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Madame, geben Sie
Gedankenfreiheit!

«Gendersensible Sprache» ist ein autoritärer Angriff auf unsere Gedankenfreiheit. Dass Universitäten zu Hochburgen dieser neuen Volksbelehrung gemacht werden, widerspricht jedem aufgeklärten ­Verständnis von Wisssenschaft.

 

Sie war gross, schlank und schön. Ihr braunes Haar trug sie hochtoupiert, wie es seit Brigitte Bardots bravourösem Auftritt in «Die Wahrheit» Mode war. Sie war nicht nur eine Erscheinung, sie konnte auch alles. Sie konnte singen und Gitarre spielen, Geschichten erzählen, malen, zeichnen und basteln und sie wusste auf jede Frage eine überzeugende Antwort. Wir nannten sie «Fröli».

«Fröli» leitete sich vom Wort «Fräulein» ab, wobei bemerkenswerterweise das Genus änderte und weiblich wurde. Eigentlich war sie verheiratet. Aber das war uns egal. Für uns war sie «die Fröli». In diesem Wort steckte all die kindliche Schwärmerei, die wir Fünf-, Sechsjährigen für unsere Kindergärtnerin empfanden.

Es ist nicht überliefert, dass sich «die Fröli» an dem Namen, den wir ihr sicher hundert Mal am Tag zuriefen, jemals gestört oder sich dadurch diskriminiert gefühlt hätte. Es war jene unschuldige Zeit, lange bevor uns das Gendermainstreaming heimsuchte, die Sprache verstümmelte und die akademisch konstruierte Erbsünde des sterbenden Patriarchats in unser aller Gewissen einpflanzte.

Eine Ansprache wie «Fröli» wäre heute wohl fast eine Menschenrechtsverletzung – und sei sie noch so liebevoll gemeint. Vielleicht würde sie die Direktangesprochene gar nicht so sehr schmerzen. Aber die Vorkämpferinnen des feministischen Klassenkampfes müssen darin alle Abgründe weisser Männerherrschaft wiederfinden. Wer den Begriff «Fräulein» verwendet, gilt im deutschen Sprachraum als Sexist – das beklagenswerte Resultat einer vierzigjährigen Entwicklung. 1980 publizierten vier feministische Linguistinnen die ersten «Richtlinien zur Vermeidung sexistischen Sprach­gebrauchs» im Deutschen. Dem Staat, der seine Macht ausdehnt, wo es nur geht, kam das wie gerufen. Bald unterstützte er das Anliegen tatkräftig. Die Stunde der Gleichstellungsbeauftragten und Sprachleitfäden kam und die Ära des sprachlichen Tugenddiktats konnte beginnen.

Entscheidet sich jemand aus freien Stücken, etwa den «Genderstern» zu verwenden, ist dagegen nichts einzuwenden. Aus der freien Entscheidung ist aber längst ein gesellschaftlicher Imperativ geworden: Wer nicht nach den gerade geltenden Gesetzmässigkeiten der «gendersensiblen Sprache» spricht, schreibt und denkt, macht sich automatisch schuldig, nicht im strafrechtlichen Sinn, aber vor den Gerichtshöfen der Moral – und das erzeugt ­sozialen Druck. Das «Fräulein» ist wohl das prominenteste Opfer dieser manipulativen Sprachpolitik, die ohne demokratische Legitimation, aber mit behördlicher Unterstützung seit Jahrzehnten unsere Sprache und unser Denken säubert. Das «Fräulein» ist heute so gut wie tot, obwohl sich manche Frauen gerne so ansprechen lassen würden – etwa die Schauspielerin Iris Berben. Doch die hat keiner gefragt. Und auch in der Gastronomie hört man kaum noch ein «Fräulein!». Stattdessen ruft man nun ein plumpes «Hallo!» durch die Gastwirtschaft, ein nüchternes «Zahlen, bitte!» oder ein verlegenes «Entschuldigung!», als mache sich ein Gast schuldig, wenn er um Bedienung bittet. Aber alles ist besser, als im sozialen Raum einen reaktionären Eindruck zu hinterlassen.

Entmenschlichte «Kräfte»

Nicht nur das «Fräulein» ist verschwunden, auch der Lehrer ist weg. Er ist jetzt eine «Lehrperson» – biologisch männlich, grammatikalisch weiblich und doch seltsam geschlechtslos. Zudem ist «Person» keineswegs schmeichelhaft. Spricht Senator Buddenbrook nicht demonstrativ von «der Person», wenn er Aline Puvogel meint, die missliebige Halbweltdame an der Seite seines Bruders Christian, nur um ihren Namen nicht in den Mund nehmen zu müssen? Noch schlimmer trifft es die «Putzkraft»; sie ist gar nicht mehr als Mensch erkennbar. Eine Putzkraft könnte auch ein Putzmittel sein.

Wo früher Männer und Frauen wirkten, arbeiten heute also «Personen» und «Kräfte». Und so gut wie alle machen bei diesem Trauerspiel mit, wohl weniger aus Überzeugung als vielmehr aus Konformitätsdruck, um Ärger zu vermeiden. Die Universitäten befördern das Sprachdiktat an vorderster Stelle, genauso wie ungezählte Medienschaffende, die an den Universitäten entsprechend sozialisiert worden sind. Dabei wäre es beider Auftrag, vermeintliche «Wahrheiten» zu hinterfragen und zu widerlegen. In Anlehnung an Noam Chomsky könnte man also konstatieren: Der Konsens (über die Verwendung der «gendersensiblen Sprache») ist hergestellt – durch freiwillige Gleichschaltung der Medien und dank der Sprachregelungen in Universitäten, Behörden und ganz besonders im öffentlichen Rundfunk, der bis zur Bewusstlosigkeit gendert.

Kleinen, militanten Gruppen aus dem linksakademischen Milieu ist es auf diese Weise gelungen, der grossen Mehrheit ihre Weltsicht und ihre Sprache aufzuzwingen. Auch grosse Unternehmen wie die Swiss Re machen mit. Die Durchsetzung der «gendergerechten Sprache» ist die erfolgreichste Gehirnwäscheaktion in der freien Welt. Sie befördert nicht nur Wortmonster, sondern – viel schlimmer – auch Sprech- und Denkverbote und stigmatisiert Andersdenkende. Damit widerspricht sie diametral ihrem eigenen Anspruch, die Diskriminierung zu bekämpfen.

Der deutsche Linguist Henning Lobin erhebt die Verwendung der «gendergerechten Sprache» sogar zur demokratischen Pflicht. Wie es in einer liberalen Demokratie legitim sein soll, die Bürger sprachlich zu erziehen, bleibt indes sein Geheimnis, zumal unter anderem eine repräsentative Studie des Vereins Deutsche Sprache von 2019 belegt, dass die Gendersprache in der Bevölkerung mehrheitlich abgelehnt wird. Kann es sein, dass die «Gendersprache» vor allem von denjenigen begrüsst wird, die Freude daran haben, anderen Leuten Vorschriften zu machen?

Rechtlich unhaltbarer Formalismus

Die Anordnung des «Gendersprechs» hält auch einer juris­tischen Prüfung nicht stand. Dies hat eine Auseinandersetzung zwischen der Zürcher Gemeinderätin Susanne Brunner (SVP) und dem Büro des Gemeinderats gezeigt. Letzteres hatte einen Vorstoss Brunners mehrfach mit der Begründung abgewiesen, er sei nicht in «gendergerechter Sprache» verfasst. Die rot-grüne Mehrheit im Gemeinderat stützte diesen Entscheid.

Das liess sich die Gemeinderätin nicht gefallen und legte bei der Aufsichtsbehörde, dem Bezirksrat Zürich, Rekurs ein. Sie hatte eine ganze Palette von Argumenten auf ihrer Seite: Der Gemeinderatsbeschluss habe keine rechtliche Grundlage, sei willkürlich. Er verstosse gegen das Verbot des überspitzten Formalismus als besondere Form der Rechtsverweigerung, verletze ihre politischen Rechte als Gemeinderätin und missachte den Grundsatz der Verhältnismässigkeit und den Anspruch auf Meinungsfreiheit.

Der Bezirksrat gab Susanne Brunner recht. Er stellte fest, dass es zum Erlass von solch sprachformalen Vorgaben keine genügende gesetzliche Grundlage gebe. Ja mehr als das: Er warf grundsätzlich die Frage auf, ob es zulässig sei, das Eintreten auf poli­tische Vorstösse vom Einhalten solcherlei Sprachvorgaben abhängig zu machen, und urteilte, dass nicht ersichtlich sei, inwiefern solche Vorgaben für das Funktionieren des Parlaments von Bedeutung sein sollen.

Aus rechtsstaatlichen und demokratiepolitischen Überlegungen sei der Entscheid des Bezirksrats sehr zu begrüssen, meint Rechtsanwalt Lukas Rich, der Susanne Brunner in diesem Verfahren vertreten hat. Das Büro des Gemeinderates sei daran erinnert worden, dass es nicht nach freiem Ermessen sprachformale Hürden für politische Vorstösse aufstellen dürfe. Parlamentsmitglieder seien in freien Wahlen gewählt und an keine Instruktionen gebunden. Es könne nicht sein, sagt Rich, dass sie ihren Sprachgebrauch an die Vorgaben der politischen Mehrheit anpassen müssten, damit ihre parlamentarischen Vorstösse überhaupt behandelt werden.

Das Urteil ist rechtskräftig. Es ist zu hoffen, dass dieser Entscheid auch die Universitäten nachdenken lässt. Es ist noch nicht lange her, da liess Christa Binswanger, ständige Dozentin an der Universität St. Gallen, die Nation über den öffentlichen Rundfunk wissen, bei ihr sei die «gendergerechte Sprache» ein Beurteilungskriterium. Die Dozentin verteilt also Gesinnungsnoten und bestraft «Ungläubige». Dass dies unwissenschaftlich ist, dürfte jedem klar sein. Aber ist es legitim? «Dozierenden steht es frei, gendergerechten Sprachgebrauch zu prüfen, wenn der Dozent/die Dozentin dies im Rahmen einer Lehrveranstaltung zu gendergerechtem Sprachgebrauch tut», schreibt dazu gendergerecht die Pressestelle der Universität. In Anlehnung an Schiller und mit Referenz auf die Kriterien der Wissenschaftlichkeit kann man Christa Binswanger nur zurufen: «Madame, geben Sie Gedankenfreiheit!» Diese passt besser zu einer Universität als politische Korrektheit.

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