Medienfreiheit nach Schweizer Art
Der Streit um Radio- und Fernsehkonzessionen ist entbrannt. In Bern wird entschieden, was wert ist, von den Konsumenten gehört und gesehen zu werden – und was nicht. Die Vergabe der Konzessionen trägt durchaus kabarettistische Züge.
Die bescheidene Zahl von 54 UKW-Radio- und Regionalfernseh-Konzessionen ist zu vergeben. Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation wird im Laufe des Sommers darüber befinden. Von den 72 Gesuchstellern werden einige zwangsläufig leer ausgehen, was die Frage nach den anzuwendenden Kriterien aufwirft. Neben dem «Kriterienwettbewerb» würden auch die Ergebnisse der jüngst abgeschlossenen öffentlichen Anhörung berücksichtigt, teilt das Amt mit. Eingegangen waren 129 Stellungnahmen von Kantonen, Gemeinden, Interessenorganisationen, Radio- und TV-Veranstaltern sowie Verbänden der Werbebranche.
Die rege Teilnahme erklärt sich leicht: es geht um wesentlich mehr Geld als bisher. Die regionalen Veranstalter erhalten zusammen je vier Prozent aus dem grossen Topf der Radio- bzw. Fernsehempfangsgebühren – rund 16 Millionen für Radio- und rund 28 Millionen für Fernsehveranstalter.
Ein Blick in die Stellungnahme der Kantone, die natürlich zur Medienlandschaft ihrer Herrschaftsbereiche etwas zu sagen haben möchten, zeigt fast kabarettreif auf, wieviel Willkür hier im Spiele ist. Aufgrund der Einteilung der Sendegebiete kommen sich die Kantone im übrigen gegenseitig in die Quere, dann etwa, wenn es für Zürich und die Nordostschweiz aus nicht ersichtlichen Gründen nur eine Regionalfernsehkonzession gibt. Da gerade die erfolgreicheren Stationen den grossen Medienhäusern gehören, entstehen auch pikante Differenzen zwischen Stadt und Land: der Kanton Zürich will im Gegensatz zur Stadt die grossen miteinander konkurrierenden Häuser nicht berücksichtigen. Anders präsentiert sich die Situation in kleineren Kantonen, wo die dominierenden Medienunternehmen im ganzen Sendegebiet auf politische Unterstützung zählen können. Bisher erbrachte Leistungen scheinen jedenfalls nicht im Vordergrund zu stehen. Ansonsten liesse sich kaum erklären, warum das Projekt des erfolgreichen Lokalradiopioniers Roger Schawinski, bloss dank Vorschusslorbeeren, allseits derart wohlwollend aufgenommen wird.
Fragt sich, wie man im fernen Bern – wo man Glarus und was dazwischenliegt instinktlos dem Radiosendegebiet Zürich zuschlägt – alle diese Seldwylereien unter einen Hut bringen will. Und vor allem fragt es sich, wie man den Radio- und Fernsehkonsumenten erklärt, warum sie was hören oder sehen dürfen, und was nicht. Man wird den Anschein vermeiden wollen, dass es sich um politische Entscheide und um das Ergebnis eines Lobby-Wettbewerbs handelt. Die Beamten sind nicht zu beneiden, und der Medienminister hätte allen Grund, bei den heikelsten Entscheiden in den Ausstand zu treten. Aber das haben sie und die Medienpolitiker im Parlament sich selbst zuzuschreiben. Sie haben versucht, das schweizerische Angebot an elektronischen Medien umfassend und detailliert zu regulieren, im Sinn des «Service Public».
Früher hatte man die Produktion dieses Angebots einer rechtlich privaten, aber staatlich konzessionierten und teilweise kontrollierten Unternehmung anvertraut; die benötigten finanziellen Mittel kamen durch die Zwangsgebühren zusammen. Die technische Entwicklung und die ausländische Konkurrenz liessen dieses Monopol in einem immer ungünstigeren Lichte erscheinen. Der Ruf nach Konkurrenz wurde immer lauter, und als es nicht mehr anders ging, begann ein zähes Feilschen um eine minimale Öffnung des Wettbewerbs gegen die etablierten Machtstrukturen. Im revidierten Gesetzt wird denn auch unverblümt erklärt, dass mit ihm zum einen die Position der SRG gesichert, zum anderen die privaten schweizerischen Radio- und Fernsehveranstalter gestärkt werden sollen. Es bleibe dahingestellt, ob mit öffentlichen Geldern private Sender tatsächlich gestärkt werden. Gesichert wird die Position der SRG jedenfalls dadurch, dass der Wettbewerb nur in begrenzten Räumen und mit einer beschränkten Auswahl von Teilnehmern stattfinden darf.
Man kann den regulierten Medien in Form von Leistungs-aufträgen vieles vorschreiben. Zweifellos wird auch produziert, was Gesetz und Konzession verlangen. Der Erfolg eines elektronischen Mediums hängt jedoch existentiell davon ab, ob es das anbietet, was die Mehrheit seines Publikums zu sehen und zu hören wünscht. Quoten, und nicht Leistungsaufträge, prägen die Realität der Programme. Mit den neuen technischen Möglichkeiten, die erlauben, Medien global zu konsumieren, wird das prekäre Finanzierungskonstrukt früher oder später ohnehin ausgehöhlt.
Einer der Grundpfeiler des liberalen Staatsverständnisses war die uneingeschränkte Garantie der Pressefreiheit. Warum sollen Radio und Fernsehen nicht wie gedruckte Medien vor staatlichen Eingriffen und Kontrollen geschützt werden? Bange Gegenfrage: Wie würde die Pressefreiheit heute formuliert, müsste man sie neu einführen – als lapidarer Verfassungsgrundsatz oder als Gesetzgebungsauftrag für verwalteten und kontrollierten «Service Public»? Es gibt in diesem Land keine liberale Medienpolitik.