Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos

Märkte verschwinden

Staatstitel verkaufen, kaufen, bunkern, garantieren: Regierungen, Zentralbanken und Geschäftsbanken spannen zusammen, um den Markt auszuhebeln. Sie tun dies seit Jahren ziemlich erfolgreich. Wie kommt der Markt wieder zu seinem Recht?

Märkte verschwinden

I. Einstieg beim Schlussakt, dessen Nachspiel noch offen ist

Das Trio aus Regierungen, Zentralbanken und Geschäftsbanken probt das grosse Finale. Denn für Schuldpapiere vieler EU-Staaten gibt es auf freien Märkten keine Käufer mehr. Bliebe Markt erlaubt, würden für 10 000-Euro-Papiere halt nur 5000 oder 3000 geboten. Schliesslich wissen potentielle Käufer, dass vergreisende Bevölkerungen die Schulden im Namen ihrer staatsbürgerlichen Seite niemals verzinsen oder tilgen können.

Das breite Publikum mag glauben, dass Griechen und andere Wackelkandidaten nach erfolgter Entschuldung ihre Staatstitel wieder loswerden, weil durch «Strukturreformen» und strenge EU-Auflagen ihre Konkurrenzfähigkeit wiederkehre. Die Beteiligten wissen, dass Hellas selbst im reichsten Jahr seiner Geschichte, nämlich 2007, mit 11 Millionen Einwohnern nur 800 internationale Patente schaffte – gegen die rund 25 000 der 7,8 Millionen Schweizer. Damals hatten die Hellenen ein Durchschnittsalter von 40 Jahren, 2025 werden es noch rentennähere 46 sein – allerdings nur unter der Bedingung, dass die gerade auswandernde Elite zurückkehrt. Niemand wird diesen sympathischen Landstrich als Wettbewerber fürchten müssen.

Für das Umgehen des Marktes entwickelt unser Trio zwei Hauptlinien.

Erstens kauft die Europäische Zentralbank (EZB) seit Mai 2010 auf dem Sekundärmarkt Staatstitel von Irland bis Griechenland, damit die Papiere nicht zu weit unter Nennwert fallen. Europas Geschäftsbanken verkaufen ihr deshalb bis Ende 2011 für insgesamt 200 Milliarden Euro solche Titel – nicht immer zum Nennwert, aber weit über den 25 bis 45 Prozent, die es auf dem Markt gäbe. Wer sich nun empört, dass die Banken Milliardenverluste bei der Zentralbank «abladen», verkennt, dass nicht die EZB, sondern am Ende der Staatsbürger diesen Segen beschert. Denn auch die EZB ist eine Bank und keine Behörde, die grenzenlos Geld drucken kann. Sie schöpft für die Geschäftsbanken frisches Geld gegen hinterlegte Sicherheiten als Pfand. Kann nun eine Geschäftsbank nicht tilgen und erweist sich auch ihr Pfand als wertlos, dann hat die Zen­tralbank nichts, womit sie die weiter zirkulierenden Noten aus dem Umlauf zurückkaufen könnte. Sie muss die nicht getilgte Summe dann mit Eigenkapital ausgleichen. Davon aber hat die EZB als Tochter der nationalen Zentralbanken nur 11 Milliarden Euro, die nach einem 50-Prozent-Preisverfall der Papiere über 200 Milliarden einen Verlust von 100 Milliarden bringen. Ersatz für das ausgelöschte Kapital müssen als Eigentümer der EZB die nationalen Zentralbanken bzw. die dazugehörigen Regierungen aufbringen. Beschafft wird es von ihren Finanzministern durch den Verkauf zusätzlicher Schuldpapiere. Da die mehrheitlich aber nicht 1:1 absetzbar sind, muss die dadurch zu rettende EZB selbstrettend eingreifen und im Effekt den Preis ihres neuen Eigenkapitals mit unbegrenztem Ankauf solcher Papiere künstlich hochhalten.

Damit wären wir bei der zweiten Hauptlinie angelangt. Die EZB verleiht seit Dezember 2011 an die Geschäftsbanken Geld zu
einem Minizins von 1 Prozent. Statt der üblichen Tilgungsfristen von einigen Wochen müssen die Bankeigentümer diesmal erst nach 36 Monaten tilgen, so dass sie mehrere Jahresgewinne einfahren können, bevor sie selber zahlungspflichtig werden. Frei nicht mehr 1:1 verkäufliche Staatstitel, deren Erträge dabei weiter an sie fliessen, dürfen sie bei der EZB als Pfand fürs neue Geld hinterlegen. Nun bringen frisch gekaufte Staatstitel für das Dreijahresgeld zwei bis fünf Prozent, in der Spitze also das Fünffache der Zentralbankforderung. Allein am 21. Dezember 2011 borgen sich Geschäftsbanken von der EZB fast eine halbe Billion Euro, die zur Hauptwaffe gegen den Preisverfall der Staatstitel werden sollen. Die Zinsen für die Geschäftsbanken haben die Regierungen aber nicht bar parat. Deshalb werden auch sie durch Verkauf zusätzlicher Papiere aufgebracht. Jede Gewinnmilliarde der Banken aus Staatspapierhandel erscheint also zeitgleich als zusätzliche Schuldenmilliarde bei den Staatsbürgern. Zinsüberweisungen für die von der EZB und ihren nationalen Zentralbankmüttern (EZB-System) auf dem Sekundärmarkt angekauften Staatstitel werden ebenfalls so aufgebracht. Was diese ihren Finanzministern an Gewinnen überweisen, stammt aus zusätzlichen Schulden, die von denselben Ministern im Namen der Bürger aufgenommen werden.

All dies spielt sich in den luftigen Sphären der Politik- und Finanzbranche ab. Dem Firmensektor, der allein Gewinne und Löhne für Steuern zur Bedienung der Staatsschulden erarbeitet, kommt unser Trio Infernale bei diesen Operationen nicht einmal nahe. Und doch landen alle neuen Bürden auf den Staatsbürgerschultern eben dieser privaten Unternehmer und Arbeitskräfte.

Die Geschäftsbanken des Trios wissen genau, dass sie ihre Gewinne nicht durch Kredite für Produktions- und Effizienzsteigerungen von Unternehmen erlangen sollen, sondern durch reine Preissteigerungen. Sie begreifen mithin, dass sie gegen den alles niederreissenden Preisverfall der Staatstitel eingespannt werden. Das funktioniert streng nach Lehrbuch: Wir Regierungen liefern die Staatstitel als Luftpfand fürs Gelddrucken, und ihr Geschäftsbanken pumpt durch fleissigen Zukauf die Preise dieser Papiere immer wieder auf. Anders geht es nicht. Schliesslich müssen allein die Euro-Politiker im Stagna­tionsjahr 2012 für 800 Milliarden Euro frische Titel losschlagen – nicht fürs Tilgen, sondern fürs Um- und Hochschulden. Die Banken, die all das kaufen sollen, können das jedoch nur, wenn sie gleichzeitig Titel über 570 Milliarden für frisches Eigenkapital und alte Umschuldungen an Anleger in aller Welt verkaufen können. Das wiederum gelingt – nicht mehr nur in der EU-Südschiene – nur noch dadurch, dass die überschuldeten Staaten, deren Titel die dabei noch wackliger werdenden Banken kaufen sollen, ihrerseits die von den Banken im eigenen Namen verkauften Schuldtitel garantieren und das EZB-System diese doppelt faul besicherten Papiere als Pfand für frisches Geld akzeptiert.

Die genaue Kenntnis all dieser Tricksereien hält die Bankeigentümer nicht ab vom Mitwirbeln bei einer Tarantella, die nur durch Kollaps verlassen werden kann. Denn die Konkurrenz untereinander zwingt sie ins «Billig»-Geld. Sollte ein Bankhaus Züchtig das Geld für ein Prozent verschmähen und auf fünf Prozent warten, während die anderen mit dem Wundersegen Geschäfte machen, geht es mit Anstand unter. Unter dem Eindruck der zweiten Nullzinsgeldwelle von 2002 aus der US-Fed – nach der uns gleich beschäftigenden 1995er aus Tokio – bringt Citigroup-Chef «Chuck» Prince die neue Geschäftspraxis im Juli 2007 auf den Punkt: «Wenn die Musik der Hyperliquidität verstummt, wird es kompliziert. Aber solange die [Zentralbank-]Kapelle spielt, muss man aufstehen und tanzen. Noch tanzen wir.»1

Die unwiderstehliche Verlockung durch das zentrale Nullzinsgeld treibt die Geschäftsbanken erst in all die Machenschaften, die nun mit immer neuen Regeln bekämpft werden. Ihr Hauptdelikt wird die Nichterhöhung des Eigenkapitals, das parallel zu den neuen Engagements wachsen müsste, aber eben niemals für null zu haben ist. Verwegen ist auch die Zweitverwendung des Pfandes guter Kunden für das Eingehen eigener Kredite. Bis 2007 werden so von Geschäftsbanken weltweit 4,5 Billionen Dollar aufgenommen.2 Während die Regierungen also mit der einen Hand immer mehr Gesetze für immer bessere Feuerlöscher gegen solche windigen Praktiken erlassen, schleudern sie mit der anderen immer mehr Brandbeschleuniger in Form von Nullzinsgeld in die Märkte. Man züchtigt die gefallenen Mädchen, erlaubt den Verführern aber immer schamlosere Angebote.

Im aktuellen Schlussakt seit 2008 wird der – 1995 in Japan einsetzende und 2002 in New York beschleunigte – Rhythmus noch heisser. Die grössten Zentralbanken der Welt in Tokio, New York, London, der EU und auch in Bern spielen seitdem ohne Pause in einer globalen Bigband, weil der Preisverfall der Staatstitel immer lauter übertönt werden muss. Nie soll durchdringen, dass es allein überschuldete Staaten sind, die neue Schulden eben dieser Staaten garantieren. Denn bei Entweichen der Luft aus ihren Titeln gibt es kein Halten mehr. Sie stecken in den Eigenkapitalen von Unternehmen, Banken und Zentralbanken und besichern als Pfänder die meisten Schulden. Sie füllen also die Töpfe für das Glattstellen von Verlusten und sind die DNA des Wirtschaftens. Wenn nach Aussteigen irgendeines Grosskäufers der künstliche Wert eines 10 000er-Papiers dann doch auf einen Marktpreis von 5000 sinkt, bleiben immer noch die vollen 10 000 für seinen Ankauf von Geschäftsbanken und Anlegern geschuldet. Niemand aber kann in der Anlage verlorene 5000 durch im selben Moment beim Eigenkapital verlorene 5000 glattstellen. Das Wirtschaften zerbricht, und die Suche nach unbelastetem Eigentum für das Betreiben neuer Zentral- und Geschäftsbanken beginnt von vorn. Doch der Reihe nach.

II. Die noch nicht ruch-, aber schon unerlaubt ahnungslosen Eröffnungsakte von 1995 und 2002

Von 1970 bis 1989 springt Tokios Nikkei bis auf 39 000, um bis 1995 auf 15 000 abzusacken. Erst geht es hoch, weil Japans intelligente Menschen Waren produzierten, die man in der ganzen Welt begierig kauft, was einen gewaltigen Cashflow nach Nippon spült, der vor allem in Aktien und Grundstücke geht. Nach deren Preissteigerungen verpfändet man sie für höhere Schulden. Die setzt man für weitere Preissteigerungen ein, bis die Erträge der gekauften Vermögen unter den Zins der für sie aufgewendeten Kredite sinken. Während das als Slow Crash abläuft, reisst die Bank of Japan als zweitgrösste Zen­tralbank der Welt den Zins in hektischen Schritten von sechs auf ein Prozent herunter.

Anders als gewöhnliche Bürger, die den Wechselkurs als Preis des Geldes erfahren, halten die Japaner und ihre westlichen Kollegen den Zins für den Preis des Geldes. Durch seine Absenkung könne man die Unternehmen mit Geld regelrecht fluten und so wieder funktionsfähig machen. Doch Zins ist der Preis, den ein Schuldner einem Gläubiger dafür bezahlt, dass dieser sein Eigentum für die Besicherung von Geld belastet, also unfrei macht. Deshalb bekommt nicht derjenige mit dem höchsten Zinsangebot das Geld, sondern derjenige mit dem sichersten Eigentumspfand. Je besser das Pfand, desto leichter kann man mit ihm das ausgeliehene Geld aus dem Umlauf ziehen und das für seine Besicherung belastete Eigentum wieder frei machen. Die mit dem besten Pfand machen solche Belastungen also am wenigsten riskant und zahlen deshalb auch den geringsten Zins (prime rate).

In einem Crash nun sinken mit den Eigentumspreisen automatisch auch die Pfandmassen. Die japanischen Zentralbanker
erschrecken nach 1995 über ihre Wirkungslosigkeit, weil sie den crasherzeugten Pfandverlust nicht auf dem Radar haben. Deshalb bringt auch das noch panischere Zinssenken von 1 auf 0,1 Prozent zwischen 1995 und 2002 dem Firmensektor nichts. Erst bei einem Sechzigstel der Ausgangsgrösse (6 auf 0,1 Prozent) treten sie mit einem Geständnis vor die Menschheit: Ungeachtet 30 Prozent höherer  Ausleihungen an die Geschäftsbanken im Jahre 2002 wachsen deren Kredite an Firmen nur um rund 3 Prozent. Zugleich zahlen Weltfirmen bei Tokioter Kredithaien mit 20 Prozent das 200fache des Zentralbankzinses. Das können sie, weil im Crash ihre Verpfändungsfähigkeit absinkt, ihr Cashflow für Zinszahlungen aber Weltspitze bleibt. Bei Banken daheim oder im Ausland sind sie deshalb nicht kreditwürdig, während Haie per definitionem das grössere Risiko durch Wucherzins ausgleichen.

Während die Pfandpreise der Unternehmen im Crash fallen, bleiben ihre Schulden so hoch wie zuvor. Schuldsummen sind immer fix, während das Eigentum für die Besicherung von Geld sowie für die Besicherung der Kredite für sein Weiterverleihen im Preis immer schwankt. Doch von etwas Ab­straktem wie Eigentum versteht man gemeinhin wenig, obwohl es die Grundlage unseres Wirtschaftens ist. Mir sei deshalb ein kleiner Abstecher in die ökonomische Theorie erlaubt.

Viele Bankbeamte und ihre Ökonomielehrer kennen nur Besitz und nennen ihn fälschlich Eigentum, das sie wie das Geld für ein physisches Gut halten. Nur die Eigentumsgesellschaft aber hat – anders als Stammesgemeinschaften und Feudalherrschaften – neben dem Güterbesitz auch unphysische Eigentumsrechte. Mit beidem wird gleichzeitig operiert. Während man die Eigentumstitel für die Geldbesicherung aktiviert, werden unbeeinträchtigt davon ihre physischen Besitzseiten genutzt. Ist das Vermögen ein Getreideacker, kann man seine erdige Besitzseite einsäen und abernten, aber gleichzeitig mit seiner Eigentumsseite Geld besichern. Geld ist mithin kein Ding, sondern ein Eingriffs- oder Einlöserecht in die undingliche Eigentumsseite des Ackervermögens. Besichertes Eigentum darf nicht weitere Besicherungen leisten und auch nicht verkauft oder verschenkt werden. Es ist vorzuhalten für den Fall, dass Geld in Eigentum eingelöst wird oder nicht zurückgezahltes Geld mit ihm aus dem Umlauf gekauft werden muss. Der Eigentümer verliert also vorübergehend die Dispositionsfreiheit über das so aktivierte Eigentum. Und es ist dieser wesentliche, aber unphysische Verfügungsverlust der geldschaffenden Gläubiger, den die Schuldner mit Zins ausgleichen müssen.

Weder beim Schaffen noch beim Weiterverleihen von Geld werden Güter herumgereicht. Betrachtet man an unserem Acker den Zaun als Eigentumstitel, dann wird nur mit dem Zaun gewirtschaftet, also verpfändet, besichert, verkauft und vollstreckt. Mit der Besitzerde wird lediglich und ewiglich produziert. Geht es um eine Viehweide, verlässt beim Blockieren ihrer Eigentumsseite für die Geldbesicherung nicht eine einzige Kuh die Wiese des Bankiers. Er verleiht ein Stück Metall mit einer eingeprägten Kuh – wie beim römischen aes rude. Seine lebendigen Tiere jedoch fressen bei ihm und werden weiter bei ihm gemolken. Ein Milch- bzw. Güterverlust, aus dem die Nobelpreisökonomie den Zins erklärt und den sein Schuldner bei Rückerstattung der Kuh durch einen Käsezins auszugleichen hätte, fällt überhaupt nicht an.

Verzichtet nun eine Zentralbank auf Zins, erreicht sie für pfandlose Unternehmen im Leistungssektor gar nichts, belastet aber ihr für die Geldbesicherung unverzichtbares Eigentum ohne Entgelt. Wie kann dieser Zinsverzicht den Banken nützen, obwohl sie das so geliehene Geld nicht an den Leistungssektor weiterleihen? Beim Normalgeschäft findet eine Geschäftsbank einen Unternehmer als Schuldner, der zur Modernisierung gezwungen wird oder selbst zum Typus kreativer Zerstörer gehört. Kredit erhält er für seine Umrüstung nur, wenn er Pfand stellt, Zins zusagt und seine Bank sich – wiederum gegen Pfand und Zins – Zentralbankgeld zum Weiterverleihen an ihn besorgen kann.

Steht zentraler Nullzins am Beginn des Geschäfts, müssen Banken Anlagemöglichkeiten erst einmal suchen. Die Schuldner aus dem Leistungssektor verschulden sich wegen plötzlich fallender Zinsen nicht ein zweites Mal. Sie verschulden sich, wenn sie es müssen, weil der Firmenpreis durch Innovationen der Konkurrenz gefährdet ist. Liegt dieser bei einer Milliarde und der Modernisierungskredit bei 100 Millionen, dann machen drei oder fünf Prozent Zins eine Differenz von zwei Millionen. Fällt eine Zinsminderung zufällig genau in den Zeitpunkt des Umrüstungszwanges, dann freut man sich selbstredend über zwei gesparte Millionen. Aber regiert gerade ein höherer Zins, dann zahlt man auch ihn, weil er gegen die zu rettende Milliarde zweitrangig ist.

Ein zu hoher Zins dagegen kann schnell und hart zerstören wie im Schlussgalopp zur Weltwirtschaftskrise 1929. Politiker lassen ihn damals hochsetzen, um einige hunderttausend Spekulanten vom Leihen für Aktien­kauf durch Verpfändung soeben teurer gewordener Aktien abzubringen. Für alle Firmen der USA steigen dabei die Zinsen so hoch, dass viele selbst dann nicht mehr investieren können, wenn die Konkurrenz sie treibt. Zugleich fahren Regierungen ihre Ausgaben zurück, so dass über Gebühr zinsbelastete Unternehmen auch noch Aufträge verlieren. Hätte man stattdessen den Aktienkauf auf Kredit verboten und die Staats­ausgaben konstant
gehalten, wäre die Ver­schlimm­besserung der Krise zu einer Hyperkrise unterblieben. Gelernt wird aber nur, dass man in Krisen mit dem glatten Gegenteil von 1929 – also diesmal Zinsen runter und Staatsschulden hoch – schon alles richtig mache.

Eben diese Gewissheit bringt uns zurück in das Jahr 1995, als Japans Zentralbanker den Zins von 6 auf 0,1 Prozent sacken lassen und doch nur Blasenmärkte bewirken. Alle Investitionen nämlich, deren Erträge von – sagen wir 4 Prozent – bei einem Zentralbankzins von ebenfalls 4 Prozent sich nicht lohnen, werden bei 0,1 Prozent eine Goldgrube, obwohl sich an ihnen qualitativ nichts ändert. Die Banken investieren so lange in Preissteigerungen, wie der Ertrag über dem Minizins bleibt. Was eine Million kostet und 4 Prozent bzw. 40 000 bringt, hat nach Preisverdopplung auf zwei Millionen zwar immer noch einen Ertrag von 40 000, die jetzt aber nur noch zwei Prozent ausmachen. Doch auch die liegen satte zwanzigmal höher als die 0,1 Prozent der Zentralbank. Bis zum Platzen der Blase wird das als Bullenmarkt bejubelt. Dann aber müssen alle verkaufen, bevor selbst ihre «billigen» Schulden höher liegen als die Preise des damit Gekauften. Das Billiggeld ab 1995 aus Japan bewirkt lediglich eine ungebührliche Überhitzung des 2000/01 crashenden Booms, der mit dem Internet immerhin eine innovative Basis hat. Hingegen wird der 2008 crashende Boom fast nur durch eine Billiggeldwelle getrieben, die ab 2002 von der Fed erst richtig hochgepeitscht wird.

Fängt die Zentralbank eines Landes mit dem Nullzins an, erleiden ausländische Geschäftsbanken Wettbewerbsnachteile. Etliche können sich aber durch Filialen in Tokio ab 1995 ebenfalls mit Yen vollsaugen, die in andere Währungen wechseln (carry trade) und nun ebenfalls durch Mitwirken bei Preissteigerungen aller Vermögensklassen einen Reibach machen. Das dadurch erzeugte Kursgewitter wird im Dezember 1996 – also 18 Monate nach dem 1-Prozent-Zins in Tokio – durch Fed-Chef Alan Greenspan bemerkt, aber nicht verstanden: «Wie können wir erkennen, dass irrationale Übertreibung [exuberance] zur ungebührlichen Aufblähung von Vermögenspreisen führt, die dann unerwartet und langfristig abrutschen?»

Was sind nun Krisen der gewöhnlichen Art im Unterschied zu staatlich verschärften? Sie erwachsen daraus, dass Unternehmer immer den Preis ihres Eigentums verteidigen. Deshalb sind immer alle Mitglieder einer Branche gezwungen, die Innovationen nachzuvollziehen, die ein Konkurrent vorlegt, wenn er zum Beispiel von Schreibmaschinen auf Computer wechselt. Nicht die Beachtung von Angebot und Nachfrage steht dann im Vordergrund, sondern das Überleben des Unternehmens. Der Computer senkt nämlich mit dem Preis der Schreibmaschinen auch den Preis ihrer Herstellerfirmen und zwingt sie in die Umrüstung. Während ihre Preise schon fallen und so ihre Verpfändungsmasse schwindet, hasten sie zu den Banken, bevor ihre Kreditwürdigkeit auf null ist. Die Modernisierer sehen durchaus, dass nach Abschluss der Umrüstung alle Konkurrenten zusammen schneller und mehr produ­zieren, als verkauft werden kann. Sie müssen also sehenden Auges an der Über­produktion von morgen mitwirken oder gleich Eigentum einbüssen. Ein Dittes gibt es nicht. Sie haben nur die Wahl zwischen umgehendem Verschwinden und der blossen Chance, morgen zu den acht von zehn Computerfirmen zu gehören, die überleben, also die Preissenkungen für das Auslöschen der Überkapazitäten aushalten können. Für ihre Banken gilt dasselbe. Auch sie können nur ahnen, ob ihre Schuldner beim Abbau der Überproduktion untergehen oder die Schuldner der Konkurrenzbank dann keine Computer verkaufen, obwohl auch sie hochmodern sind.

Anders als in Branchenkrisen verschulden sich vor grossen Crashs fast alle Wirtschaftszweige gleichzeitig für die Eigentumsverteidigung. Dabei entsteht eine mit Pfand unterlegte und für Produktivität einzusetzende, also keine leistungsferne Geldschwemme. Auch sie führt zu Steigerungen der Preise für all die heiss umkämpften Anlagen und Arbeiten, die für die Modernisierung unumgänglich sind, nach ihrem Abschluss aber wieder herunter müssen und damit die Krise einleiten. Solche Langbooms folgen auf Neuerungen im Transport, der Informationsübertragung, bei Werkstoffen und Energieträgern. Das gleichzeitige Auftreten mehrerer solcher Durchbrüche charakterisiert den Beginn eines Superbooms, der dann in einer Grosskrise endet. Der Internetboom ab 1989, der Millionen Firmen und Milliarden Menschen online bringt, liefert dafür mit seinem Crash 2000/01 ein Lehrbuchbeispiel. Auch der Boom von 1922 bis 1929, als für Radios, Telephone und fliessbandproduzierte Autos quer über alle Branchen und Konsumenten Geld geliehen werden muss, steht für eine echte Innova­tionskrise.

Während nun Japans Regierung durch Billiggeld im eigenen Land und die Möglichkeit von globalem Carrytrade bis 2000/01 den Internetboom über angemessene Preissteigerungen hinaustreibt, wird an einem anderen Ort eine weitere staatliche Bombe der Marktzerstörung gezündet, von der in Tokio allerdings niemand etwas ahnen kann. Im Bau war diese Monsterwaffe seit 1977, als die Carter-Regierung mit dem Community Reinvestment Act die US-Geschäftsbanken mit Ausschluss von der Einlagenversicherung bedroht, wenn sie Bürgern ohne Pfand nichts leihen. 19 Millionen Familien mit 60 Millionen Menschen sollen sich damals auch ohne Sicherheiten für Wohneigentum verschulden dürfen, um dem Mieterdasein zu entkommen. Diese Axt an der Wurzel des halben amerikanischen Kreditgeschäfts wird 1994 durch Bill Clintons National Homeownership Strategy noch einmal geschärft, weil immer wieder Banken beim Einhalten der Kreditvorschriften erwischt werden und deshalb feste Quoten für das Akzeptieren fauler Schuldner aufgebrummt bekommen. Das Erhöhen der Ausleihungen erhöht aber das Eigenkapital nicht. Und aus der Not dieser Bilanzverschlechterung soll das globale Weiterverkaufen der Hauskredite als Hypothekenpakete befreien. Diese famose Idee für saubere Bücher bekommt Flügel jedoch erst mit Japans 1-Prozent-Zins ab 1995. Die aus gegenseitiger Konkurrenz mit Zentralbankgeld vollgesaugten Geschäfts­banken nehmen die Subprime-Pakete als Anlagegeschenk des Himmels. Die Käufer gewinnen Vier- oder Fünfprozenter, obwohl sie selbst nur ein Prozent zahlen müssen. Naiv ist dabei niemand. Alle wissen, dass bei Subprimern im Ernstfall nichts zu holen ist. Also versicherten alle ihre nagelneue Anlage­klasse für einen Bruchteil der Gewinnmarge gegen deren Ausfall. Aber beim gleichzeitigen Brand aller Häuser nach US-Zinserhöhungen zwischen 2004 und 2007 nebst Nachforderungen an die eigentumslosen Subprimer verbrennen eben auch die Versicherungen einschliesslich des Weltführers American International Group (AIG).

Richtig heiss aber wird der Subprime-Markt erst 2002, als die Fed den Realzins auf minus 0,75 Prozent (nominal 1 bis 1,25 Prozent) drückt. Wieder will man nach einem Crash Unternehmen mit Geld fluten, um – so Greenspan – «eine befriedigende Wirtschafts­leistung zu fördern». Was in Japan scheitert, funktioniert freilich auch in Amerika nicht. Zentralbanken können Firmen nicht helfen. Sie können «Ausleiher letzter Hand» sein, wenn cash-knappe, aber noch eigentumsversehene Geschäftsbanken über Nacht zu kollabieren drohen. Zentralbanken kaufen dann in einer Blitzaktion ihr Vermögen oder akzep­tieren es als Pfand. Dafür fordern sie einen erhöhten Zins, damit nicht auch Geschäftsbanken anklopfen, die gar keine neuen Kreditnehmer haben. Eben diese Sorge führt Walter Bagehot in Lombard Street [1873] zur Grundregel der Zentralbank: «Für die Kredite ist ein sehr hoher Zinssatz zu verlangen. Das wird die Mehrzahl der Anträge von Häusern verhindern, die sie gar nicht brauchen.» Dass man Geld nicht für null ausleihen darf, muss man damals niemandem einbleuen. Schliesslich sind billige Metallplättchen und Scheine nur wertvoll, solange sie durch preisstabiles Eigentum der Emissionsbank besichert sind. Erst diese Eigentumsbesicherung befähigt Bares zum Eigentumskauf. Und da eine Zen­tralbank beim Geldbesichern Eigentum unfrei macht, steht ihr für diesen Dispo­si­tions­verlust nun einmal Zins zu. Verzichtet sie dar­auf, befürchtet Bagehot schon 135 Jahre vor Chuck Prince eine Preisblähungs-Tarantella der Banken, die es «gar nicht brauchen».

Und genau so kommt es in den USA. Vier Dollar aus der Fed-Zinsnullung für die Geschäftsbanken bringen nur einen Dollar neues Bruttoinlandsprodukt. Dafür steigt bis 2007 die Verschuldung der Geschäftsbanken auf 50 Prozent aller Schulden von US-Unternehmen – gegen normale zehn Prozent im Jahre 1980. Die Schulden dieser Banken stehen 2007 bei 116 Prozent des US-Brutto­inlandsprodukts – gegen 21 Prozent 1980. Mit nur 5 Prozent der US-Beschäf­tigten von 2007 kassierten US-Banken 40 Prozent der Gewinne börsennotierter Unternehmen – durch Preissteigerungen von Aktien, Rohstoffen, Immobilien, Kunstwerken etc. Zwischen 2002 und 2004 und dann wieder von 2008 bis 2011 leiht die Fed 29 Billionen Nullzinsdollar an Bankeigentümer. Deshalb entfallen bereits im Juni 2009 von 100 Dollar US-Nettovermögenszuwachs 98 auf blosse Preisblähungen. Der Carrytrade wird noch voluminöser, weil etwa in Indonesien, Brasilien oder China die Zentralbanken immer noch korrekte Zinsen fordern und ihre Geschäftsbanken mit Ingrimm sehen, wie die ferne Konkurrenz bei ihnen mit Billiggeld Vermögen aufkauft und Wechselkurse treibt. Schon im Januar 2010 klagt die Bank of China, dass der Westen «durch einen Dollar-Carrytrade von 1,5 Billionen Riesenprobleme schafft»3 und global die Märkte verfälsche.

Die Carrytrader gehören zwar zu Banken, wollen aber wie jeder Händler nur aus ihrem Einsatz mehr rausholen, dürfen
anders als diese jedoch an den Zentralbankschalter. Deshalb wächst etwa bei Goldman-Sachs zwischen 1998 und 2009 der Ge­­winnanteil durch Handel von 28 auf 76 Prozent. Nur Greenspans «befriedigende Wirtschaftsleistung» bleibt aus. Da Nullzinsgeld aber auch in die Steigerung von Rohstoffpreisen fliesst, wird es für die Unternehmen sogar teurer.

Dasselbe passierte den soliden Häusleschuldnern. Von allen US-Hypothekennehmern sind Ende 2011 nicht nur die Subprimer aus dem Crash von 2008, sondern rund 50 Prozent effektiv unter Wasser, können mit den erzielbaren Preisen also die Eigenanteile und Gebühren für den Kauf neuer Häuser nicht aufbringen.4 Während das Billiggeld den Subprimern keine Kreditwürdigkeit verschaffen kann, zerstört es sie in der Mittelschicht, die wegen der zwangsverkauften Pleitehäuser einen wuchtigen Preisabschlag auf ihr wichtigstes Vermögen erleidet.

Es ist nun mal so: Zentralbanken können nach einem Crash für eine «befriedigende Wirtschaftsleistung» mit Zinsnullung nichts ausrichten. Denn sie haben für die nicht mehr verpfändungsfähigen Unternehmen kein Eigentum zur Besicherung frischer Kredite, keine Innovationspatente für Siege gegen die Konkurrenz und keine Spitzenköpfe für das Umsetzen solcher Neuerungen. Sie können den Crash – die notwendige Preissenkung zur Auslöschung der Überkapazitäten – durch Zinssenkungen nicht verhindern. Selbst die zwei Prozent reichsten Firmen, die sich über eigene Anleihen dank des Fed-Minizinses mit geringeren Zinsangeboten rund zwei Billionen Dollar besorgen, sparen nur 0,5 Prozent, die übrigen Amerikaner gar nichts.5 Präsident Barack Obama greift die Firmen für das blosse Parken dieser gewaltigen Summe am 7. Februar 2011 als «In­vestitionsvermeider» an. Er begreift nicht, dass die Firmen mit dem günstigen Zins eine Reserve für den Fall schaffen, dass sie durch Innovationen aus irgendeiner Ecke der Welt in die Umrüstung gezwungen werden.

III. Was kommt nach dem Schlussakt?

Armut heisst fehlende Verschuldungsfähigkeit von Individuen oder ganzen Nationen, bei denen Eigentumsstrukturen fehlen. Der Politikerfehler im Jahre 2008 besteht im Kern darin, für die Crashverluste nicht sämtliche Vermögen der Eigentümer der Geschäftsbanken und Versicherer durch schlichten Hilfeverzicht über formale Haftungsgrenzen hinaus in Bewegung zu setzen. Stattdessen überwälzt man ihre Forderungen auf den Staatsbürger.

Was bei den Grossen zu holen gewesen wäre, legt nur das Haus Goldman-Sachs offen. Allein seine 860 Partner melden vor dem Crash ein Vermögen von 30 Milliarden Dollar. Goldman verliert an Subprime-Krediten 12,9 Milliarden Dollar, die seine Versicherung AIG nicht aufbringen kann. Ihren Bankrott verhindert die US-Regierung mit 180 Milliarden Dollar für die durch Subprime-Verluste ausgelöschten Bankkapitale. Goldman erhält volle 12,9 Milliarden Dollar. Seine 860 Partner müssen nicht von 30 auf 17,1 Milliarden abspecken. Die Deutsche Bank bekommt 11,8 Milliarden, die Schweizer UBS 3,8 Milliarden Dollar. Was man dort gegen die Drohung einer Totalauslöschung gestemmt hätte, wird gar nicht erst getestet.

Wie 1995 in Tokio oder 2002 in New York verstehen die Politiker auch 2008 das ökonomische System nicht. Das hätte verlangt, dem Leistungssektor aus Unternehmen und Arbeitern auch nach Auslöschung ihrer Banken Kredit zu ermöglichen. Dafür hätte man ihnen für einen fixen Zeitraum direkten Zugang zum Zentralbanktresen einräumen können, wo sie für Zins und gute Sicherheiten Geld bekommen hätten – das wäre historisch nichts Neues gewesen. Während dieser Frist hätten überlebende Banken ihr Geschäft ausgeweitet. Vermögende und auch leistende Unternehmen selbst – wie 2010 Siemens und lange davor die grossen Autofirmen – hätten neue Banken aufgebaut. Die grossen Eigentümergruppen hätten Verluste realisiert, wären aber nicht klein geworden. Überwiegend in Staatspapiere und Bankanleihen investierte Lebensversicherungen hätte man sortieren müssen, um ihren Kunden die Pensionen zu sichern. Selbst Ankäufe mit Fristansage von Staatsanleihen auf Sekundärmärkten hätten weniger verheerend gewirkt als ihr jetzt grenzenloser Erwerb. Zugleich hätten diese Anleihen besser abgeschnitten als nach der Neuverschuldung seit 2008. Denn während 2007 Bankeigentümer 50 Prozent aller Schulden machen, sind es 2009 Regierungen, die weltweit sogar 62 Prozent erreichen und die Staatsbürger vieler Nationen über das aus Steuern bedienungsfähige Limit stossen.

Gleichwohl wird versprochen, dass die Manipulation der Märkte und Belastungen der Bürger am Ende die Budgets sanieren, der Markt für Staatstitel also wieder frei werde. Und doch gehen zum 2011er Weihnachtswochenende allein in Euroland 412 Milliarden Euro nicht in Aktien, Staatspapiere oder Firmenkredite, sondern parken über Nacht als jederzeit verfügbare Liquidität für Minizins bei der EZB. Gewiss, der Deutsche Rentenindex (RexP) zur Messung der Gewinne aus dem Kauf deutscher Staatstitel legt zwischen 1990 und 2011 um 320 Prozent zu. Doch der deutsche Staatsbürger als vermeintlich bester Schuldner der Welt tilgt niemals. Zwischen 1970 und 2011 steigen seine Schulden von 800 auf 22 000 Euro pro Kopf, während das Durchschnittsalter gleichzeitig von 34 auf 44 Jahre springt. Der US-Staatsbürger als Zweitbester schuldet im selben Zeitraum von 1700 auf 43 000 Dollar hoch und altert dabei von 28 auf 37 Jahre. In Deutschland wird ein Fünftel des Nachwuchses nicht ausbildungsreif und braucht Bares von der Wiege bis zur Bahre. In Amerika haben 2011 erstmals Africans und Hispanics aus überwiegend bildungsfernen Milieus über 50 Prozent der Neu­geborenen. Schon heute schaffen ihre Siebzehnjährigen nur das Schulniveau dreizehnjähriger Weisser und zwölfjähriger Jachincos. Strömt die globale Elite nicht mehr in die Neue Welt, wird sie nie wieder schuldenbedienungsfähig.

Wenn Staatstitel von neuem so gut wie Geld werden sollen, müssen die Regierungen dafür sorgen, dass die Eigentümer für die Verluste geradestehen. 2008 übernehmen sie die Verluste der Grosseigentümer durch weitere Anleihen im Namen der Staatsbürger. Immer nur mehr elegant gestempeltes Papier ohne Besicherung wird jedoch irgendwann als Betrug erkannt. Alles, was ein Anleger – gross oder klein – für sein Geld will, ist Eigentum, das im Preis wenigstens nicht fällt. Wer ihn ob dieses Be­­gehrens als «Diktator des Marktes» schmäht, zeigt nur, wie gerne er ihm wertloses Papier tatsächlich mit Gewalt aufzwingen würde.

Verbessern wollen die Politiker die Besicherung ihrer Schuldtitel vor allem durch Zugriff auf die Mittelschicht und die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), da in der Unterschicht Substanz fehlt und die Grossen schwer zu greifen sind. Doch die Leister in der Mitte bräuchten für eine «befriedigende Wirtschaftsleistung» gerade Ausgabenkürzungen, damit ihr Eigentum nicht weiterhin an den leistungslosen Transfersektor geht. Wird ihnen durch Steuern noch mehr Eigentum genommen, vermindert das nur die «Selbstheilungskraft» der Wirtschaft. Der ersehnte «sich selbst tragende Aufschwung» kann ja nur durch Verpfändung für Neuverschuldungen zur Eigentumsverteidigung erfolgen. Dieser Innova­tionszwang wird in der Krise nur stärker und der einzige Weg aus ihr heraus. Die Hälfte der 500 «Fortune»-Spitzenfirmen des Jahres 2009 sind Rezessionsgründungen. Ein Ruf nach höheren Steuern für die Sanierung der Staatsschulden bleibt deshalb immer ein Irrweg. Allerdings kann auch ihre Senkung niemanden zur Verschuldung zwingen, aber doch den von der Konkurrenz in die Innovation Gezwungenen die Kreditaufnahme erleichtern.

Ausgabenkürzungen treffen den Hilfesektor, weshalb seine Politiker protestieren. Da Sozialpolitik zumeist als Stimmenkauf und nicht als Nächstenliebe praktiziert wird, kommen schnell Mehrheiten gegen Kürzungen und für eine höhere Belastung der ganz starken Eigentümer zusammen. Eine durchdachte Politik wird diese aber nicht verfolgen oder ihr Eigentum Unfähigen übergeben.

Doch wenn es nach dem Preissturz der Staatspapiere darum geht, unbelastetes Vermögen als Eigenkapital für die Besicherung einer neuen Währung zu finden, schlägt auch den grossen Eigentümern die Stunde, wenn sie ihr Vermögen retten wollen. Dasselbe gilt für das beim Staatstitelcrash verdampfende Eigenkapital der Banken. Da garantiert nur schon das Ausbleiben staatsbürgerlicher Hilfe, dass deren Eigentümer zur Vermeidung von Totalverlusten die grossen Löcher aus ihren noch grösseren Vermögen stopfen.

Dazu bedarf es nicht der Gewalt, sondern der Einsicht. Ein Teil des unbelasteten Eigentums der Bürger und auch des Staates wird als Kapital einer neuen Zentralbank zugewiesen und bleibt so lange unverzinslich und unverfügbar, bis diese aus ihren Gewinnen unabhängiges Eigenkapital gebildet hat. Neu wäre das nicht.6 Umgehend stabilisiert das die Lage. Denn der Kreditkontrakt über gutes Geld ist nun mal der Vater des Marktkontraktes. Deshalb verschwinden bei staatlicher Geldzerstörung auch die Märkte. Sichern kann man sie für die Zukunft nur, wenn den neuen Zentralbanken das Ausleihen allein gegen Zins und gute Sicherheiten erlaubt wird.

 


1 Financial Times, 10. Juli 2007.

2 Manmohan Singh / James Aitken: The (Sizable) Role of Rehypothecation in the Shadow Banking System. IMF Working Paper, Juli 2010.

3 Financial Times, 29. Januar 2010.

4 Diana Olick: Half of US Mortgages Are Effectively Underwater. Auf: CNBC.com, 8. November 2011.

5 Binyamin Appelbaum: Stimulus by Fed Is Disappointing, Economists Say. In: New York Times, 24. April 2011.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!