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Medien mobilisieren: So einfach geht’s

Wie Extinction Rebellion Journalisten zu Aktivisten macht.

 

Am Anfang steht die Frage, wie eine Idee zu einer Realität und dann zu einem gängigen Begriff wird. Ich habe viele Jahre im PR-Bereich gearbeitet: In dieser Zeit habe ich Konzeptideen für ein Start-up-Unternehmen uninteressierten Medien vorgestellt, Ideen, die keinerlei Medienreaktionen auslösten. Dann bekamen wir den ersten bahnbrechenden Medienbericht, der immer am schwersten zu erreichen ist. Ist die Tür erst einmal einen Spalt offen, folgt weiteres Interesse, zuerst spärlich, später als wahre Flut.

Das alles gilt auch für unsere Kommunikationsstrategie zum Klima- und Umweltnotstand. Die Geschichte, die Extinction Rebellion zu erzählen hat, ist von einzigartiger Bedeutung. Das Publikum ist letztlich denkbar gross: Es umfasst nämlich praktisch alle. Aber Extinction Rebellion verfolgt – zumindest vorerst – nicht die Strategie, alle zu erreichen. Als wir unsere Medienkampagne planten, mussten wir irgendwo anfangen, also begannen wir mit den Menschen, die den Ruf am wahrscheinlichsten hören würden.

Unsere Medienarbeit basiert auf den Forschungsergebnissen von Erica Chenoweth und Maria J. Stephan, die belegen, dass für einen gesellschaftlichen Wandel die aktive, dauerhafte Beteiligung von nur 3,5 Prozent der Bevölkerung benötigt wird. Eben diese 3,5 Prozent wollen wir einbinden. Die erste Aktion, die Extinction Rebellion im Oktober 2018 im Vereinigten Königreich organisierte, unterstrich die einzigartige Vorgehensweise der Gruppe, die sie von früheren Bewegungen unterscheidet: In einem wunderbar kreativen Akt des Widerstandes besetzte sie vorübergehend das Greenpeace-Büro und brachte Kuchen, Blumen und einen Liebesbrief mit. Das sollte sagen: «Greenpeace, wir lieben euch, aber wir müssen reden. Es gibt einen Notstand, und ihr habt dabei eine Rolle zu spielen.» Die Aktion zielte zudem auf Leute, die vom üblichen «Umweltaktivismus» desillusioniert und bereit waren, unsere Notstandsbotschaft zu hören.

Aufbau einer soliden, authentischen Beziehung

Einigen eingebetteten Journalistinnen boten wir exklusiven Zugang zu dieser Aktion an. Dazu gehörten «Real Media» (eine wichtige britische Video-News-Webseite), «The Guardian» (dessen Berichterstattung zum Thema Klima und Ökologie unübertroffen ist) sowie «The Canary» (eine der führenden alternativen Nachrichtenquellen im Vereinigten Königreich), denn wir wollten Leute ansprechen, die nach unserer intuitiven Einschätzung bereit waren, den Appell zu hören. Vorrang hatte für uns auch die Presseagentur Press Association, obwohl sie nicht in die Bewegung eingebettet war: Ihre Meldungen werden von zahlreichen Medien aufgegriffen. Diese Strategie legte die Saat für das, was kommen sollte. Die Extinction-Rebellion-Kampagne zielte nie auf den Versuch ab, eine einmalige Berichterstattung zu erreichen. Vielmehr geht es darum, eine klare Botschaft zu vermitteln und nach und nach eine solide, authentische Beziehung zu Journalistinnen aufzubauen, damit sie ein umfassendes Verständnis der allgemeinen Gefahr entwickeln, mit der wir konfrontiert sind.

«Bislang hat unsere Strategie im grossen und ganzen funktioniert. Unser Medienteam ist ebenso gewachsen wie die Zahl der Journalistinnen, mit denen wir zusammenarbeiten.»

Ein Grundgedanke dieser Strategie war sicherzustellen, dass wir vermittelten, warum die Protestierenden zivilen Ungehorsam praktizieren. Auf diese Weise hofften wir zu vermeiden, dass die Berichterstattung der Medien sich ausschliesslich mit Festnahmen befasste. Vielmehr sollte sie stärker auf den Kontext eingehen und nuancierter berichten, warum Demonstrantinnen bereit waren, für diese Sache ihre Freiheit zu riskieren. Als Extinction Rebellion am 31. Oktober 2018 die Rebellionserklärung auf dem Parliament Square in London verkündete, hatten wir daher bereits das Interesse anderer Medien und der Öffentlichkeit geweckt. Von da an sollte unsere Arbeit in zwei Hauptsträngen erfolgen: Sie sollte engagiert diejenigen ansprechen, die ein offenes Ohr für unseren Aufruf hatten, und sie sollte sich über eine E-Mail-Liste für Pressemitteilungen und Erklärungen breiter an andere Medien wenden.

Auf unserer Seite

Etwa um diese Zeit begannen einzelne Journalistinnen, persönlich mit uns Kontakt aufzunehmen, um uns im Vertrauen zu sagen, sie stünden auf unserer Seite und seien Rebellinnen. Meine Antwort an diese Leute war und ist die Aufforderung: Sie sollten weiterhin tun, was sie in ihrer eigenen Machtposition oder einflussreichen Stellung unternehmen könnten; da draussen gebe es viele ähnlich gesinnte Journalistinnen. Und zusammen könnten wir die Welt verändern. Der nächste wichtige Moment kam unmittelbar vor dem Rebellion Day 1 am 17. November 2018, einer Protestaktion, bei der Extinction Rebellion fünf Themsebrücken in der Londoner Innenstadt blockierte. Vorab luden wir eine grössere Journalistengruppe zu einer Pressekonferenz ein, darunter Vertreterinnen von BBC, «Independent», «New Statesman», sowie zahlreiche unabhängige und freischaffende Fotografinnen und Filmemacherinnen. Ein anwesender Journalist erklärte, er erlebe es zum ersten Mal, dass eine Aktivistengruppe sich vor einer Aktion den Medienvertreterinnen stelle und darlege, was sie für ihre Sache zu tun gedenke. Sie hörten auch zum ersten Mal Aktivistinnen sagen, dass sie anstrebten, sich festnehmen zu lassen, fügte er hinzu.

Diese Pressekonferenz führte zu einem besseren Verständnis der Ziele und Vorgehensweisen von Extinction Rebellion, besonders bei der BBC (auch wenn es ihrer Berichterstattung vielleicht nicht auf Anhieb anzumerken war). An diesem Punkt wiesen wir Teammitgliedern wichtige Medien zu, zu denen sie engere Verbindungen halten sollten. Unsere Beziehungen zu Sky, ITV, «The Times», «Sunday Times» und anderen vertieften sich nach und nach, was uns wiederum Möglichkeiten eröffnete, die über die unmittelbaren Nachrichtenmeldungen hinausgingen.

Überschwemmt mit Hilfsangeboten

Im Dezember 2018 richtete Extinction Rebellion dann an verschiedenen Orten des Vereinigten Königreichs einige Störaktionen gegen die BBC, um die potentiell transformative Rolle zu unterstreichen, die der Rundfunk- und Fernsehsender bei der Schaffung eines Bewusstseins für den Klimanotstand spielen könnte. Wir wussten, dass viele in der BBC gern mehr über den Klimawandel berichten würden: Es war klar, dass unser Druck von unten sie befähigen könnte, sich innerhalb des Senders für einen Wandel einzusetzen. Als Folge unseres Aktionstages wurde vielen in der BBC allmählich klar, dass die lautstarken Proteste von Extinction Rebellion einen hilfreichen Fokus der Berichterstattung lieferten – einer Berichterstattung, die zu einem breiteren Publikum im ganzen Land durchdringen konnte.

Als gegen Ende des Jahres 2018 die erste Rebellionswelle abebbte, war es Zeit für eine Pause, um Platz zu schaffen für die Tausenden neuer Aktivistinnen, die sich engagieren wollten – regional, national und weltweit. Unter ihnen waren Journalistinnen, die Extinction Rebellion mit Hilfsangeboten überschwemmten. Und so begann die Planung für eine Ausweitung der Bewegung durch International Rebellion. Im April 2019 erlebten wir, dass mehr als tausend Leute ihren Kopf für den Klimanotstand hinhielten. Diese spektakuläre, andauernde Protestaktion ermöglichte es uns, rund um die Welt Schlagzeilen zu machen, und eröffnete uns damit bessere Möglichkeiten denn je, die Wahrheit über die Klimakatastrophe und den ökologischen Notstand zu verbreiten.

Da es in London so viele Nachrichtenmeldungen gibt, sind Exklusivkontakte zu Journalistinnen auch weiterhin ein wichtiger Bestandteil unserer Strategie, damit die Medien, an die wir uns hauptsächlich richten, wissen, dass wir ihnen allen individuelle Möglichkeiten bieten, ihre eigenen Geschichten zu bekommen. Bislang hat unsere Strategie im grossen und ganzen funktioniert. Unser Medienteam ist ebenso gewachsen wie die Zahl der Journalistinnen, mit denen wir zusammenarbeiten. Wir hatten im Vereinigten Königreich wie auch in den internationalen Medien eine positive Berichterstattung.

Direkte Kommunikation in WhatsApp-Gruppen

Vor einigen Jahren habe ich eine WhatsApp-Gruppe für meine Familie eingerichtet. Sie hat unsere Kommunikation miteinander verändert und es uns ermöglicht, stärker im Leben der anderen Familienmitglieder präsent zu sein. Die Unmittelbarkeit von WhatsApp spielte auch eine wesentliche Rolle für die Kommunikation innerhalb unseres Medien- und Messagingteams. So veränderte die Schaffung einer WhatsApp-Gruppe für Journalistinnen, die sich für Neuigkeiten von Extinction Rebellion interessieren, unsere Beziehung zu ihnen. Nach und nach wurde dies zu einem äusserst wirkmächtigen Kommunikationsmittel mit den Medien während dieser internationalen Rebellion, da Meldungen bereits unmittelbar, nachdem wir sie der Gruppe gepostet hatten, erschienen. Ebenso wie in meiner Familie konnte Extinction Rebellion für Journalistinnen präsenter und menschlicher werden und sich von der Förmlichkeit mancher traditionellen Kommunikationsmittel absetzen. Wenn nötig, benutzten wir neben einer Fülle anderer Apps und Plattformen die Signal-App für besser gesicherte Mitteilungen.

Mittlerweile ist Extinction Rebellion ins Mainstream-Bewusstsein durchgedrungen, zumindest im Vereinigten Königreich. Aber das ist erst der Anfang. Die Herausforderung, der wir uns gegenübersehen, ist es, die Extinction-Rebellion-Geschichte in jeden Lebensbereich zu bringen: in die gesamten internationalen und nationalen Medien und die unzähligen vertikalen Medien­sektoren (Konsum, Lifestyle, Gesundheit, Bildung usw.). Wir sind wie ein Start-up-Unternehmen, das seinen Mediendurchbruch geschafft hat. Jetzt ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es keine Eintagsfliege war. Wir wissen, dass viele in den privaten und öffentlichen Medienhäusern ebenfalls einen Wandel wollen. Alle, die Interesse haben, sich in unserem Medien- und Messagingteam zu engagieren, laden wir ein, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Journalistinnen sagen wir: In dem transformativen Wandel, der notwendig ist, ist Platz für euch. Wir alle müssen mitwirken, wenn wir dem Klimanotstand die Stirn bieten, etwas Grundlegendes verändern und der Gesellschaft eine neue Ausrichtung geben wollen.


Dieser Text ist ein Abdruck aus dem Buch «Wann wenn nicht wir*. Ein Extinction Rebellion Handbuch», herausgegeben von Sina Kamala Kaufmann, Annemarie Botzki und Michael Timmermann. Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Bischoff. © 2019 S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main.

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