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Manche Bücher darf man nicht einfach so hinnehmen

An ihren Augen sollst du sie erkennen. Diese, gerade von mir erfundene Weisheit war einem Grossmeister der populären Literatur wie Karl May bereits im 19. Jahrhundert bekannt. «Unter dem schmutzig-blauen Turban blickten zwei kleine, stechende Augen unheimlich hervor», wird beispielsweise ein offensichtlicher Schurke in «Durch die Wüste» beschrieben, während es von seinem, gleichfalls wenig Vertrauen […]

An ihren Augen sollst du sie erkennen. Diese, gerade von mir erfundene Weisheit war einem Grossmeister der populären Literatur wie Karl May bereits im 19. Jahrhundert bekannt. «Unter dem schmutzig-blauen Turban blickten zwei kleine, stechende Augen unheimlich hervor», wird beispielsweise ein offensichtlicher Schurke in «Durch die Wüste» beschrieben, während es von seinem, gleichfalls wenig Vertrauen erweckenden Kumpan heisst, die Leidenschaften hätten sein Auge umflort.

In der zeitgenössischen Literatur scheint diese subtile Methode der Charakterisierung leider ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein. Umso mehr freute es mich, in einem just erschienenen Kriminalroman folgenden Satz lesen zu dürfen: «Nur die stechenden, blauen, klaren Augen verrieten, dass es in Holms arbeitete und dass er mit seinem Leben noch nicht abgeschlossen hatte.» Diese hinreissend formulierte Beobachtung zeigt, dass wir es mit einem Autor zu tun haben, dessen Erzähltalent auf einer Ebene mit seinem bemerkenswerten psychologischen Feingefühl liegt. Und der Leser weiss schon auf Seite 19: hier schreibt jemand, von dem ich auf keinen Fall einen zweiten Roman lesen will.

Der blauäugige Mann, in dem es arbeitet, ist übrigens der Mörder. Er will sich an jenem Autofahrer rächen, dessen Fahrlässigkeit vor mehr als einem Jahrzehnt den Tod zweier Menschen verursacht hatte. Aber nicht nur der Unglücksfahrer soll sterben, sondern auch die Menschen, denen er seinen Freispruch vor Gericht verdankt, nämlich sein Verteidiger, der psychologische Gutachter und ein gekaufter Zeuge. Die Mordwaffe passt zum Motiv des Täters: er fährt seine Opfer mit einem Ford Mustang über den Haufen.

Dass ich so bereitwillig ausplaudere, was Kommissar Lerch von der Hamburger Kripo erst mühsam herausfinden muss, hat einen simplen Grund. Der Verfasser tut’s auch. Und was er nicht verrät, kann man auf der Rückseite von Daniel Himmelbergers Taschenbuchkrimi «Der Strassenmörder» nachlesen. Das wäre alles halb so schlimm, verstünde es der Berner Autor, so etwas wie psychologische Spannung zu erzeugen. Oder gewährte er uns einige irgendwie bemerkenswerte Einblicke in die Ermittlungsarbeit der Polizei. Doch dem ist leider nicht so.

Langatmige Beschreibungen, papierene Dialoge und ein hausbackener Erzählstil sorgen dafür, dass man das Buch nach gefühlten 500 Seiten erleichtert aus der Hand legt, wenn der eine Kriminalist zum anderen sagt: «Hans, ich glaube, du hast recht. Man darf das Böse nicht einfach so hinnehmen.»

vorgestellt von Joachim Feldmann, Recklinghausen

Daniel Himmelberger: «Der Strassenmörder». Pendragon: Bielefeld, 2009

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