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Lieber traditionell

Fünfzigtausend Akademikerinnen am Herd! So lautete einmal die Schlagzeile einer Pendlerzeitung. Die Entrüstung über das brachliegende volkswirtschaftliche Potenzial war gross. All diese Juristinnen, Kunsthistorikerinnen und sowieso, diese Ärztinnen! Alle sind sie bestens und teuer ausgebildet, aber kaum sind die Kinder auf der Welt, verschwinden sie vom Arbeitsmarkt und tauchen erst Jahre später in der Statistik wieder auf. Wie unerhört. Dabei sollte sich niemand wundern. Wenn man sie messen müsste, dann reicht die Gleichberechtigung in der Schweiz nämlich nur genau bis zur Geburt des ersten Kindes. Von da an unterteilt der Staat Väter und Mütter in zwei verschiedene Arten von Bürgern. Die ungleiche Behandlung hat System – und ist politisch gewollt, sei es bei den Steuern, den Sozialwerken oder im Schulsystem.

Ich wollte mal ein Buch schreiben mit dem Titel: «Warum ich eine der 50 000 Akademikerinnen am Herd bin.» Ich verrate es Ihnen aber schon jetzt. Alles in der Schweiz ist darauf ausgelegt, dass mindestens ein Elternteil zu Hause auf die Kinder schaut. Finanziell lohnt sich maximal ein Pensum von 40 bis 60 Prozent, alles andere fressen die Steuern und die Kinderbetreuungskosten wieder weg. Der Stress, das schlechte Gewissen, die Zerreissprobe bei Krankheit des Nachwuchses: All das ist Vergangenheit, seit ich weniger Geld für meine Arbeit bekomme. Nicht, dass mein Alltag nun weniger anstrengend wäre. Im Gegenteil, die Tage in der Redaktion waren oft erholsamer als zu Hause. Trotzdem bin ich momentan zufriedener, weil ich mehr abfedern kann.

Genau das bestätigt übrigens auch eine neue Auswertung der Longitudinal-Studie «Vivre en Suisse». Familien, in denen die Mütter Teilzeit und die Väter Vollzeit arbeiten, sind glücklicher. Et voilà. Warum, so mag man sich fragen, die Klage über die fehlende Gleichberechtigung? Vielleicht, weil das traditionelle Modell hierzulande keine Wahl ist, sondern ein Umstand, dem man sich als Eltern beugen muss.

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