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Lyrisches Geflitter trifft Bockmist

1981 debütierte Thomas Hürlimann mit dem Novellenband «Die Tessinerin», zugleich der erste Titel im Programm des damals neu gegründeten Ammann-Verlags. Bis heute sind bei Ammann zwanzig Bücher von Hürlimann erschienen, der damit zu den produktivsten und erfolgreichsten Autoren des Verlags gehört. Jetzt, zum Ende des Verlags, hat Ammann noch einmal achtzehn Geschichten aus fast dreissig […]

1981 debütierte Thomas Hürlimann mit dem Novellenband «Die Tessinerin», zugleich der erste Titel im Programm des damals neu gegründeten Ammann-Verlags. Bis heute sind bei Ammann zwanzig Bücher von Hürlimann erschienen, der damit zu den produktivsten und erfolgreichsten Autoren des Verlags gehört. Jetzt, zum Ende des Verlags, hat Ammann noch einmal achtzehn Geschichten aus fast dreissig Jahren in einem kleinen Bändchen versammelt. Für Leser eine willkommene Gelegenheit, einen der bedeutendsten Schweizer Erzähler neu- oder wiederzuentdecken.

Was in der Literaturgeschichte oft ein wenig herablassend als kleine Form bezeichnet wird, erweist sich bei Hürlimann als grosse Sprachkunst, aphoristisch verdichtete Geschichten und Reflexionen, die ebenso lebensklug wie sprachlich brillant sind. Auffällig an den in «Dämmerschoppen» versammelten Texten ist die Vielfalt der Stil- und Tonlagen. Ob spitzzüngige Satire, absurde Situationskomik oder philosophische Betrachtung, Hürlimann beherrscht souverän die verschiedenen Register und fühlt sich überall gleichermassen zu Hause. Dass der Autor seine Erfahrungen als Dozent am Leipziger Literaturinstitut oder als Gast eines Dichtertreffens in Konrad Adenauers ehemaliger Sommerresidenz am Comersee zu fulminanten Satiren auf den Literaturbetrieb verarbeitet, ist nicht weiter verwunderlich. Aufhorchen hingegen lässt die Glosse «Der Vestiaribruder», eine liebevolle Hommage an den Mönch des Klosters Einsiedeln, der für die täglich wechselnde Garderobe der in der Klosterkapelle verehrten Schwarzen Madonna zuständig ist. Der feinsinnige Text sei insbesondere jenen Kritikern ans Herz gelegt, die dem Autor routinemässig eine Verunglimpfung der Religion vorwerfen.

Glanzstück der vorliegenden Sammlung ist zweifellos die titelgebende Novelle «Dämmerschoppen», eine poetische Reflexion über Dichterruhm und Eitelkeit. Sie erzählt vom 70. Geburtstag Gottfried Kellers, der unter falschem Namen in einem Hotel am Vierwaldstättersee abgestiegen ist, um den ihm zu Ehren veranstalteten Festlichkeiten zu entgehen. Während der grosse Dichter die aufkommende Schwermut mit einer Flasche Wein auf der Hotelterrasse zu vertreiben versucht, ist man drinnen längst seiner wahren Identität gewahr geworden und rüstet sich zum grossen Empfang. Einzig der Kellner auf der Terrasse ahnt nichts von seinem berühmten Gast und äussert sich abfällig über die literarischen Verdienste des Zürcher Staatsschreibers, dessen Werk nüchtern betrachtet lyrisches Geflitter von gestern sei. Als dem Kellner sein Fauxpas bewusst wird, revanchiert er sich mit überschwenglichem Lob, für das der desillusionierte Jubilar nur die einzig passende Vokabel «Bockmist» übrig hat.

Indem die Erzählung auf heiter-melancholische Weise die Fragwürdigkeit und das fadenscheinige Lob der Dichterexistenz aufgreift, schlägt sie einen weiten Bogen zu Hürlimanns bitterbösen Satiren auf den Literaturbetrieb. Nur in einem Punkt müssen wir dem Autor entschieden widersprechen. Die in «Lehrjahre eines Unterdozenten» geäusserte Befürchtung, das Leipziger Literaturinstitut stelle nur kugelrunde Nullen ein, die es zu nichts gebracht hätten, trifft zumindest auf den Unterdozenten Hürlimann ganz gewiss nicht zu. Der gehört, genau wie sein schriftstellerischer Ahne Gottfried Keller, zu den ganz Grossen.

Thomas Hürlimann: «Dämmerschoppen». Zürich: Ammann, 2009

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