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Manager sind keine Vorbilder

Kein Topos der Managementliteratur ist so stabil wie der Appell an die Vorbildfunktion der Führungskräfte. Klar ist: Manager werden beobachtet. Sicher auch in besonders sensibler Weise. Doch bleibt zu fragen: Soll man bei Managern höhere Massstäbe anlegen als bei Nichtmanagern? Fachliche? Menschliche? Ist es überhaupt möglich, Vorbild zu sein? Man muss klären, was mit «Vorbild» gemeint ist. […]

Kein Topos der Managementliteratur ist so stabil wie der Appell an die Vorbildfunktion der Führungskräfte. Klar ist: Manager werden beobachtet. Sicher auch in besonders sensibler Weise. Doch bleibt zu fragen: Soll man bei Managern höhere Massstäbe anlegen als bei Nichtmanagern? Fachliche? Menschliche? Ist es überhaupt möglich, Vorbild zu sein?

Man muss klären, was mit «Vorbild» gemeint ist. Etwa dieses: Ein vorbildlicher Manager erwartet nicht von anderen, was er nicht selbst tut; er ist glaubwürdig, fachlich hervorragend und persönlich integer. Das mag als ideale Beschreibung passen – aber kann ein Manager sich durch entsprechende Handlungen zu einem solchen Vorbild machen, wie die vom Halbgedachten überflutete Managementliteratur massenhaft fordert?

Nein, kann er nicht. Ein Manager kann nicht aktiv von sich aus bestimmen, wie ein bestimmtes Handeln von der Umwelt aufgenommen wird. Er ist abhängig vom Beobachter. Und wenn der das Etikett «Vorbild» verweigert, egal aus welchem Grund, hat er keine Chance. Das heisst: Vorbildlichkeit ist allenfalls eine passive Kategorie, eine von aussen kommende Zuschreibung. Man kann Manager daran erinnern, dass sie beobachtet werden; man kann sie aber nicht dazu auffordern, sich vorbildlich zu verhalten.

Die Denkfigur «Chef als Vorbild» beruht auf dem kategorialen Irrtum, dass Vorbilder für das Erreichen der Unternehmensziele nützlich seien. Wer jedoch davon ausgeht, dass vor allem Selbstverantwortung, Innovation und Unternehmertum das wirtschaftliche Überleben sichern, dass, wer am Markt bestehen will, das kreative Potenzial der Mitarbeiter nutzen muss, der sollte sich vielmehr fragen: Sind das die Mitarbeiter, die wir brauchen, jene, die die Nachbilder von Vorbildern sind? Mitarbeiter, die nicht kreativ sind, sondern nachahmen? Die nicht vorauslaufen, sondern hinterher?

Eine auf Vorbilder gebaute Unternehmenskultur schafft mithin Abhängigkeit und unterzuständige Mitarbeiter, die ihr Ich-Zentrum nach ausserhalb verlegt haben. «Nachmachen!» denunziert die Mitarbeiter zu tumben Toren, die anders offensichtlich nicht zu mobilisieren sind. Und die man durch eine weitere Norm, eine weitere Differenz zwischen Ideal und Wirklichkeit, einen weiteren Imperativ des Sollens unter Druck setzt.

Mit bedenklichen Wirksamkeiten: Der Vorbildbetrachter geht nie in die Verantwortung. Er bleibt abhängig von der Vorgabe des idealisierten anderen, der gemeinhin Chef genannt wird. «Ich mache es, nicht weil ich es für richtig halte, sondern weil er es vormacht.» Oder umgekehrt, noch problematischer: «Ich mache es nicht, wenn der andere es auch nicht macht.» Auch bei jenen, die sonst pikiert Wert auf ihre Eigenständigkeit legen: «Sollen die Vorstände das erst mal vorleben!»

Im Grunde ist dies des Pudels Kern: Die Forderung nach dem Vorbild ist das Nicht-verantwortlich-sein-Wollen. «Hannemann, geh du voran!» Ein Beispiel dafür, dass wieder erst der andere sich ändern muss, bevor ich überhaupt mich selbst in Erwägung ziehe. Das schlechte Vorbild ist nur allzu häufig ein Argument, um selbst passiv zu bleiben. Wer selbst erlebt hat, in welches mentale Vakuum ein vorbildhöriges Unternehmen stürzt, wenn die Vorbilder straucheln oder altersbedingt ausgeschieden sind, weiss, wovon ich rede.

Wer will, dass auch Mitarbeiter in die Verantwortung gehen, der muss das Missverständnis bekämpfen, dass der Manager doch ein irgendwie besserer Mensch sei. Er ist es nicht und muss es auch nicht sein – trotz gegenteiliger Erwartung des eiligen Meinens. Führungskräfte verfügen nicht über höhere Weihen oder besondere Gnadengaben. Sie dienen als Beauftragte der Eigentümer dem Überleben des Unternehmens. Dazu brauchen sie kein quasitheologisch begründetes Amtscharisma. Einverstanden, es gibt Führungskräfte, die von vielen als Vorbild anerkannt werden; sie schaffen es, dass die Menschen ihnen vertrauen. Weit mehr noch werden aber Führungskräfte gebraucht, die es schaffen, dass die Menschen sich selbst vertrauen. Das ist ein Unterschied!

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