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Lukas Leuzinger, zvg.

Locker-flockig dringlich

Die Politiker haben sich an das Dringlichkeitsrecht gewöhnt wie ein Süchtiger an eine Droge.

Ausserordentliche Situationen erfordern ausserordentliche Massnahmen. Gefährlich wird es dann, wenn solche zur Normalität werden. Als im Herbst 2020 das Parlament das Covidgesetz beschloss und dieses für dringlich erklärte, konnte es den Schritt mit der Neuartigkeit und der Bedrohlichkeit des Virus rechtfertigen. Bei den weiteren Änderungen des Gesetzes war dieses Argument schon deutlich weniger zwingend, doch immerhin war das Gesetz bis Ende 2022 befristet.

Nun, kurz vor Ende der Frist, haben National- und Ständerat das Gesetz in der Herbstsession zum fünften Mal angepasst und die Gültigkeit bis Mitte 2024 verlängert – erneut im dringlichen Verfahren. Das irritiert. Die Befristung bis Ende 2022 war seit längerem bekannt. Warum das Parlament sich so lange Zeit liess, um sie zu verlängern, bleibt schleierhaft. Mit der Dringlichkeit wird das Referendum zahnlos, denn eine Abstimmung wäre erst Monate später möglich, wenn die Änderung längst in Kraft ist.

Das Parlament hat sich an das Ausnahmeinstrument gewöhnt und wendet es freimütig an, auch wenn die Situation keineswegs aussergewöhnlich ist. In der Herbstsession beschloss es ein Gesetz, das Projekte für erneuerbare Energie erleichtern soll und zu diesem Zweck Umwelt- und Landschaftsschutz drastisch einschränkt. Die Gesetzesänderung wurde für dringlich erklärt, obschon die Projekte erst mittelbis langfristig Strom liefern können. Ebenfalls erklärten die Räte den Rettungsschirm für Stromfirmen im Umfang von 10 Milliarden Franken für dringlich. Seit 2020 sind insgesamt 18 Vorlagen im dringlichen Verfahren beschlossen worden.

Die Politiker haben sich an das Dringlichkeitsrecht gewöhnt wie ein Süchtiger an eine Droge. Statt vorausschauend zu legiferieren, orientieren sie sich an kurzfristigen Forderungen, um das ordentliche Gesetzgebungsverfahren zu umgehen. Probleme zu verschlafen, ist nicht nur entschuldbar – es lohnt sich sogar, da man sich der störenden demokratischen Mitsprache entledigen kann.

Nach dem Vollmachtenregime zur Zeit des Zweiten Weltkriegs brauchte es eine Volksinitiative, um die Politik auf den Pfad der demokratischen Gesetzgebung zurückzuführen. Man möchte hoffen, dass das diesmal nicht nötig sein wird.

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