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«Mädchen drohen häufiger an den Klippen der Pubertät zu zerschellen»
Alexander Korte, zvg.

«Mädchen drohen häufiger an den Klippen der Pubertät zu zerschellen»

Immer mehr weibliche Heranwachsende wollen operativ ihr Geschlecht wechseln. Das führt zu lebenslanger Medikation und unabschätzbaren Risiken für die Psyche.

Herr Korte, Sie sind Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Sexualmediziner. Insbesondere im englischsprachigen Raum ist in den letzten Jahren debattiert worden, dass unter denjenigen Menschen, die sich für transgeschlechtlich halten, der Anteil weiblicher Jugendlicher nunmehr signifikant hervorsticht. Wie kommt das?

Es handelt sich um ein Phänomen, das etwa seit 2010 zu verzeichnen ist. Der Anteil der biologischen Mädchen hat seither extrem zugenommen, das wird nicht bestritten. Bei Beratungsangeboten und in Spezialsprechstunden war man zunehmend damit konfrontiert, dass bei den Neuanmeldungen eine überwältigende Mehrheit biologischer Mädchen vorstellig wurden, und darunter überwiegend solche in der Pubertät – meistens im Alter von 13 bis 16. Das war früher nicht der Fall. Auffällig war zudem, dass der Grossteil dieser Mädchen, die sich für trans halten, bei der Exploration nicht schlüssig darlegen konnte, dass dies bei ihnen immer schon der Fall gewesen wäre – dass sie also beispielsweise schon in der Kindheit an einer Geschlechtsdysphorie gelitten hätten. Viele ­haben eine eher unauffällige Vorgeschichte, was dies anbelangt, was aber nicht heisst, dass sie zuvor keine psychologischen Pro­bleme gehabt hätten. Sie interpretieren diese aber im Nachhinein als ursächlich aufgrund des Geschlechtskonflikts hervorgerufene. Das fällt unter Legendenbildung – da strickt man sich sein eigenes Narrativ.

Heisst das, dass es sich um eine gänzlich andere Phänomenologie handelt?

Ja. Früher war es weit überwiegend so, dass vorstellige Patienten das als Lebensthema betrachtet und dargelegt haben, dass sie sich zeit ihres Lebens dem anderen Geschlecht zugehörig gefühlt hätten. Diese jugendlichen Mädchen berichten das nicht in gleicher Weise. Das transsexuelle Coming-out ist heute oftmals ein plötzliches, nicht selten auch ein getriggertes – über den Besuch entsprechender Webseiten, Peer-Kontakte oder soziale Ansteckung, etwa wenn sich in einer Klasse gleich mehrere Betroffene finden.

Sind Sie bereits mit einer solchen Fallhäufung konfrontiert gewesen?

Ja, und zwar in einer Konstellation, die gegen jede statistische Wahrscheinlichkeit sprach.

Sie meinen, dass das Internet eine gewisse Rolle spielt. Das allein erklärt aber noch nicht, weshalb nun vor allem junge Mädchen einen Wunsch nach Geschlechtswechsel bekunden.

Wir wissen in der Jugendpsychotherapie seit eh und je, dass diese Altersgruppe besonders vulnerabel ist, und in dieser speziell die Mädchen, was Altersrollenkonflikte angeht. Als einen solchen ­verstehe ich das Phänomen in der Breite auch: nicht als einen geschlechtsidentitären Konflikt, sondern als Folge der subjektiv wahrgenommenen Diskrepanz zwischen mentaler, emotionaler und psychosexueller Entwicklung einerseits und einer pubertätsbedingt wesentlich fortgeschrittenen, aber noch nicht integrierten körperlichen Entwicklung andererseits. Mädchen drohen häufiger an den Klippen der Pubertät zu zerschellen.

Was meinen Sie damit konkret?

Den heranreifenden Reproduktionsapparat. Bei der vermeint­lichen Dysphorie dieser Mädchen schwingt noch etwas anderes mit, nämlich die Angst vor der ungewollten Schwangerschaft, die Auseinandersetzung mit der Weiblichkeit und dem Frausein. Zwar sind auch Jungen Erwartungshaltungen unterworfen – stark zu sein, dominant aufzutreten –, die Erfahrung lehrt aber, dass sich das Aushandeln von Fragen der Gleichberechtigung, der Chancengleichheit und der Benachteiligung eben unterschiedlich zwischen den Geschlechtern verteilt.

Inwiefern?

Mädchen in diesem Alter sehen sich in der Öffentlichkeit und in ihrer Umgebung nicht selten mit Reaktionen auf ihren sich verändernden Körper konfrontiert – mit Blicken, Bemerkungen, Anzüglichkeiten oder, schlimmer noch, mit Übergriffen. Es passiert einem 13jährigen Jungen nicht, dass ihm beim Vorbeilaufen an der Baustelle hinterhergepfiffen wird. Das ist zwar auch nicht für jedes Mädchen ein Problem, für einige aber eben doch verunsichernd und schmerzhaft. Wieder andere kommen in die Klinik, weil sie dem Schönheits- und Schlankheitsideal nicht entsprechen, was wir aus der Gruppe der Mädchen mit Ess­störungen kennen, wo es ebenfalls keine Parallelität bei den Jungen gibt.

«Man müsste dringend der sehr frühen Weichenstellung

zur Transition – konkret der Pubertätsblockade bei Kindern,

um die Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale zu

verhindern – einen Riegel vorschieben. Kinder sind nicht in der Lage,

die Folgen eines solchen Eingriffs in den Körper abzusehen.»

Was Sie gerade umschreiben, stützt die radikalfeministische Kritik, die besagt, dass das, was sich hier als sozio­kulturelles Phänomen manifestiert, eine ins Individuelle verlagerte Krisenlösung ist – nämlich die, sich in einer misogynen Gesellschaft ­behaupten zu müssen. Statt aber für die Abschaffung frauen­verachtender Verhältnisse zu streiten, wird einem Individuum der Austritt aus  diesen Verhältnissen nahegelegt.

Ich halte das für einen sehr klugen Einwand seitens der Feministinnen.

Ein weiterer, unter anderem vom marxistischen Psychoanalytiker und Kultur­kritiker Slavoj Žižek vertretener Einwand lautet, dass die am Kapitalismus angelehnte Expansion des Marktes, die jegliche Grenze einreisst, sich letztlich auch im Individuum niederschlägt, indem sie auch dieses im Wortsinn entgrenzt.

Zu ähnlichen Schlüssen bin ich ebenfalls gekommen. Es geht hier zum Teil auch um eine Überbietung und um eine Steigerungslogik, um Angebot und Nachfrage, um Diversifizierung in einer von allen Seiten ideologisch beworbenen, postmodernen Konsumgesellschaft – und das unter Nutzung sämtlicher zur Verfügung stehenden Technologien. Körpermodifizierung als totale Bedürfnisbefriedigung und Toyotaisierung aller Lebensbereiche, angelehnt an den Werbeslogan «Nichts ist unmöglich» – dem fällt das Phänomen auch zu.

Die amerikanische Journalistin Abigail Shrier, die 2020 ein vielbeachtetes Buch über die soziale Attraktivität des Trans-Seins bei jungen Mädchen veröffentlicht hat, hat noch auf eine andere Bedürfnis­befriedigung hingewiesen – nämlich diejenige des Marktes, der nun ­beginnt, eine Gruppe neuer, potentiell lebenslanger Patienten für sich zu entdecken. Teilen Sie diesen Befund?

Absolut. Das ist auch keine Frage von Meinung, sondern objektiver Fakt: Dass jemand für den Rest seines Lebens darauf angewiesen sein wird, das gegengeschlechtliche Hormon zu substituieren, das ja nicht von alleine hergestellt werden kann. Das medizinische Problem hieran ist, dass die externe Zuführung von Testosteron beziehungsweise von Östrogen nicht dieselben Effekte auf den Körper hat wie dessen ­eigene Produktion dieser Hormone. Auch Folgeoperationen sind häufig unvermeidlich.

Liegen bereits Studien vor, was die Langzeiteinnahme von Hormonen und Medikamenten angeht?

Ja, die Befundlage ist allerdings sehr unterschiedlich. Es gibt Studien, die nahelegen, dass das Thromboserisiko bei Mann-zu-Frau-Transsexuellen östrogenbedingt deutlich erhöht ist. Kardiovaskuläre Erkrankungen sind ein Thema, Knochenschwund ebenfalls. Für Transmänner gilt das auch, bei beiden Gruppen lässt sich durch die Hormonersatztherapie nicht die gleiche Knochengesundheit erreichen wie bei normalen Männern und Frauen. Geht der Einnahme gegengeschlechtlicher Hormone eine pubertätsblockierende Behandlung voraus, führt dies im übrigen unwei­gerlich zur Infertilität der so behandelten Kinder.

Im aktivistischen Jargon wird die doppelte Brustamputation, der sich Transpersonen oftmals unterziehen, euphemistisch «Top Surgery» genannt. Bestehen bei diesem Eingriff besondere Risiken und Langzeitfolgen? Es handelt sich schliesslich um die Entfernung gesunden ­Körpergewebes.

Das sehe ich noch am unproblematischsten, denn wenn das Brustgewebe entfernt ist, kann es z.B. auch nicht mehr entarten. Transmänner haben nach der Mastektomie kein Brustkrebsrisiko, genauso wenig wie Transfrauen, bei denen die Hoden entfernt wurden, keinen Hodenkrebs mehr bekommen können. Sicher besteht die Möglichkeit zu Komplikationen, was die Narbenbildung angeht, die würde ich aber nicht überbewerten. Das wesentliche ­Problem besteht vielmehr darin, dass ein Transmann, der sich die Brüste entfernen liess, diesen Schritt in der Zukunft bereuen kann. Siehe den Fall der Britin Keira Bell, bei der in der Jugend Geschlechtsdysphorie festgestellt worden war, die mit 20 Jahren mastektomiert wurde und 2020 hiergegen prozessierte, weil sie fand, dass ihre falsche Überzeugung, ein Transmann zu sein, vom Personal der Tavistock-Klinik in London nicht genügend herausgefordert worden sei.

Reue meint dann in medizinischer Hinsicht ein lebenslanges psychologisches Leiden, das seinerseits behandelt werden muss?

Das ist so, wobei transaktivistische Kreise antworten würden, dass nur die wenigsten Transmenschen ihre Transition bereuen. Das liegt bei Transmännern daran, dass sie ihren Leidensdruck auf die weibliche Brust zurückführen und in dem Moment, in dem diese weg ist, tatsächlich Erleichterung verspüren – was ja auch medizinisch nicht von der Hand zu weisen ist, weil sie sich damit nicht mehr auseinandersetzen müssen.

Gleichwohl ist sehr häufig davon zu lesen, dass ein erhöhtes Suizid­risiko bestehe – nicht nur aus der Geschlechterdysphorie resultierend, sondern auch aus der gesellschaftlichen Verweigerung, was trans­aktivistische Forderungen anbelangt.

Das ist ein Totschlagargument, das in den entsprechenden Debatten stets bemüht wird. Dem ist entgegenzuhalten, dass aus der Gruppe der Borderline-Störungen die ganze Zeit mit Suizidalität gedroht wird. Soll man ihnen deshalb, ganz vereinfacht ausgedrückt, ­jeden Herzenswunsch erfüllen? Dass ein Risiko besteht, will ich gar nicht bestreiten – das erlebe ich auch, zumal das real existierende Leiden auch als Druckmittel eingesetzt wird. Seriösere ­Publikationen weisen darauf hin, dass die anfängliche Euphorie, die manche Menschen nach einer geschlechtsangleichenden Operation verspürten, bald verfliegt und der Katzenjammer oder auch das böse Erwachen einsetzt, weil manche Probleme nach der ­Geschlechtsangleichung nicht verschwinden. Das betrifft unter anderem die Partnerfindung.

«Es passiert einem 13jährigen Jungen nicht, dass

ihm beim Vorbeilaufen an der Baustelle hinterhergepfiffen wird.»

Das Populärwissen bezüglich «trans» kreist noch immer um die Formulierung, dass jemand «im falschen Körper geboren» worden sei. Wenn transaktivistische Stimmen nunmehr behaupten, dass Transmenschen bei der Geburt einem anderen Geschlecht «zugewiesen» worden seien, sagen sie dann im Grunde nicht das, was jenes Populärwissen im Kern auch meint?

Nicht nur das. Sie gehen auch davon aus, dass es eine «angeborene Geschlechtsidentität» gäbe – eine willkürliche Setzung, die nicht weiter hinterfragt wird. Diese Annahme widerspricht dem Wissens- und Erkenntnisstand der Persönlichkeitspsychologie, weil sich so etwas wie Identität und Persönlichkeit erst einmal entwickeln muss – und zwar vorrangig durch frühkindliche Bindungs- und Beziehungserfahrungen.

Wenden sich auch Menschen an Sie, die dem neuerlichen Phänomen der Detransitioner zugehören – Individuen also, die sich wie die erwähnte Keira Bell für geschlechtsdysphorisch hielten und ent­sprechende medizinische Schritte unternommen haben, diese dann aber bereuen?

In dem Altersbereich, in dem ich tätig bin, eher weniger. Das hat mitunter den Grund, dass das Phänomen der doch substanziellen Zahl an Detransitionern eines ist, das die dritte Lebensdekade betrifft. Es handelt sich überwiegend um Frauen Anfang, Mitte, Ende 20 – Vertreterinnen derjenigen Generation also, bei denen man die Behandlung in der Jugend vorgenommen hat. In dieser Grössenordnung gab es früher keine Betroffenen, die sich entsprechend organisiert haben.

Wenn deren Zahl, so wie Sie sagen, beträchtlich ist, wären Schlüsse bezüglich der kommenden Jahrzehnte zu ziehen. Auch wenn es schwierig sein dürfte, entsprechende Prognosen zu ­formulieren, wäre davon auszugehen, dass es nicht bei einer Person bleiben wird, die ihre Transition bereut, und folglich auch nicht bei ­einer Gerichtsverhandlung.

Ich halte das nicht für ausgeschlossen, bin aber in der Tat vorsichtig mit Zukunftsprognosen. Kassandrarufe sind hier nicht zielführend. Ich fürchte aber, es wird so sein – ob es auch so kommen wird, wird sich zeigen.

Falls hier ein dystopisches Moment besteht, das über den Zuständigkeitsbereich der Medizin hinausweist – wäre es dann nicht eine Angelegenheit der Politik, Massnahmen zu ergreifen, die solche Entwicklungen ­verhindern?

Man müsste dringend der sehr frühen Weichenstellung zur Transition – konkret der Pubertätsblockade bei Kindern, um die Ausbildung sekundärer Geschlechtsmerkmale zu verhindern – einen ­Riegel vorschieben. Kinder sind nicht in der Lage, die Folgen eines solchen Eingriffs in den Körper abzusehen. Ich finde das medizin­ethisch nicht vertretbar. Fatal ist auch, dass in der politischen Debatte nach wie vor Inter- und Transsexualität in einen Topf ­geworfen werden, obwohl es diesbezüglich an ärztlichen Richtigstellungen nicht mangelt. Von den Transaktivisten wird diese Vermischung übrigens nicht nur begrüsst, sondern auch forciert. Dort ist es Teil der Strategie, sich an Bürgerrechtsbewegungen dranzuhängen, von denen man annehmen kann, dass sie nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch bei politischen Entscheidungsträgern auf breite Zustimmung stossen werden.

Auffällig scheint ohnehin, dass hier juristische und politische Interessen nah beieinanderliegen.

Ja. Abzulehnen ist deshalb auch der Anspruch, aus einem bestehenden Identitätskonflikt eine automatische Inanspruchnahme möglicher Gesundheitsleistungen abzuleiten, wie es gerade im Gesetzesentwurf der deutschen Grünen formuliert wird. Vorgesehen ist etwa, dass 14-Jährige autonom darüber entscheiden dürfen sollen, welche Behandlung sie vornehmen lassen wollen. Wenn das Ergebnis bereits von Anfang an feststeht, würde es medizinisch beziehungsweise therapeutisch ohnehin keinen Sinn mehr machen, Patientinnen und Patienten ausgangsoffen zu begleiten.

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