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Marktwirtschaft und individuelle Freiheit
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Marktwirtschaft und individuelle Freiheit

Das technokratische Missverständnis der Marktwirtschaft

Die derzeitige wirtschaftspolitische Situation mutet allenthalben schizophren an. Man könnte fast meinen, dass die Marktwirtschaft von denen entdeckt worden wäre, die ihr aus einer völlig anderen geistigen Haltung heraus politisch und wissenschaftlich Widerstand und Kampf angesagt hatten. Dass sich gerade nach dem letzten Weltkrieg sozialistische Wirtschaftsprinzipien als zum Wiederaufbau völlig untauglich erwiesen, während einem freiheitlich liberalen System nicht zuletzt in meinem eigenen Land ein durchschlagender Erfolg beschieden war, hat allerdings mittlerweile in den verschiedensten politischen Lagern eine taktische Umstellung bewirkt.

Die Sozialisten entdeckten ihre Liebe zur Marktwirtschaft erst dann, als ihnen bewusst geworden war, dass ihre Vorstellungen einer Zentralverwaltungswirtschaft nicht nur keinen Widerhall mehr fanden, sondern immer heftigerer Ablehnung begegneten. Sie bedienten sich dabei des aus ihrer Sicht nicht ungeschickten Tricks, das innerste Wesen der Marktwirtschaft als einer ordnungspolitischen, aber auch sittlich fundierten Gesellschaftsvorstellung auf einen rein mechanischen Wirtschaftsablauf zu reduzieren. Aus Not und Zwang bekannten sie sich schliesslich mit Weh und Ach zur Anerkennung der Funktion des Marktes, ja mit Einschränkungen auch zu einer besseren Würdigung des Ordnungselements, des Wettbewerbs und der freien Preisbildung.

Aber jenseits dieser Spielregeln nimmt das kollektivistische Denken immer mehr überhand. Die Marktwirtschafter sozialistischen Geblüts huldigen der Auffassung, dass, wenn man Marktwirtschaft nur als eine technische Funktion verstehe, der den Interesseneinflüssen unterliegende Staat neben eigensüchtigen Zielsetzungen doch zugleich auch über die Möglichkeit verfüge, die ökonomischen, sozialen und wirtschaftspolitischen Daten so zu setzen – oder auch dahin zu verändern –, dass nach dem mechanischen Ablauf des Marktgeschehens dennoch das Ergebnis zustande käme, das wohl dem Willen des Kollektivs, aber eben nicht mehr dem Lebensgefühl einer freien Wirtschaftsgesellschaft entspricht.

Die Welt hat sich auch in der Weise verändert, dass Wertvorstellungen von gestern nicht in die Denkschemata von heute passen. So hat zum Beispiel der Begriff des «Liberalen» einen ganz neuen Inhalt gewonnen oder ist – fast möchte ich sagen – so verschwommen geworden, dass ich mich selbst scheue, ihn noch zu verwenden. Vor noch nicht gar zu langer Zeit bestand mindestens in Europa eine weitgehende Identität zwischen dem Wesen einer freien Marktwirtschaft und liberaler Gesinnung. Mir will indessen scheinen, dass diese Gleichsetzung in den politischen Lebensäusserungen und menschlichen Reaktionen der angeblich modernen Zeit keine Stütze mehr findet.

Wenn «liberal» heute nur noch Gegnerschaft zum sogenannten «Establishment» ausdrücken oder nur geistige Ungebundenheit, wenn nicht sogar Zuchtlosigkeit sein soll, dann scheint es mir geboten zu sein, nicht etwa auf Wertvorstellungen zu verzichten, wohl aber die «Ismen» der Vergangenheit neu zu überdenken. Wir, die wir der Marktwirtschaft verpflichtet und verhaftet sind, sollten uns fragen, ob wir dem politischen Schleichhandel um den Begriff der Marktwirtschaft auch immer rechtzeitig und überzeugend begegnet sind.

Die neoliberale Lehre, die ja europäischen Ursprungs ist, wurzelt eben nicht allein in Adam Smith, sondern dachte in wirklichkeitsnahem Sinn weiter. Der Umstand, dass zum Beispiel im Bonner Wirtschaftsministerium die Bilder John Maynard Keynes› und Walter Euckens nebeneinander gezeigt werden, wirkt so wenig überzeugend wie die Ahnenreihe der Wirtschaftsminister von Victor Agartz bis zu Ludwig Erhard. Was ich damit sagen möchte, ist dies, dass man nicht Ungleichnamiges – auch nicht als blosse Schau – miteinander verbinden kann.

Das eben scheint mir das Bedenkliche unserer Zeit zu sein, dass wir, statt eindeutig und erkennbar Gesinnung zu bezeugen oder Bekenntnisse abzulegen, uns in pragmatischer Denkweise durchmogeln zu können glauben. Der Bewusstseinsinhalt der Marktwirtschaft und im besonderen der «sozialen Marktwirtschaft», wie ich sie verstehe, entzieht sich jeder technokratischen Betrachtungsweise.

Ursprung und Ziel der Marktwirtschaft: eine freiheitliche Lebensformoral

 Marktwirtschaftliche Gesinnung und Überzeugung wurzeln in einem freiheitlichen Weltbild und stützen sich auf die Werte menschlicher Moral. Die soziale Marktwirtschaft sollte der völlig verlorengegangenen individuellen Freiheit im Rahmen festgefügter, durch den Staat abgesicherter gesellschaftspolitischer Ordnungsvorstellungen neue Impulse setzen, ja der Entfaltung menschlicher Freizügigkeit Spielraum geben – nicht aber schwebt mir vor, die Marktwirtschaft in staatlich dirigistische Wirtschaftsformen pressen zu lassen. Mir genügt also ein bloss formales Bekenntnis zur Marktwirtschaft nicht mehr, wenn es nicht mit einer glaubhaften Treue zu freiheitlichen Lebensformen gepaart ist. Wer mit wachen Sinnen das Zeitgeschehen aufnimmt, kann doch gar nicht an der Wahrnehmung vorbeigehen, dass unsere gesellschaftliche Entwicklung und die Formen unseres Zusammenlebens immer mehr kollektivistische Züge annehmen. Schon scheint es in einem falschen Fatalismus als fast selbstverständlich betrachtet und auch geglaubt zu werden, dass der einzelne – der auf sich selbst gestellte freiheitsbewusste Staatsbürger – gar nicht mehr in der Lage wäre, für seine Existenz und seine Lebenssicherung einzustehen, sondern dass sein Schicksal dem Staat oder mächtigen Kollektiven überantwortet werden solle, wenn nicht sogar müsse.

Die Milchmädchenrechnung, dass die aus solcher Geisteshaltung heraus sich immer mächtiger entfaltenden Apparaturen – gewissermassen Verzehrgemeinschaften in sich selbst – vielleicht einmal dem einzelnen Nutzen bringen können, allen Beteiligten aber nach Adam Riese zum Schaden gereichen müssen, wird mit falschen sozialen Sentiments überdeckt. Statt echte und schwerwiegende private Lebensrisiken abzusichern, wird das Hustenbonbon oder der mit Alkohol angereicherte Hustensaft kostenlos verabreicht – und das alles geschieht unter dem Vorzeichen fortschrittlicher und aufgeklärter Sozialpolitik!

Marktwirtschaft beruht auf Leistung, auf Bewährung durch Leistung. Darum aber sind diesem System auch alle Beschränkungsmassnahmen lebensfremd, die ohne zwingende Not zu einer Erschlaffung des Leistungswillens führen müssen. So sind wir zum Beispiel wohl geneigt, die erstaunlichen Fortschritte der japanischen Volkswirtschaft zu bewundern, ohne uns aber – ähnlich wie beim sogenannten «deutschen Wirtschaftswunder» – dessen bewusst zu sein oder es wahrhaben zu wollen, dass es eben die höhere Produktivität, die Arbeitsamkeit und der Kraftaufwand eines Volkes sind, die im letzten den Ausschlag geben.

Ich habe den Eindruck, dass uns westeuropäischen Völkern diese Wahrheit, die gar keine Weisheit ist, in der Folgezeit noch sehr viel deutlicher vor Augen geführt werden wird. In den westlichen hochentwickelten Industrienationen scheint mir die innere Beziehung zwischen dem ökonomisch Möglichen und dem sozialpolitisch Wünschbaren immer mehr verlorenzugehen. Zugegeben, wenn soziale Fortschritte auch positive wirtschaftliche Wirkungen zeitigen können, so darf dennoch die Geistesverwirrung nicht so weit gehen, dass soziale Wunschvorstellungen wirtschaftliche Gesetze und Grenzen sprengen zu können glauben.

Die Irrwege der Ökonometrie und des «Pragmatismus»

Neue wissenschaftliche Denkformen wie zum Beispiel die Ökonometrie umgeben sich mit dem Odium moderner Aufgeklärtheit und höherer Weisheit. Sie erwecken damit den Eindruck – ja einzelne Vertreter sprechen es sogar aus –, als ob die Marktwirtschaft auch in neoliberaler Auffassung gemessen an ihrer eigenen «Aufgeklärtheit» als naiv gelten müsse. Dieses Eigenlob findet allerdings in der Geschichte und in den wirtschaftspolitischen Realitäten keine Stützen, sondern macht umgekehrt deutlich, dass alle Versuche, das Leben rechenhaft einfangen zu wollen, letztlich zum Scheitern verurteilt sind.

Diese Zeiterscheinung ist zugleich Ausdruck des in Gang gesetzten Prozesses der Entideologisierung. Wenn die Regulative, die aus der Setzung und Anerkennung höherer gemeinverbindlicher Werte fliessen, nicht mehr gestaltende Kraft besitzen und damit das gesellschaftliche Leben in gewisser Hinsicht steuerlos wird, dann kann es auch durch keine mechanischen Mittel wieder eingefangen werden. Wohl liegt es mir fern, die Vertreter der sich so modern gebärdenden ökonometrischen Schule als «falsche Propheten» zu bezeichnen – ich behaupte nur, dass sie falsch prophezeien und sich mehr mit kurzfristigen Korrekturen ihrer Voraussagen beschäftigen müssen, als dass sie vom Grundsatz her Gültiges auszusagen wussten.

Im übrigen bleibt es eine wichtige Aufgabe, dem penetranten Versuch, die freie Marktwirtschaft, die wir meinen, als abgetan und altmodisch zu charakterisieren und eine andere, rechenhafte Auch-Marktwirtschaft etablieren zu wollen, unseren geistigen und seelischen Widerstand entgegenzusetzen. Gegenüber der klaren Ordnungsvorstellung der freien Marktwirtschaft ist der zweifelhafte Wert des heute so viel gerühmten «Pragmatismus» ins rechte Licht zu rücken.

Ich gewinne indessen immer mehr den Eindruck, dass der Unternehmer an der Nützlichkeit einer Wirtschaftspolitik zweifelt, die ihm im raschen Wechsel zahlenmässiger Prognosen den Boden für echte unternehmerische Entscheidungen entzieht, aber ihn damit zugleich in eine immer stärkere Abhängigkeit geraten lässt. Wie soll er einer planenden Vorausschau auf mittlere und längere Sicht vertrauen können, wenn sich schon von Quartal zu Quartal nicht voraussehbare Wandlungen vollziehen. Wer allerdings die These bejaht, dass auf diesem Feld die Bürger eines Landes nur die Vollzugsorgane staatlichen Willens zu sein haben und somit der Staat mehr oder minder allein die Zukunft eines Landes oder Volkes bestimmt, wird für das innerste Wesen einer freien Marktwirtschaft kaum mehr Verständnis aufbringen können. Das aber ist wohl kaum zu befürchten, dass uns nur noch ein Termitendasein im Kollektiv übrigbleibt.

Besinnung auf die wahren Werte der Demokratie

Diese Auffassung steht in unmittelbarer Beziehung zu der Ausdeutung des ebenfalls neuzeitlichen Begriffs der «Demokratisierung». Wir alle – so schätze ich – sind aus Gesinnung und innerer Überzeugung Demokraten und erachten die Demokratie – um mit Winston Churchill zu sprechen – zwar nicht als die schlechthin ideale, aber unter allen anderen denkbaren Regierungsformen doch entschieden als die beste.

Das soll nicht besagen, dass eine demokratische Ordnung gemäss den Anforderungen der Zeit nicht jeweils fortentwickelt werden könnte oder gar müsste. Trotzdem aber habe ich Bedenken gegen die Methode, Subjektiva in Verben umzumünzen, und dies zumal dann, wenn sich damit der Seinsgehalt, der Bewusstseinsinhalt entscheidend wandelt. Alle, die heute um jeden Preis demokratisieren wollen, denken nicht so sehr an die Gestalt der Demokratie als vielmehr an eine Umwälzung. Das heisst beileibe nicht, dass ich mir nicht auch in manchen Bereichen des öffentlichen Lebens etwas mehr Demokratie wünschte, aber es kann kaum geleugnet werden, dass dem «Demokratisieren», wie es heute verstanden wird, ein Odium des Revolutionären, des Zerstören- und Zerschlagenwollens als Selbstzweck anhaftet.

Das Gesagte wird noch deutlicher, wenn ich zum Beispiel darauf verweise, dass das ebenfalls moderne «Umfunktionierenwollen» mit dem Substantiv «Funktion» kaum mehr etwas gemeinsam hat. Das Gefühl für eine organische Entfaltung und natürliche Entwicklung ist gegenüber dem Drang zur «Aktion» und «Aktivität» zunehmend verlorengegangen, so dass man fast glauben könnte, die Betriebsamkeit wäre schon ein Wert in sich selbst. Gegenüber dem Substantiv als Ausdruck des Seienden kennzeichnet das Verb einen Tätigkeitsdrang. In unserer Welt muss sozusagen immer etwas «passieren», um als modern verstanden und geglaubt zu werden.

Von dieser Betrachtung aus lässt sich wieder leicht eine Brücke zum Problem der Mitbestimmung schlagen. In diesem Zusammenhang spricht man heute von Wirtschaftsdemokratie, aber versteht darunter schon seit der in der Weimarer Zeit unter dem Namen Naphtalis aufgekommenen Diskussion um diesen Begriff dem Inhalt nach eine Revolutionierung bestehender gesellschaftlicher Zustände. Eine solche Umwälzung mag gewollt sein, aber die Verwischung und Vermischung von Zuständigkeiten und Verantwortungen ist kein überzeugender Ausdruck von Demokratie. Wenig überzeugend ist deshalb auch die Aussage, dass der Staatsbürger endlich auch Wirtschaftsbürger sein solle. Als ob er das nicht schon im vollkommenen Sinne wäre und als ob der gesellschaftliche Rang und die soziale Geltung des Arbeitnehmers gerade in den letzten 20 Jahren auch ohne Revolution nicht eine fortdauernde Erhöhung erfahren hätten! Mit Schlagworten dieser Art lassen sich also soziale Neuerungen nicht begründen.

 Die Frage der Mitbestimmung

Was in diesem Zusammenhang die Frage der Mitbestimmung im besonderen anbelangt, so ist zunächst einmal festzustellen, dass nicht nur die Auffassungen, sondern auch die Erscheinungsformen in den einzelnen Ländern nicht übereinstimmen, wohl aber Forderungen dieser Art überall erhoben werden und nach Gestaltung drängen.

Wenn ich als deutscher Staatsbürger und im besonderen auch als langjähriger Wirtschaftsminister zu diesem Phänomen Stellung nehme, dann liegt es natürlich nahe, die in Deutschland aktuelle Diskussion um die spezifische Form der paritätischen Mitbestimmung im Bereich von grösseren Unternehmungen als Modell herauszustellen. Da Deutschland das einzige Land ist, in dem diese Art von Mitbestimmung innerhalb des Bereichs von Kohle, Eisen und Stahl bereits praktiziert wurde, aber nunmehr eine wesentliche Ausdehnung erfahren soll, glaube ich, dass sich daraus wesentliche Lehren ziehen lassen.

Soweit es um das Miteinanderleben im Betrieb geht, wird heute füglich nicht mehr geleugnet werden können, dass den Arbeitnehmern ein Mitspracherecht, gepaart mit weitgehender rückwärts- und vorwärtsschauender Unterrichtung, nicht mehr länger zu verweigern sei. Bei der sogenannten paritätischen Mitbestimmung aber handelt es sich nicht um betriebliche Fragen, die das Leben des Arbeitnehmers unmittelbar berühren, sondern um nach aussen wirkende Unternehmensentscheidungen, wie sie sich in Fragen der Markt- und Absatzstrategie, in der Preis-, Wettbewerbs- und Investitionspolitik niederschlagen.

In diesem Bereich aber ist der Unternehmer auch wieder nicht autonom, sondern wird wesentlich auf die von aussen gesetzten Bedingungen zu reagieren haben. Ich komme auf früher Gesagtes zurück, wenn ich an dieser Stelle noch einmal auf die Differenzierung zwischen den in höherem Masse rechenhaften innerbetrieblichen Vorgängen einerseits und den zahlenmässig eben nicht einzufangenden unwägsamen Imponderabilien innerhalb der Unternehmenssphäre andererseits verweise. Der Irrglaube an das Machbare hat zweifellos den immer weiter greifenden Mitbestimmungsvorstellungen Vorschub geleistet. Denn je mehr die unternehmerische Leistung hinter der Funktion des Computers zurücktritt, wirkt der Anspruch der Gewerkschaften mindestens psychologisch glaubhaft begründet.

In einer anderen Beziehung allerdings steht die Forderung der Gewerkschaften nach paritätischer Mitbestimmung auf schwachen Füssen. Denn wenn im Zeichen zunehmender Konzentration, angesichts der Tendenz, im Bereich der sogenannten Wachstumsindustrie zu immer grösseren Betriebs- und Unternehmungseinheiten zu gelangen, die berufliche und gesellschaftliche Position des Arbeitnehmers einer kollektiven Absicherung in Form der paritätischen Mitbestimmung bedürfen, dann ist umso mehr die Frage berechtigt – nein sie drängt sich zwingend auf, wie es dann um den Schutz der Arbeitnehmer stehe, deren Arbeitsplätze vergleichsweise stärker gefährdet erscheinen.

Bei dieser Sachlage muss man den Eindruck gewinnen, dass die Forderung nach paritätischer Mitbestimmung gar nicht so sehr auf die Stellung des Arbeitnehmers im Betrieb abzielt, sondern vielmehr die Erlangung von Machtpositionen in Grossunternehmungen zum Ziele hat. Die zweifellos auf eine bestimmte und bewusste Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung hinzielende geballte Willensbildung von Seiten der Gewerkschaften sichert diesen einen monopolartigen Einfluss auf das gesamte öffentliche Leben, so dass die Frage nur allzu berechtigt erscheint, ob eine sich nach dieser Richtung verstärkende Entwicklung nicht in Widerstreit mit dem demokratisch parlamentarischen System geraten muss.

Dass in Arbeitnehmerkreisen die paritätische Mitbestimmung, soweit sie nicht von Betriebszugehörigen ausgeübt wird, selbst in Frage gestellt wird und der Wert dieser Institution gegenüber erweiterten Chancen der privaten Eigentumsbildung und Vermögensstreuung abgewogen wird, kann wohl als Beweis dafür gelten, dass die individuellen Vorstellungen der Arbeitnehmer mit der kollektiven Aussage der Gewerkschaften nicht ohne weiteres übereinstimmen.

Wenn allerdings – wie in Deutschland bereits erkennbar – die Gewerkschaften ihre Macht in Richtung eines stärkeren Zentralismus stärken möchten, dann darf auch die Gefahr nicht übersehen werden, dass Arbeitnehmer im Betrieb, um nicht etwaiger Chancen verlustig zu gehen, schliesslich doch lammfromm werden und sich kollektiver Bevormundung zu beugenmbereit sind. Wer aber wollte leugnen, dass damit ein weiteres Stück demokratischer Gesinnung und Freiheit verlorengeht! Das aber ist dann kein Prozess der Demokratisierung, sondern ein Schritt mehr zur Kollektivierung, wenn immer mehr Menschen – sei es aus geistiger Haltung oder aus materiellem Zwang – schliesslich auch noch das eigene Nachdenken vergessen.

Gefahren der Unternehmenskonzentration

Die Marktwirtschaft ist insofern noch einmal gefährdet, als in manchen Ländern – und ich rechne auch Deutschland dazu – die Zeichen sich mehren, dass man der Funktion des Wettbewerbs nicht mehr die gleiche Bedeutung beimisst wie ehedem oder mindestens andere Massstäbe angelegt wissen will. Gewiss haben sich auf diesem Gebiet Wandlungen vollzogen, die Berücksichtigung verdienen, aber nicht Anlass sein können, das Institut selbst in Frage zu stellen.

Die heute um sich greifende und zum Teil sogar staatlich begünstigte Konzentrationswelle – um nicht zu sagen Konzentrationswut – wurzelt indessen nicht allein in rationalen Überzeugungen, sondern entspringt einem neuen Leitbild. Nun bin ich gewiss kein Bilderstürmer und weiss darum sehr wohl zwischen nützlicher oder sogar notwendiger Konzentration einerseits und dem darin zum Ausdruck kommenden Machtstreben anderseits zu unterscheiden. Jene Begründung aber, dass die Konzentration der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit diene, ist insbesondere dann abzulehnen, wenn gerade umgekehrt durch die Konzentration der Wettbewerb faktisch ausgeschaltet wird. Müssen wir uns aus Erfahrungen und breitangelegten Untersuchungen in den Vereinigten Staaten immer deutlicher sagen und nachweisen lassen, welche Bedeutung man in jenem industriell fortschrittlichsten Land der Leistung der Klein- und Mittelbetriebe beimisst, als wie unentbehrlich man sie gerade auch aus wettbewerbspolitischen Gründen betrachtet und wie bedeutsam ihr Anteil an der modernen Entwicklung und dem technischen Fortschritt ist?

Im übrigen arbeiten sie vergleichsweise ebenso rentierlich wie grosse und grösste Unternehmungen. Hier geht es nicht mehr allein um den Streit über wirtschaftliche Methoden, sondern vielmehr um Fragen der Wirtschafts- und Gesellschaftsphilosophie. Schliesslich darf auch der Hinweis, wie es denn in kleineren Ländern um die Konzentrationsfähigkeit innerhalb der verschiedenen Industriezweige bestellt ist, nicht unter den Tisch fallen.

Ich möchte darum die Behauptung wagen: Je mehr Regierungen oder kollektivistische Institutionen unmittelbaren Einfluss nicht nur auf die Volkswirtschaft, sondern auch auf deren Teilbereiche bis hinab zu privaten Unternehmungsentscheidungen auszuüben versuchen oder doch dieses Ziel bewusst anstreben, desto mehr wird ihnen daran gelegen sein, durch Vereinbarungen mit einer geringeren Zahl von Grossunternehmungen die Geschicke der Wirtschaft – aber das heisst indirekt auch das Schicksal der Mittel- und Kleinbetriebe – «mitzubestimmen». Mit nur wenigen Partnern lässt sich eben leichter verhandeln als mit einer Vielzahl von differenzierten Betrieben und individualistisch gesinnten Unternehmern.

Was auf dem Spiel steht

Aber das ist nicht alles! Den zur Konzentration ermunterten Unternehmern und Unternehmungen haftet nach vollzogener Tat mindestens das Odium eines immer denkbaren Machtmissbrauches an, und es sei – so wird argumentiert – aus diesem Grunde geboten, sie in stärkerem Masse staatlicher Kontrolle, das heisst einer Missbrauchsaufsicht, zu unterwerfen. Angesichts einer so dubiosen Politik ist wohl die Frage berechtigt, ob sich die auf solche Weise eingefangenen Unternehmen auch der Konsequenzen ihrer heute immerhin noch freien Entscheidungen bewusst sind. Staatliche Missbrauchsaufsicht und paritätische Mitbestimmung sind kein Ersatz für Wettbewerb, sondern Instrumente zur Zurückdrängung einer freien Gesellschaftsordnung.

 

Nach einer Ansprache anlässlich der vom Redressement National veranstalteten 4. Internationalen Konferenz marktwirtschaftlicher Organisationen in Biel und Bern, 6. bis 9. Mai 1969.


Erschienen: Schweizer Monatshefte: Zeitschrift für Politik, Wirtschaft, Kultur, Band (Jahr): 49 (1969-1970), Heft 3

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