Luftgeister, minergetisch
Im trendigen Prachtbau der Pädagogischen Hochschule Zürich herrscht schon kurz nach der Eröffnung dicke Luft. Im wahrsten Sinn des Wortes: stickiges Raumklima, mal zu heiss, mal zu kalt. Studenten und Lehrer klagen über Beschwerden aller Art. Ein Gesangsschüler fiel in Ohnmacht und verletzte sich am Kopf. Woran liegt’s? An der Lüftung. Beziehungsweise an der fehlenden […]
Im trendigen Prachtbau der Pädagogischen Hochschule Zürich herrscht schon kurz nach der Eröffnung dicke Luft. Im wahrsten Sinn des Wortes: stickiges Raumklima, mal zu heiss, mal zu kalt. Studenten und Lehrer klagen über Beschwerden aller Art. Ein Gesangsschüler fiel in Ohnmacht und verletzte sich am Kopf. Woran liegt’s? An der Lüftung. Beziehungsweise an der fehlenden Lüftung. Beziehungsweise an der «Komfortlüftung», wie Ingenieure und Architekten den Vorboten der 2000-Watt-Gesellschaft schönfärberisch zu nennen pflegen: Die luftdichte Gebäudehülle ist Teil des Minergie-P-Labels, das künftig auch für alle Zürcher Schulhäuser gelten soll. Offene Fenster werden dann der Vergangenheit angehören. Seltsames Verständnis von Komfort. Arme Schüler.
Als wir noch in energiepolitischer Sünde lebten, öffneten wir bedenkenlos die Fenster, wenn die Raumluft schlecht war oder uns ganz einfach die Lust ankam, uns der Aussenwelt näher zu fühlen. Das erlauben sich heute nur noch Bewohner undichter Altbauten im Niederdorf oder an der Langstrasse, auch wenn die Aussenluft nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Beginnt dann die Berufskarriere und das Familienleben, ziehen auch Lebensabschnitts- Bohémiens in zeitgemässere Gebäude auf dem Land. Das schlechte Öko-Gewissen, das Zersiedlung und familientauglicher SUV verursachen, beruhigt das im Minergiestandard erstellte Einfamilienhaus – selbstverständlich mit Komfortlüftung. Luftdicht von der Umwelt abgeschottet.
So trägt der umweltbewusste Agglomerationsbewohner zum Kampf für die 2000-Watt-Gesellschaft (für die er in der Stadt votiert hat) und gegen die Klimaerwärmung bei. Hier, im Grünen, hören die lieben Kleinen dann das Vogelgezwitscher, die zirpenden Grillen und das Muhen der Kühe vor den geschlossenen Fenstern nicht mehr. Aber dafür gibt’s ja den Fernseher, CDs oder Mamas iPad.
Schöne neue Welt: Der ökologische Fussabdruck ist beruhigend klein. Darüber spannt sich eine Komfort-Glasglocke. Luftdicht abgeschlossen.