Bedürfnissen der Menschen vorbeiplant. Auch die unzähligen KVG-Revisionen haben die Planwirtschaft ausgebaut. Unser Gesundheitswesen braucht aber mehr Markt und eine Verlagerung der Finanzierung der medizinischen Leistungen von der Menge zum Behandlungserfolg. Wer für den Behandlungserfolg bezahlt wird, hat ein vitales Interesse, mit Patienten Erwartungshaltungen zu klären und Behandlungsziele zu vereinbaren, die auch erreicht werden. Genau das bringt Solidarität und Eigenverantwortung wieder ins Gleichgewicht.