Markt oder Befehl
Begriffsklärung I: «Freiheit»
Wenn die Bedeutung von Wörtern und der Inhalt von Begriffen verfälscht wird, verlieren wir das Werkzeug, das uns von allen anderen Lebewesen unterscheidet: die Vernunft. Denn die Sprache bildet unsere Gedanken, und wenn die Sprache zerstört wird, geht auch unser Denken in die Irre. Kein Begriff ist von Interessenpolitikern und Ideologen im Verlauf der letzten 100 Jahre so tiefgreifend manipuliert worden wie der Terminus «Freiheit». Entsprechend gering ist mittlerweile die allgemeine Wertschätzung dieses eigentlich höchsten Gutes des Menschen.
Als die Völker Europas begannen, das Joch der Feudalherrschaft abzuschütteln, verstand man unter Freiheit noch die Abwesenheit von willkürlichem Zwang (F.A. Hayek), die Abschaffung und Zähmung von Herrschaft. «Freiheit», schreibt der Soziologe Wolfgang Sofsky, «ist der Gegenbegriff zur Macht. Freiheit ist Widerstand gegen Macht jeder Art.» Heute, nach 50 Jahren Wohlfahrtsstaat und verbaler Falschmünzerei der Parteistrategen, versteht man unter Freiheit materielle Gleichheit durch Umverteilung (also durch Zwangsenteignung) und durch staatlich verordnete Kollektivsolidarität (obwohl echte Solidarität nur individueller und freiwilliger Natur sein kann). Bestenfalls wird Freiheit mit Demokratie gleichgesetzt – und somit mit nahezu beliebiger Herrschaft der Volksvertreter und Funktionäre. Entsprechend gross ist die Sorglosigkeit gegenüber kollektivistischen Entwicklungen, die in zunehmendem Umfang von der Uno, der EU und den nationalen Regierungen ausgehen.
Die Freiheit stirbt bekanntlich scheibchenweise, und deshalb kann sie nur bewahrt werden, wenn die Bürger «den Anfängen wehren», wenn sie also das kollektivistische oder totalitäre Muster hinter jeder einzelnen politischen Massnahme und in jedem noch so harmlos daherkommenden Gesetz erkennen – und sich zur Wehr setzen. Sogar so unwichtig und menschenfreundlich erscheinende Dekrete wie das generelle Rauchverbot in allen Gaststätten haben einen gefährlichen totalitären Kern. Denn damit wird das Eigentumsrecht der Wirte verletzt, und ohne Eigentumsrechte kann es keine Freiheit geben. Das Eigentum eines jeden Menschen an seinem Leben, an seiner Person, an seinem Körper und an seinen rechtmässig erworbenen materiellen Gütern ist der Kern des einzig wahren Freiheitsbegriffs, nämlich der persönlichen Freiheit. Alle Menschenrechte sind Eigentumsrechte, und nur unverletzliche Eigentumsrechte sind wahre Menschenrechte; alle anders formulierten Rechte des Menschen sind Schein und Trug und laufen letztlich auf Freiheitszerstörung hinaus.
Zum Eigentumsrecht gehört unveräusserlich das sogenannte Ausschlussrecht. Wer ein Auto besitzt und nicht bestimmen kann, wer ausser ihm selber noch damit fahren darf oder wer von dieser Erlaubnis ausgeschlossen bleibt, der hat sein Eigentum verloren. Wer jedem beliebigen Fremden sein Fahrzeug überlassen muss, für den ist das Auto (das Eigentumsrecht an seinem Auto) wertlos. Und wenn der Eigentümer eines Lokals nicht mehr entscheiden kann, wen er ausschliesst – seien es Raucher oder Nichtraucher (oder keinen von beiden) –, dann ist er eines wesentlichen Teils seines Eigentumsrechts beraubt worden. Noch Schlimmeres schlummert in den sogenannten Antidiskriminierungsgesetzen, mit denen die Vertragsfreiheit ausgehebelt wird.
Das Prinzip «Ehrlichkeit» ist gebrochen, ob man nun fünf Franken oder eine Million Franken stiehlt. Dasselbe gilt für das Prinzip «Freiheit». Die Mahnung Hayeks kann nicht ernst genug genommen werden: «Die Freiheit kann nur erhalten werden, wenn sie nicht bloss aus Gründen der erkennbaren Nützlichkeit im Einzelfalle, sondern als Grundprinzip verteidigt wird, das der Erreichung bestimmter Ziele halber nicht durchbrochen werden darf. Eine wirksame Verteidigung der Freiheit muss notwendig unbeugsam, dogmatisch und doktrinär sein und darf keine Zugeständnisse an Zweckmässigkeitserwägungen machen.»
Obwohl uns die Weltgeschichte lehrt, dass Staaten ihre Untertanen in die Knechtschaft führen, ist die Staatsgläubigkeit der Menschen unerschütterlich. Entsprechendes Misstrauen hegen sie gegen den Markt und erkennen nicht, dass allein der Markt Freiheit gewähren kann. Nur auf freien Märkten ist das Individuum Herr über seine Entscheidungen, über seine Handlungen und Unterlassungen, und nur am Markt finden alle Interaktionen friedlich und freiwillig statt. Die alte Weisheit, die da lautet «Markt oder Befehl», ist ewig gültig. Jeder einzelne Bereich des wirtschaftlichen Lebens (und das ist mehr als das «halbe Leben»), der dem Markt entrissen wird, landet in den gewaltbewehrten Händen von Bürokraten und Herrschaftscliquen; tertium non datur. Und «politische Freiheit» bleibt trügerisch, solange man nicht erkennt, dass Freiheit nur persönliche Freiheit sein kann – und dass politische Freiheit nur insoweit und solange gut sein kann, als sie der persönlichen Freiheit dient.
Roland Baader, geboren 1940, ist Nationalökonom und Autor mehrerer Werke zum klassischen Liberalismus. Zuletzt erschien «Das Kapital am Pranger» (Resch Verlag 2005).