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Liebe, Leidenschaft, dann das Verderben

Literarische Essayistik hat es heutzutage nicht leicht, kann es nicht leicht haben in einer Zeit, in der das zugehörige Lesepublikum, dessen sich ein Grossmeister des Genres wie Thomas Mann absolut sicher sein konnte, gewissermassen abhanden gekommen ist. In der Gegenwart, in der Eliten aller Art in globalökologischen Kassandra-Rufen politisierender Pop-Kleinmeister intellektuelle Offenbarungen wähnen sehen zu […]

Literarische Essayistik hat es heutzutage nicht leicht, kann es nicht leicht haben in einer Zeit, in der das zugehörige Lesepublikum, dessen sich ein Grossmeister des Genres wie Thomas Mann absolut sicher sein konnte, gewissermassen abhanden gekommen ist. In der Gegenwart, in der Eliten aller Art in globalökologischen Kassandra-Rufen politisierender Pop-Kleinmeister intellektuelle Offenbarungen wähnen sehen zu müssen, scheint kaum mehr Platz zu sein für im guten Sinne populärwissenschaftliche literarhistorische Abhandlungen. Guter Rat ist also teuer, wenn man bei einer dem Geist abgeneigten Öffentlichkeit Interesse für ein buchstäblich aus dem vorletzten Jahrhundert stammendes Thema wecken möchte. Dass dies dennoch gelingen kann, beweist die Fontane-Forscherin Regine Dieterle. Ihr reich illustriertes, innerhalb kurzer Zeit vergriffenes Essay-Bändchen wird in diesen Tagen bereits zum zweitenmal aufgelegt. Wie ihr das gelingt, ahnt man schon beim Blick auf den Umschlag; denn wer würde sich nicht für eine skandalumwitterte «Tragödie» in den Reihen der Reichen und Schönen interessieren?

Der etwas reisserische Titel bedient die omnipräsente Neigung zum Voyeurismus hier, offen gesagt, ein wenig unangemessen. Schade, denn drinnen wird eine grundsolide recherchierte komplexe Argumentation sinnfällig präsentiert. Die von Otto Brahm in Berlin publik gemachte unglückliche Liebe der steinreichen Zürcherin Lydia Escher zum Schweizer Maler Karl Stauffer-Bern sollte künftig – so lautet im Kern der Ansatz – zu den zentralen Quellen von Fontanes Roman «Effi Briest» gerechnet werden. Ein lohnendes Gedankenspiel in der Tat. Ein plausibles dazu, wenn bedacht wird, wie sehr Fontane zum eklektizistischen Zusammentragen passender Gesellschaftsnachrichten neigte, um für seine sublimierenden Fiktionen aus dem prallen Leben zu schöpfen. Die Autorin vollbringt daher ein kleines Kunststück, indem sie ausgesprochen disparate Handlungsstränge und Materialien zu einem dichten, tragfähigen Gewebe verknüpft. Die Forschung wird ihr diese akribische Studie zur grossbürgerlichen Mentalitätsgeschichte zu danken wissen. Dennoch hat es den Anschein, als traue sie selbst der Evidenz des eigenen Textes nicht so recht. Sie legt nach, wo doch alles deutlich zutage tritt.

Als die tieferen Ursachen für das private Unglück werden so von ihr etwa vermeintlich defizitäre gesellschaftliche Zustände bewertet: Männer und Männerbünde seien es, die Frauen die Freiheit zu denken und zu lieben beschnitten hätten. Derlei Projektionen sind ein Ärgernis. Umso schlimmer also, wenn das Schwarz-Weiss-Denken hier zudem noch personalisiert wird: der bedeutende Schweizer Literaturhistoriker Jacob Baechtold wird dabei auf kaum haltbare Weise zum willfährigen Handlanger des Bundesrats deklariert, der Emanzen wie Lydia Escher angeblich systematisch «an den Rand» trieb, sie «zum Verstummen» brachte. Wie gut, dass es da wenigstens im fernen Berlin einen Nothelfer gab: Otto Brahm, der durch seine beiden Nachrufe Licht in die Affäre zu bringen suchte. Solche Rollenzuweisungen sind heikel, da das vielfältig Verstrickte allzu sehr vereinfacht wird, und weil der Versuch, mit Fontane auf dessen ureigenstem Terrain, der Schilderung gesellschaftlicher Verhältnisse, in eine Art Konkurrenz zu treten, unweigerlich an den Wettkampf von Hase und Igel erinnert. Bedauerlich ist überdies, dass ausgerechnet Otto Brahm, der doch im Zentrum des Interesses stehen müsste, so merkwürdig blass bleibt. Ausführlicher von ihm zu handeln, hätte gleichsam eine historische Verpflichtung dargestellt, gehört doch gerade er zu denen, deren Verdienste im Dritten Reich mit Bedacht marginalisiert worden sind. Unpassend wirkt schliesslich noch die nicht zu rechtfertigende Stilisierung Lydia Eschers zu «einer der grossen Frauen Zürichs». Sollte eine «kluge, visionäre» Frau tatsächlich daran erkennbar sein, dass sie in einer verzweifelten Situation die Chance zur Publikation dessen wahrnahm, was sie und Stauffer-Bern rehabilitieren konnte? Hier ist Skepsis angebracht. Sicher: das ist alles gut gemeint, als eine historische Wiedergutmachung eben. Nur: davon wird die Frau nicht automatisch auch bedeutender. Mit Fontane möchte man daher sagen, dass mit dieser «auf den letzten i Punkt gehenden Gründlichkeit … in ihrem eignen Interesse, wie in dem der Leser und der Literatur» tatsächlich «nur die ganz Grossen behandelt werden» sollten, zu denen Lydia Escher, ihrem bedauerlichen Schicksal zum Trotz, wohl doch eher nicht gehört.

vorgestellt von Anett Lütteken, Bern

Regina Dieterle: «Lydia Escher. Theodor Fontane und die Zürcher Tragödie». Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2006.

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