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Masse in Bewegung

Strassenproteste treiben die Politik vor sich her. Wie lange geht das gut?

 

Vor 30 Jahren überrannten mutige Bürger des Ostblocks die Grenzen der sozialistischen Regimes und lüfteten den Eisernen Vorhang. Die freie Welt jubelte: Ein Akt des zivilen Ungehorsams führte zu einer Sternstunde der freiheitlichen Demokratie. Die Protestbewegung von hunderttausenden Bürgern in Hongkong ist demgegenüber noch ein Experiment mit offenem Ausgang.

Aktivität ist Bürgerpflicht. Es gilt in Demokratien als vorausgesetzt, dass ein Grossteil der Bürger für ­politische Inhalte empfänglich ist und sich am Austausch der Ideen beteiligt. Sind Bewegungen wie ­«Fridays for Future» oder die «Gilets jaunes» also der Blutkreislauf der Demokratie? Ist nur der bewegte Bürger ein guter Bürger? Ja und nein: Bewegungen sind ein inhärenter Teil der Demokratie. Sie sind – ­neben Medien, Vereinen, der Familie oder den offiziellen Instrumenten von Wahlen und Abstimmungen – eine der Strukturen, in denen Realität verhandelt wird. Deshalb ist das Grundrecht auf Demonstra­tionsfreiheit auch verfassungsgemäss erlaubnisfrei und kein Privileg des Mächtigen.

Und doch sind Bewegungen als Macht der Strasse nicht der Normalfall der Willensbildung. Wenn diese sich zum permanenten Ausnahmezustand mausern, können sie den demokratischen Prozess sogar ­stören. Dann stellt sich ein Legitimationsproblem: Subversive Aktionen, Blockaden und lautstark vorgetragene Forderungen einer Minderheit geraten in Konkurrenz zu einem auf demokratischem Wege oft in mühsamer Weise gefundenen Konsens. Wenn mit Hilfe der Aufmerksamkeit von Medien und dem ­dadurch ausgeübten Druck Lautstärke und erpresserische Methoden belohnt werden und so zum Machtfaktor werden, droht eine Pöbelherrschaft.

Demokratie bedeutet aber, eine Minderheitsposition unblutig und gewaltfrei zu einer Mehrheitsposition zu machen. Bewegungen dürfen diesen Grundsatz nicht aushebeln. Sonst unterminieren sie die ­Grundlagen der Ordnung und damit die Voraussetzungen der Freiheit. Diesem höchst aktuellen Spannungsverhältnis versuchen wir in diesem Dossier auf den Grund zu gehen – und lassen dabei Vertreter und Anhänger aktueller Bewegungen genauso zu Wort kommen wie ihre Kritiker.

Gute Lektüre!

Die Redaktion


Für die Unterstützung dieses Dossiers danken wir dem Verein Zivilgesellschaft. Redaktionell verantwortlich ist der «Schweizer Monat».

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