Magie und Macht
Souveränität – worin sie besteht, ist rein abstrakt schwer zu definieren. Besser man hat ein anschauliches Beispiel vor Augen, auf das sich verweisen lässt. Eines wie das aktuelle Buch von Jean Starobinski etwa. Derlei nämlich kann nur geschrieben werden, wenn stupende Vielseitigkeit sich mit intimster Kennerschaft und der Lust paart, die eigene Faszination an einer […]
Souveränität – worin sie besteht, ist rein abstrakt schwer zu definieren. Besser man hat ein anschauliches Beispiel vor Augen, auf das sich verweisen lässt. Eines wie das aktuelle Buch von Jean Starobinski etwa. Derlei nämlich kann nur geschrieben werden, wenn stupende Vielseitigkeit sich mit intimster Kennerschaft und der Lust paart, die eigene Faszination an einer Fragestellung auch anderen mitzuteilen. Dabei gelingt dem Autor ein doppeltes Kunststück. Rückzüge hinter die Palisaden irgendwelcher scientific communities finden nicht statt, von modischem Gerede und verschwurbelten Theoriebildungen hält er sich fern. Ebensowenig jedoch begibt er sich auf das Niveau des blossen Sachbuchs. Sein dichter, rasanter und zuweilen sprunghafter Erzählton nimmt dem Gegenstand nichts von dessen Anspruch. Entstanden ist so ein Text, der uns, gespickt mit Details und durchsetzt von zahlreichen Exkursen, nicht nur seines Reichtums an Aspekten wegen fordert. Leser, die sich darauf einlassen, tun dies allemal mit Gewinn – und (in Zeiten wie diesen nicht ganz nebensächlich!) sie mögen nebenbei lernen, welche Weltzugänge historische Bildung zu erschliessen vermag.
Der 1920 geborene Genfer Gelehrte ist einer der letzten universal ausgerichteten Denker, die dem Spezialistentum (das immer auch geistige Verzwergung bedeutet) selbstbewusst eine Nase drehen dürfen. Von Haus aus Mediziner, mit starken Affinitäten zur Psychoanalyse, könnte, ja sollte man ihn insbesondere als führenden Ideengeschichtler des französischen Geistes zwischen Montaigne und Baudelaire kennen. Dass keine Vernunft ohne Verführung besteht, weiss er natürlich, und diese hat stets mit dem Überschreiten einer Grenze zu tun. Eben darum geht es im neuen Buch Starobinskis. Ort der Handlung ist vor allem die Oper, mit Mozart als Zentralgestirn, um den er von Monteverdi bis Richard Strauss andere Respektabilitäten kreisen lässt. Was sie in ihrer darstellerisch grandios gemeisterten äusseren Vielfalt und inneren Vielschichtigkeit verbindet, steckt ein Grundlagenteil zu Beginn ab.
Hier wird deutlich, dass des Verfassers Augenmerk den Wandlungen «mythischer Einbildungskraft» in einer sich ent-zaubernden Welt gilt. In diesem Prozess besteht der besondere Erkenntniswert der Oper darin, dass die lebensgefährliche «Unterscheidung … zwischen dem richtigen Weg und der Verirrung» buchstäblich Gestalt angenommen hat – in jenen «Verführerinnen», den «Zauberinnen» zumal, welchen das Buch seinen Titel verdankt. Sie sind Trägerinnen von Magie und Macht, deren Herkunft sich ins Archaische verliert. Um sie spielt sich das Psycho-Drama zwischen «Erzeugnissen der Begierde» und der «Furcht vor Strafe» ab. Oft ist die Sinnlichkeit unter ihren Verheissungen das eigentlich Wunderbare.
Im Laufe der historischen Entwicklung geht nun der «Zauber im wörtlichen Sinn», die von Personen ausgeübte Gewalt, in den «Zauber im übertragenen Sinn» über, «die Ekstase, den Enthusiasmus und den Rausch der Gefühle», deren Träger eine Musik ist, die das dichterische Wort überhöhen soll. Starobinskis Beschreibung der Kontinuität «eines Bildersystems in der europäischen Kultur» nimmt die fortschreitende «Ästhetisierung des Religiösen» in den Blick, einen Transformationsprozess, in dem Kunst schliesslich das Erbe vormaliger theologischer Autoritäten antritt. An dessen Ende ist «die Bezauberung recht eigentlich zur Angelegenheit des Künstlers geworden … zur Macht, die er sich aneignet, und zum Bild, das er von sich zeichnet.» Von hier ist es nur noch ein kleiner Schritt zur politischen Ästhetik der Verführung, in die das «Gefälle einer Epoche» tatsächlich ausläuft. Starobinski gelingt es, solche Zusammenhänge allein durch Konzentration auf den «Statuswandel der Kunst» nachvollziehbar zu machen.
vorgestellt von Hans-Rüdiger Schwab, Münster
Jean Starobinski: «Die Zauberinnen. Macht und Verführung in der Oper». München: Hanser, 2007.