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Mach’s gut, Sepp!

Konfliktherde in Syrien, Irak und Afghanistan, interstaatliche Krisen zwischen Israel und Palästina, Ressentiments auf Zypern. Friedensarbeit ist gefragt wie selten in der Welt. Ein klarer Fall für die Fifa! Meint jedenfalls ihr Präsident.

Mach’s gut, Sepp!
Joseph Blatter, photographiert von Walter Bieri / Keystone.

Joseph Blatter macht derzeit einen zufriedenen Eindruck. Dieses Bild gibt er immer ab, wenn er seine Paraderolle einnehmen kann: jene des Wohltäters, abgesandt vom Planeten Fussball. Schon dreissig Tage vor Beginn der Weltmeisterschaften in Brasilien hat der Präsident der Fifa und Schirmherr des Fussballspektakels seine Koffer gepackt. Es ist Flug- und Besuchszeit. Der 78jährige Walliser macht sich auf, vor dem Anpfiff der Spiele am 12. Juni noch schnell die Welt zu retten. Man kann sich darüber aufregen, Witze reissen oder spotten. Egal. Der Präsident, der seit 16 Jahren regiert, glaubt an die universelle Kraft seines Kerngeschäfts und an das Amalgamierende des Sportes aller Sporte. Unbeirrt. Unbeirrbar.

Umso mehr treffen Blatter die degoutanten, jüngst sich wieder mehrenden Zwischenfälle von Brutalität oder Rassismus in den Stadien. Tote und Verletzte vor einem Pokalendspiel in Italien, Messerstechereien in Argentiniens Arenen, diskriminierendes Verhalten von Fans weltweit – all das passt nicht zu seiner Heilsgeschichte dieses Sportes. Was tun? Blatters Rechnung ist einfach: Geschätzte 300 Millionen Menschen rennen weltweit in organisierter Form hinter dem Ball her. Mit ihren Familien wären rund 1,2 Milliarden direkt mit dem Sport verbunden. Neunzig Minuten dauert ein Spiel, während dem das Runde ins Eckige muss, und es bleibt derweil für einen Sechstel der Menschheit keine Zeit für Kriegsgedanken und Schlachtphantasien. Fussball kanalisiert Kräfte – und der Sport verbindet. Haben nicht schon im Ersten Weltkrieg deutsche und britische Soldaten im Niemandsland zwischen ihren Frontgräben gemeinsam gegen den Ball getreten, statt sich gegenseitig totzuschiessen? Sie haben diesen Ungehorsam gegen den Willen ihrer Vorgesetzten begangen und sind dafür später bestraft worden. Ergo: Fussball ist ein Auflehnen gegen die Maschinerie des Todes. Schade nur, dass diese Anekdote ein Unikat ist, ein einmaliger Moment in der Geschichte.

Trotzdem: Fussball ist friedensstiftend. Das kommuniziert Blatters Fifa. Der Gedanke ist Programm, Überzeugung und Mission zugleich. Es geht nicht nur um neue Landesverbandsstätten in der Karibik, um Spielfelder in Ozeanien oder Bälle für afrikanische Kinder, nein, inzwischen hilft die Fifa in Schulen, in Spitälern, in staatlichen Strukturplanungen, überall. Deshalb besucht der Präsident in diesen Tagen zum wiederholten Mal das Westjordanland. Sein Büro arbeitet daran, Israel und Palästina aufs selbe Spielfeld zu bringen und gemeinsame Wettkämpfe zu initiieren. 2001 hat Blatter persönlich die beiden Chefideologen Shimon Peres und Yassir Arafat zusammengebracht, säuselte hernach vom Friedensnobelpreis, der nicht ihm, aber doch zumindest der Fifa gut anstehen würde. Ein typischer Blattersatz, aber: Peres und Arafat erhielten die Auszeichnung.

 

Schnell nach Zypern

Was nicht ist, kann noch werden. Daher weiter, ab nach Zypern: Auf der zweigeteilten Mittelmeerinsel vermittelt ebenfalls die Fifa. Eine einzige, gemeinsame Spitzenliga der türkischen und der griechisch geprägten Teile steht vor dem Finalisieren – zumindest lassen das Blatters Worte erahnen, die er vor der Abreise äusserte. Nach seiner Stippvisite in Nikosia geht’s dann weiter nach Brasilien an den Weltkongress und – endlich! – zur Weltmeisterschaft. Dort hat sich die Fifa kürzlich sogar ihre eigenen Gesetze geschaffen: Im aktuellen WM-Gastgeberland Brasilien sind die Vorschriften über den Ausschank von Alkohol ausgehebelt, die Steuergesetze zugunsten der Fifa ebenfalls. Der oberste Gerichtshof des Landes hat das Diktat vom Zürcher Dolder vor kurzem final akzeptiert. Klar, dass Blatter angesichts dieser Marketingschieflage flugs noch einmal erwähnt, dass trotz Bürgerkrieg oder kriegsähnlichen Zuständen die Championate in Ländern wie Syrien oder Afghanistan nicht gestoppt worden seien. Fussball ist Frieden und ausserdem nobelpreiswürdig und nicht ganz von dieser Welt, ja mächtiger als alles Diesseitige. Sepp Blatter ist der Hohepriester dieser Verkündung.

 

Die wundersame Wandlung

Man reibt sich die Augen und fragt sich: Weshalb hat ein Fussballweltverband, der selber notorisch mit nicht geringen Binnenproblemen wie Korruption und Vetternwirtschaft, Missgunst und ideologischen Unvereinbarkeiten zu kämpfen hat, wieso hat sich die Fifa zu diesem Biotop der guten Menschen und der Wohltaten gewandelt?

Darauf gibt es verschiedene Antworten. Die kurze lautet so: weil der Verband es sich leisten kann und es sich leisten muss, denn eine finanzielle Erfolgsgeschichte hat ihn reich und gleichzeitig überaus irdisch anfällig für Korruption gemacht. Die etwas längere Antwort liefert die Verbandshistorie mit drei Phasen in der Neuzeit und einem einzigen Mann, der alle drei erlebt und die dritte selber angestossen hat: eben Joseph Blatter.

Die Fifa, gegründet 1904, war während ihren ersten siebzig Jahren ein beschaulicher, kleiner Verband der Amateure und Liebhaber des Fairplay. Alte britische und französische Schule, mit einer Prise belgischem und schweizerischem Einfluss. Gestritten wurde selten öffentlich, die Schandtaten geschahen hinter den Mauern des Verbandes. Geld war wenig im Spiel, Ränkespiele fanden dennoch statt. Doch insgesamt galt die Organisation als rührig und geradlinig konservativ. Noch 1974 arbeiteten nicht mehr als elf Personen für die Fifa. 139 Landesverbände gehörten ihr an. Die Fifa stand für das Organisieren von Weltmeisterschaftsfinalturnieren und für Reglement, für das Einhalten von Spielvorschriften und das Abwickeln der Transferformalitäten, für Strafen und Ausschlüsse, Statistiken und Buchführung. Für nicht mehr.

Das änderte sich schlagartig ab 1974: Nach dem Umsturz am Kongress in München, als der brasilianische Oberst und Multi-sportler Joao Havelange seinen Vorgänger Stanley Rous vom Fifa-Thron gestossen hatte, begann der Weltverband rasant zu wachsen. In jeder Beziehung. Havelange hatte spätestens an den Weltmeisterschaften 1970 in Mexiko begriffen, dass das Farbfernsehen den Fussball verändern und in ein kostbares Gut verwandeln würde. Die Kosten und die Einnahmen hoben sukzessive an. Ein erster wirklich grosser Sponsorenvertrag mit dem US-Süssgetränkehersteller Coca-Cola, abgeschlossen am 13. Mai 1976, war das Fanal für die neue Zeit. Die lange, goldige Phase der Marketeers und Werbefachleute, der Vermarkter eines immer wertvoller und teurer werdenden Produktes begann. Joao Havelange prägte die 1980er und 1990er Jahre und trieb die Einkünfte seines Verbands dank liberalisierter Medienmärkte und neu entstandener, privater, nach Unterhaltungsinhalten dürstender Fernsehstationen in ungeahnte Höhen. Gleichzeitig liess er seinen inzwischen zum Generalsekretär aufgestiegenen Leutnant Joseph Blatter die Globalisierung des Fussballs vorantreiben.

Blatter war 1975 als Marketingexperte aus einer Schweizer Uhrenfirma in die Fifa gewechselt und hatte sofort das embryonale Entwicklungsprogramm übernommen. Sein Auftrag war klar: Der Walliser sollte einerseits dem Fussball das Neue, Blendende und Weltumspannende schenken, andererseits mit antiquierten Haltungen und Ideen aufräumen. Er startete eine bis dahin nicht gesehene Reisetätigkeit, die bis heute anhält und ihn mehr als hundert Tage pro Jahr in irgendeinen Winkel des Globus führt. Über 1,1 Milliarden Dollar hat die Fifa mit ihm als Zeremonienmeister in den letzten 15 Jahren für Entwicklungsprojekte, Nachbarschaftshilfen, Katastrophenbewältigung und Sofortsupport ausgegeben. Heute zählt die Fifa 209 Mitgliedsnationen – das sind mehr als in der UNO.

 

Eine halbe Million täglich

Erst wuchs die Zahl der Mitglieder – dann auch die ihrer Begehrlichkeiten. Zwar versäumten es die Strategen der ersten Stunde, ebenso exorbitante TV- und Vermarktungsverträge zu tätigen, wie dies beispielsweise der europäische Fussballverband Uefa – ein treuer Rivale der Fifa – gekonnt realisierte. Aber spätestens seit 1998 setzte über der Fifa der Geldregen ein, pünktlich mit der Präsidiumsübernahme durch Joseph Blatter. Diese gewaltigen Wasser mussten abfliessen – und dafür sorgten Blatters Entwicklungsideen, die sich fortan praktisch selber entwickelten. Im vergangenen Jahr erreichten sie einen Höchststand: Jeden Tag goss die Fifa rund 500 000 Dollar in die Trichter ihrer weltweiten Projekte. Ein Rekord. Die Budgets für die kommenden vier Jahre sehen trotzdem eine Steigerung vor.

So tun die Fifa und ihr Präsident, Joseph Blatter, ostentativ und immer öfter und teurer Gutes, weil sie damit das sich weiterhin aufblähende Einkommen verteilen. Sie sind dazu gezwungen, denn die Gesetze dieses Schweizer Vereines schreiben es vor. Indes, trotz über tausend Projekten wächst das Vermögen an: Auf 1,432 Milliarden Dollar sind die Reserven inzwischen aufgetürmt. Blatter hat ein Luxusproblem. Er verfügt über mehr finanzielle Mittel, als er verbrennen kann.

Das Gute daran: Die Fifa verbessert die Welt, sich selber und ihre Reputation – was sie dringend nötig hat –, und sie entspricht vollkommen der einen, unterschätzten oder willentlich übersehenen Seite ihres eitlen, machtbewussten Präsidenten. Der katholisch-konservative Walliser setzt aus Überzeugung fort, was er als Messdiener in Visp begann: zu helfen und zu dienen. Football for Health, Fussball für Schulen. For a better world. Die Fifa hat noch eine Menge Programme in ihrem Köcher, und der Präsident will sie alle miterleben, nach seiner erneuten Wahl in einem Jahr.

Mach‘s gut, Sepp, sagen seine Freunde, bevor Joseph Blatter zur WM fliegt. Er schüttelt ihre Hände, und macht‘s gut – keine Frage.

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