Liberalismus und Ökologie
Umweltschutz und Marktwirtschaft sind zwei Seiten derselben Medaille – aber nur, wo tatsächlich Kostenwahrheit herrscht. Das wusste ein liberaler Ingenieur aus der Schweiz schon vor sechzig Jahren, nun fällt seine wissenschaftliche Arbeit endlich auf fruchtbaren Boden.
Die Grünen und die Grünliberalen verdanken ihre Existenz den umweltpolitischen Fehlern der Parteien, die vor ihnen da waren. Die FDP zum Beispiel hat in den 1970er Jahren versagt, und sie tut es immer noch: Bis heute glauben ihre Politiker und Wähler, die Ökonomie über alles stellen zu müssen und die Ökologie vernachlässigen zu dürfen. Viele Liberale etikettierten letztere als «links» und überliessen sie den Parteien des linken Spektrums, und selbst als die «Grünliberalen» auftraten, alarmierte sie das nicht. Das war und ist aus zwei Gründen falsch: Erstens hat die Politik nicht der «Wirtschaft», sondern den Menschen zu dienen, und zweitens sollte jedem klar sein, dass die Ökologie ein Bestandteil der Ökonomie ist – die natürlichen Grundlagen allen Lebens sind auch die natürlichen Grundlagen des Wirtschaftens. Das zentrale Problem ist, dass der einzelne wirtschaftende Betrieb nicht für den Schaden zahlen muss, den er mit seinem Wirtschaften an der Natur anrichtet. Es gibt keine Kostenwahrheit, keine Vollkostenrechnung im Hinblick auf die Umweltfolgen des Handelns, das Verursacherprinzip ist damit ausser Kraft gesetzt. Natürlich: Unternehmen und Konsumenten profitieren davon, denn beide zahlen heute weniger, als sie eigentlich müssten. Aber: Wie lang wird man noch glauben, sich diese Externalisierung der Kosten leisten zu können?
Erinnern wir uns: Mit der Industrialisierung ging das fast wachstumslose Mittelalter zur Praxis exponentiellen Wachstums über. Die Beanspruchung der Natur hat sich seither rasant beschleunigt. Immer mehr Menschen setzen der Biosphäre immer mehr zu. Die Phänomene sind seit langem bekannt: Erderwärmung, absehbare Erschöpfung von fossilen Energieträgern und anderer natürlicher Ressourcen, Verschmutzung und Vergiftung der Biosphäre, zum Beispiel mit Plastikmüll in den Menschen und Meeren, ein beängstigendes Artensterben. Ein Hauptproblem stellt dabei die «Bevölkerungsexplosion» dar: Die Anzahl Menschen hat seit dem 19. Jahrhundert dramatisch zugenommen und dadurch auch die Anzahl Ressourcenverbraucher und Umweltverschmutzer. Zwar nimmt die Anzahl Menschen auf dem Planeten voraussichtlich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wieder ab, die Ansprüche der Verbleibenden aber werden im Hinblick auf Energie- und Ressourcenverbrauch kaum schrumpfen. Es bleibt auch bei der an sich trivialen Erkenntnis, dass auf der endlichen Erde alle materiellen Gegebenheiten beschränkt sind. Dagegen helfen keine politische Verrenkung, kein populistischer Opportunismus und auch keine psychologische Selbsttäuschung.
«Nach dem Verursacherprinzip sollten die Folgekosten von Umweltbelastungen nicht mehr auf die Allgemeinheit überwälzt, sondern von den Verursachern getragen werden.»
Die Probleme sind seit Jahrzehnten bekannt, und die Anstrengungen, ihnen zu begegnen, sind gerade in entwickelten Industrieländern unübersehbar geworden. Das ist gut. Sind sie aber überhaupt noch zu lösen? Die Pessimisten und Fatalisten finden, es sei schon zu spät und es stelle sich nur noch die Frage nach Zeitpunkt und Erscheinungsform der nicht mehr vermeidbaren Katastrophe. Produktiver ist demgegenüber die Frage der Umweltschützer, wie die Zivilisationsmaschine neu auszurichten sei, um die Katastrophe zu vermeiden, sprich: wie unser Wirtschaften und Konsumieren «nachhaltig» zu machen sei. Denn: Wir müssen die dauerhafte Schädigung der Biosphäre vermeiden. Wir müssen innerhalb der planetaren Grenzen navigieren lernen. Es geht darum, nur noch solches Wachstum zuzulassen, das sich mit dem Gebot der Nachhaltigkeit verträgt. Einerlei, ob man es nun «grünes» oder «intelligentes» oder «qualitatives» Wachstum nennt.
Das Problem der Allmende
Im Jahr 2009 hat Elinor Ostrom als bisher einzige Frau den Nobelpreis für Ökonomie erhalten. Sie erarbeitete Lösungen für die «Tragik der Allmende». Allmenden sind Gemeingüter, die, wie Elinor Ostrom erkannt hat, oft übernutzt werden, wenn für sie keine Regeln gelten. Die Biosphäre kann in diesem Sinne als grosse Allmend betrachtet werden, die zwingend der Regeln bedarf. Die freiwillige Einschränkung der Menschen als Produzenten und Konsumenten kommt vor, reicht aber aufs hoffnungsloseste nicht, selbst in der entwickelten Welt. Denkbar wäre stattdessen, dass staatliche und überstaatliche Instanzen bestimmte Verhaltensweisen – etwa im Hinblick auf den CO2-Ausstoss – verbieten. Dies geschieht auch, bringt aber bisher eher unbefriedigende Ergebnisse hervor und schaltet den technischen wie ökonomischen Wettbewerb (etwa beim Atomausstieg) aus. Hier ist der Liberalismus gefordert: Er setzt grundsätzlich nicht auf mehr Verbote, sondern auf Freiwilligkeit und Anreizstrukturen, und damit auf den Markt. Aber viele natürliche Ressourcen haben keinen Preis, sie scheinen deshalb «gratis», obwohl sie es nicht sind. Dass der Mensch nach liberaler Lesart stets tun und lassen kann, was er will, solange er keinem anderen schadet – das reicht hier nicht mehr. Diese Freiheitsregel ist zu ergänzen: Der Mensch darf in seinem Handeln nicht nur dem Nächsten, sondern auch der Biosphäre nicht schaden – und wo er letzteres tut, soll er dafür zahlen. Es ist dies im Grunde keine neue, «dirigistische» Einschränkung, denn es ist ja klar: Wer der Biosphäre schadet, schadet mittelbar auch seinen Mitmenschen, der Mit- und Nachwelt. Die Natur muss im Liberalismus des 21. Jahrhunderts berücksichtigt werden, weil sie seit wenigen Jahrzehnten in einem in der Menschheitsgeschichte noch nie dagewesenen Mass belastet und zum wichtigsten limitierenden Faktor geworden ist.
Pionier Ernst Basler
Der zentralen Frage, wie der Liberalismus auf die ökologischen Herausforderungen reagieren solle, hat sich als einer der ersten der Zürcher Ernst Basler gestellt. Er hat eine klassische Ingenieurausbildung an der ETH Zürich durchlaufen. In den 1960er Jahren erkannte er, dass die Umweltverschmutzung mit dem exponentiellen Wachstum von Bevölkerung und industrieller Tätigkeit kausal zusammenhing. Als Gastprofessor am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Boston hielt er 1970 die weltweit erste Vorlesung über die Bedingungen nachhaltigen Wirtschaftens – noch vor dem Erscheinen des millionenfach verkauften Werks «The Limits to Growth» des Club of Rome1. Basler war auch der erste, der den aus der Forstwirtschaft stammenden Begriff der «Nachhaltigkeit» im heutigen Sinn verwendet hat. Er plädierte dafür, dass der Liberalismus mathematische Gegebenheiten wie die absehbare Kollision exponentiell wachsender Grössen mit der Endlichkeit unseres Lebensraums zur Kenntnis nehmen müsse.2 Im Jahr 2002 hielt er fest, die Wirtschaft solle «ihre Kräfte nicht wie bis anhin bloss auf die Abwehr von staatlichen Geboten und Verboten konzentrieren oder diese auf minimale Wirksamkeit reduzieren. Vielmehr sollten Rahmenbedingungen geschaffen werden, welche das grosse Kreativitäts- und Innovationspotenzial der Wirtschaft zu mobilisieren vermögen und dieses auf die neuen Ziele einer nachhaltigen Entwicklung ausrichten. Hierbei sollte die stärkste umweltgestaltende Ordnungskraft, der Markt, in den Dienst genommen werden, z.B. durch den Einbezug der Umweltkosten in entsprechende Preise. Nach dem Verursacherprinzip sollten die Folgekosten von Umweltbelastungen nicht mehr auf die Allgemeinheit überwälzt, sondern von den Verursachern getragen werden.»
Obwohl das liberale Überzeugungen waren, stiessen Baslers Anliegen auf Skepsis. Die NZZ lehnte einen Artikel Baslers als «wirtschaftsfeindlich» ab, und Baslers Kollegen begegneten ihm mit Unverständnis, da ihnen die Thematik noch durchaus fremd war. Für Basler aber war klar: Akzeptiert der Liberalismus die ökologischen Grenzen nicht, kann er nicht aktiv mitgestalten, wie den ökologischen Herausforderungen gesellschaftlich begegnet wird. Der Liberalismus bietet, so der Ingenieur, einen überaus reichen Werkzeugkasten, der sich eben nicht nur auf die Pole freier Markt einerseits, gesetzliche Verbote andererseits reduzieren lässt. Vielmehr sind auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung jeweils die geeigneten politischen Instrumente einzusetzen, mit dem Ziel, stets nur den minimalen Zwang aufzuerlegen. Auszugehen ist vom Markt und von Freiwilligkeit: Idealtypisch beruht der Markt auf dem freien Willen jener, die an ihm teilnehmen. Damit dieser freie Wille jedoch überhaupt in Richtung nachhaltige Entwicklung wirken kann, braucht es Aufklärung, Wissen über die Auswirkungen auf die Umwelt. Mit solchen Informationen ausgerüstet, können Konsumenten öffentlichen Druck auf Unternehmen ausüben: Mangelnde Nachfrage nach umweltbelastenden Produkten und Dienstleistungen und eine herabgesetzte Reputation werden für das Unternehmen dann wieder ökonomisch relevant.
Für Basler bedingt nachhaltiges Wirtschaften aber auch staatliche Eingriffe. Das marktwirtschaftliche Gefälle muss zugunsten des Umweltschutzes genutzt werden, und hier kann und soll der Staat mit ökologisch sinnvollen Massnahmen Einfluss nehmen, zunächst mit Anreizstrukturen, Lenkungsabgaben und anderen Verhaltenslenkungen, Bonus-Malus-Modellen, innerhalb derer dann aber wieder der Markt spielen soll. Nur wo sanftere Massnahmen nicht die nötige Wirkung zeigen, soll auf Gebote und Verbote zurückgegriffen werden. Zur liberalen Ordnung gehört für Ernst Basler sodann die konsequente Beachtung des Subsidiaritätsprinzips: Jeder sollte Verantwortung übernehmen und sich verpflichtet fühlen, seinen Beitrag zu leisten.
Effizienz ist nicht alles
Wir wissen heute, dass es auch nicht reicht, beim Schutz der Biosphäre einzig auf wirtschaftliche Effizienzgewinne zu setzen – denn oft werden diese aufgehoben durch die Rebound-Effekte: Dass Automotoren weniger Benzin verbrauchen, nützt nichts, wenn dafür mehr und schwerere Wagen gefahren werden. Dass effizienter produziert wird, nützt nichts, wenn dafür mehr konsumiert wird. Und doch: Die Menschheit muss hoffen, sie habe ihre ökologischen Probleme nicht nur selbst geschaffen, sondern sei auch in der Lage, sie zu beheben; die Wissenschaft gebe uns Mittel in die Hand, die desaströse Vertiefung der Probleme abzuwenden, und bringe technologische Lösungen. Wir sind, meint Basler, deshalb zunehmend auf die Wissenschaft angewiesen, wenn es darum geht, die unerwünschten Nebenfolgen der sich immer noch beschleunigenden zivilisatorischen Entwicklung abzuschätzen. Als Ingenieur warnt er vor Technologiefeindlichkeit. Denn wenn Wissenschaft und Technik auch ambivalent geworden sein mögen, so wäre es grundfalsch, sie per se negativ zu bewerten. Die Menschheit hat von ihnen vielmehr verantwortlichen, intelligenten, differenzierten Gebrauch zu machen. Zentral sind hier die Innovationen. Denn ja, der Planet mag endlich sein – die Welt der Innovationen ist es nicht. Hier stellt sich denn auch eine der wichtigsten Aufgaben für die Hochschulen.
«Viele Liberale etikettierten Ökologie als ‹links› und überliessen sie den Parteien des linken Spektrums. Das war falsch.»
Ernst Basler plädiert aber nicht nur für technologische, sondern auch für mental-kulturelle Veränderungen. Zwar hat ihn die Erfahrung gelehrt, dass steigender materieller Wohlstand – zumindest in hochentwickelten Ländern – nicht zwingend zu höherer Lebenszufriedenheit führt, er findet es aber verfehlt und anmassend, materiellen Wohlstand zu denunzieren. Hingegen tritt er dafür ein und sieht sich durch historische Erfahrungen darin bestätigt, dass Wohlstand auch ohne weiteres quantitatives Wachstum möglich ist. Daher müssen sich unsere Fortschrittsziele von den früheren abheben. Alles fernere Wachstum untersteht der Bedingung, der Biosphäre nicht zu schaden. Das ist weniger eine Frage der Moral als der ökonomischen Vernunft, denn eine Wirtschaft, die ihre eigenen Grundlagen zerstört, ist unvernünftig.
Sodann müssen Produktion und Konsum so gesteuert werden, dass sie die planetaren Grenzen nicht länger verletzen. Unternehmen und Menschen reagieren auf Anreize, vor allem auf Preise. Der Staat sollte also, wo immer möglich, keinem Dirigismus frönen, sondern unter Berücksichtigung der Kostenwahrheit, also inklusive der ökologischen Kosten, die Rahmenbedingungen so setzen, dass sich Preise ergeben, die den Unternehmen und Menschen ökologisch sinnvolle Anreize setzen.
Ausblick
Schon in den 1960er Jahren reifte bei Ernst Basler die Einsicht, dass der blinde Glaube an ewigen Fortschritt im Sinne quantitativen Wachstums überholt war. Als Fortschritt sollte nur noch gelten, was den Kriterien der Nachhaltigkeit genügt, womit aus ökologischer Sicht gemeint ist, dass es der Biosphäre nicht schadet. Früh stand Basler deshalb für ein zukunftsfähiges, qualitatives Wachstum ein, das die Grenzen der ökologischen Systeme beachtet. Er forderte ein Umdenken der Unternehmer und Konsumenten, strebte damit eine sich im Gleichgewicht befindliche Biosphäre an, in der die Menschheit noch über zahllose Generationen hinweg gesund leben kann. Baslers vor fünfzig Jahren formulierte Wünsche finden nun endlich das Gehör, das sie verdient haben. Seine Forderung nach mehr qualitativem Wachstum wird immer weniger mit Verzicht in Verbindung gebracht – und immer mehr mit einem Gewinn an Lebensqualität. Nachhaltigkeit wird von den Konsumenten zunehmend als Forderung an Unternehmen herangetragen. So mag man mit Ernst Basler hoffen, dass die Menschheit auf dem Weg ist, noch rechtzeitig zu jenem Masshalten zu finden, das sie überleben lässt.