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Magnetfeld des kleinen Glücks

Die schwerfällige Bewegung einer Rangierlok und das Zittern des «Weltstaubfusselteilchens» im imaginären Diaprojektor des Bewusstseins, mit dem das Leben wahrgenommen werden kann: das sind die Amplituden-Enden, zwischen denen der Roman Mannharts schwingt. Er tut es bildreich und durchkomponiert. Die Handlung des zweiten Prosawerks des Autors ist sekundär und schnell erzählt: der Protagonist – vom Erzähler […]

Die schwerfällige Bewegung einer Rangierlok und das Zittern des «Weltstaubfusselteilchens» im imaginären Diaprojektor des Bewusstseins, mit dem das Leben wahrgenommen werden kann: das sind die Amplituden-Enden, zwischen denen der Roman Mannharts schwingt. Er tut es bildreich und durchkomponiert. Die Handlung des zweiten Prosawerks des Autors ist sekundär und schnell erzählt: der Protagonist – vom Erzähler durchgehend empathisch mit «Du» angeredet – pendelt zwischen seinem Wohnort Basel und dem römischen Stadtteil seiner Geliebten, mit der ihn vor allem Sex verbindet. Diesmal aber, an seinem Geburtstag, bleibt der Zug in Domodossola stecken. Nicht etwa wegen der Naturgewalt der dortigen Erdmagnetfeldanomalie – schlicht wegen eines Streiks.

Pendeln ist das Thema, Zittern, sich mühevoll Bewegen, aber auch Fliessen, Strömen. Handeln wollen/können/nicht können. Sich trennen, aber auch immer zusammensein wollen. Hin und her. Geringe/gewisse Optionen der Einwirkung auf den Fluss des eigenen Lebens. Inversionsmöglichkeit, Umpolung der Magnetströme. Herantasten an Lebensplanideen, als sei das etwas Unmögliches. Plötzliches Sterben als Beiläufigkeit, das weniger wichtig ist als Aussagesätze, Feststellungen des überlebenden Erzählers: «Dass sie nach Hefe riecht und dass Du ihr dies gleich gesagt hast.»

Mannharts Roman ist voller sprachlicher Geschenke an den Leser, Kleinodien der Assoziation und des ehrlichen Denkens: keine Extreme, keine Problematisierungen, weder Heldentum noch Verzweiflung sind dem Subjekt nahe, das spät im Text als eine Gestalt aus Mannharts Erstling «Der Luchs» identifiziert wird. Ganz alltäglich und normal ist es, keine objektiven Schwerpunkte vorzufinden. Diese wandern über die Erde, unbeständig wie der magnetische Nordpol. Das Alphabet lautet bei jedem Menschen anders, der Name mutiert von Elisa zu Luise und zurück.

Das Emblem des Bilgerverlages auf dem Buchdeckel – eine Hand mit 6 Fingern – fast wie ein ironisches Lächeln über so viel Kunst? Über einen Kick zu viel Sprache, zu viele Motivreihen, zu viel Zugriff – Hefepilz, Scheidenpilz, Doederleinbakterien, Strom, strömen, Stromschlag, Toilette, Lavabo, Pissen…? Keine Planeten stehen am Geburtstag zum Grusse der Sonne, es knirscht die Lok am Bahnhof von Domodossola im einmal, einmal abweichenden Magnetfeld des kleinen Glücks.

besprochen von Sabine Kulenkampff, Erlangen

Urs Mannhart: «Die Anomalie des geomagnetischen Feldes südöstlich von Domodossola». Zürich: Bilger, 2006.

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