Making of 1051
Ungleichheit
Ein Minibus, besetzt mit den reichsten acht Menschen der Welt, versammelt heute gleich viel Vermögen wie 3,5 Milliarden Menschen der ärmeren Hälfte des Planeten. Diese Verteilung von Wohlstand sorgt aktuell für viel Empörung und gibt jenen politischen Kräften auftrieb, die sich für mehr materielle Umverteilung einsetzen.
Vor dem Hintergrund der Geschichte menschlicher Zivilisation gewinnt man allerdings ein differenziertes Bild des Problems. Walter Scheidel, Professor für antike Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Stanford, schreibt in unserer Titelgeschichte: «Über eine weite Spanne von Gesellschaften und Entwicklungsstadien hinweg korrelierte Stabilität mit wirtschaftlicher Ungleichheit» – während es vor allem Zeiten der materiellen Gleichheit waren, in denen kollektive Armut, Hunger und Not herrschten. Als die «erfolgreichsten» Gleichmacher dürfen Pandemien, Kriege, Revolutionen und Staatsversagen gelten. Scheidel nennt sie die «vier apokalyptischen Reiter der Nivellierung».
Für weitere überraschende Einsichten zu Gleichheit, Gerechtigkeit und Fairness lesen Sie die Texte von Mark Sheskin und Dagmar Schulze Heuling.
Kulturkampf ums Geben
Die Vorbereitung des Dossiers dieser Ausgabe gestaltete sich trotz langer Vorlaufzeit schwierig: Eines der Ziele, die sich die Redaktion setzte, war es, Menschen, die philanthropisch tätig sind, also Menschen, die freiwillig Zeit, Geld oder Engagement aufwenden, um anderen zu helfen, zu ihren Motiven zu befragen. Es hagelte Absagen: man wolle sich nicht exponieren, man befürchte, zur medialen Zielscheibe zu werden, über Geld dürfe man hierzulande nicht reden. Merke: wer die Zivilgesellschaft stärkt, wird mit Lob aus ebendieser offenbar eher sparsam bedacht. Woran liegt das? Als wir nun diese Frage stellten, wurden wir doch noch fündig: Monique Bär, auf dem Stiftungsplatz Schweiz keine Unbekannte, steuerte einen persönlichen Text zum «Coming-out» als Stifterin bei. Peter Schneider beantwortete heikle moralische Fragen zum Geben im Alltag. Katja Gentinetta und Heike Scholten loteten das Verhältnis zwischen Staat und privatem zivilgesellschaftlichem Engagement von der Antike bis heute aus.
Entstanden ist ein Dossier, das nicht nur das Hohelied des Gebens in freien Gesellschaften singt, sondern auch mit Kritik und Reformvorschlägen an alle Beteiligten im Stiftungswesen nicht spart: Philipp Egger nimmt sich jene Finanzdienstleister zur Brust, die sich einen sozialen Anstrich geben, aber am Ende doch keine genuin philanthropische Programmatik verfolgen, Goran Studen beklagt die Innovationsträgheit des hiesigen Sektors und Georg von Schnurbein warnt: wenn die Regulierungsdichte weiterhin so stark steigt, ist die gesellschaftliche Vielfalt, die vor allem dem Schaffen kleinerer und mittlerer Stiftungen zu verdanken ist, in Gefahr.
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Ikarus & The Walking Dead
Eigentlich hätte die Kurzgeschichte in dieser Ausgabe auch gut in unser Oktober-Dossier zum Thema Digitalisierung und menschliche Allmachtsphantasien gepasst, schliesslich geht es in Lesley Nneka Arimahs «Was es bedeutet, wenn ein Mann vom Himmel fällt» um eine Frau, die in naher Zukunft PR für einen Grosskonzern macht, dessen Geschäftsmodell es ist, Menschen von ihren schlechten Gefühlen zu befreien und sie damit buchstäblich zum Fliegen zu bringen. Arimahs Science-Fiction-Story ist phantastisch erzählt, anspielungsreich, spannend – und der «Monat» ist die erste Publikation, die das Werk der gefeierten Newcomerin in deutscher Übersetzung druckt. Literatur für jedermann ist das nicht, denn am Ende kommt es, wie es in guten Dystopien immer kommt: Jemand fällt vom Himmel. Jemand schreit. Und jemand beginnt, den eigenen Körper anzunagen