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Mainstream. Mitschwimmen oder dagegenhalten?

«So schön…so gefährlich!», warnen Plakate die anreisenden Besucher des Tessiner Verzascatals. Die Strömung des grünen Badeflusses ist mancherorts tückisch. Die Kraft der Wirbel ist unter der Wasseroberfläche nur schwer erkennbar. So gefährlich der grüne Fluss hier und dort aber ist, so nutzbringend ist seine Kraft: der Raum Locarno gewinnt aus mannigfacher Bündelung und Nutzung der […]

Mainstream. Mitschwimmen oder dagegenhalten?

«So schön…so gefährlich!», warnen Plakate die anreisenden Besucher des Tessiner Verzascatals. Die Strömung des grünen Badeflusses ist mancherorts tückisch. Die Kraft der Wirbel ist unter der Wasseroberfläche nur schwer erkennbar. So gefährlich der grüne Fluss hier und dort aber ist, so nutzbringend ist seine Kraft: der Raum Locarno gewinnt aus mannigfacher Bündelung und Nutzung der Wassermassen die lebensnotwendige Energie für mehrere zehntausend Menschen.

Die Bewegung einzelner Teilchen in einem Strom mit vielen Zuflüssen und Mäandern ist nicht bloss ein Natur-, sondern auch ein Gesellschaftsphänomen. Unter der Oberfläche des sogenannten «Mainstreams» fliessen Meinungen, Moden und Erkenntnisse von Individuen und Gruppen ebenfalls wirbel- und sogartig in unterschiedliche Richtungen. Der Hauptstrom, bestehend aus einer vermeintlich trägen, homogenen Masse, ist nutzbar für verschiedenste Akteure. Die Politik bedient sich seiner und leitet Handlungsbedarf aus ihm ab, wobei sie ihn zugleich unter Kontrolle bringen will. Die Wirtschaft senkt ihre Konsumturbinen hinein, um Produkte für die Masse abzusetzen – denn der Mainstream ist per Definition stets die grösste Zielgruppe. Und Kulturschaffende bilden den Strom zwar mannigfach ab, inszenieren aber gekonnt die bewusste Auflehnung «gegen den Strom». Der Mainstream, das sind stets die anderen.

Was aber, wenn die vermeintlich nonkonformistische Haltung plötzlich zum Massenphänomen wird? Was, wenn barfüssige Atomkraftgegner mit John-Lennon-Brillen plötzlich Hand in Hand mit konservativen Schrebergärtnern für eine generelle Abschaltung demonstrieren? Was, wenn Discounter plötzlich Luxusprodukte anbieten, an denen der Yuppie bisher seinen Status festmachte? Und was, wenn die eigene Lieblings-Punk-Band ihre kapitalismuskritischen Lieder plötzlich auf Platz 1 der amerikanischen Singlecharts spielt?

«Tipping Points» hat der amerikanische Autor Malcolm Gladwell diese Momente genannt. Es sind jene historischen Punkte, an denen Partikularströmungen zum Hauptstrom werden, ohne dass es von den jeweiligen Akteuren überhaupt bemerkt wird. Wie genau geht das vor sich? Welche Umstände führen zur Ablösung einer herrschenden Meinung oder einer herrschenden Ideologie? Und wie manifestieren sich neue Gegenströmungen? Wir suchen auf den folgenden Seiten nach Antworten in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst.

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