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Liberale können Sozialpolitik – aber wollen sie auch?
Symbolbild. Bild: Unsplash @isaacquesada.

Liberale können Sozialpolitik
– aber wollen sie auch?

Armutsbekämpfung ist zu wichtig, als dass sie der Linken überlassen werden sollte.

Ruedi S. ist ein Paradebeispiel für einen Politiker, der die «Ochsentour» durchlaufen hat: langjähriger und verdienter Gemeinderat, Gemeindepräsident und Grossrat, Fraktionschef und Grossratspräsident. Ruedi S. ist Vertreter des Kleingewerbes und bekannt für seine harte Migrationspolitik. Und: Ruedi S. gehört zu den 38 Prozent der freisinnigen Wählerschaft, die im vergangenen März für eine 13. AHV gestimmt haben.

Ist Ruedi S. ein unverbesserlicher Egoist? Ein wohlstandsverwöhnter Boomer, der sich auf Kosten der Jungen bereichert? «Jetzt sind wir mal dran», lautete eines der häufigsten Argumente im Abstimmungskampf um die 13. AHV. Auch Ruedi S. brachte dieses Argument. Dass eine zusätzliche Monatsrente für alle, von der Angestellten im Detailhandel bis zum CEO von Novartis, ein denkbar ineffizientes Instrument ist, um Altersarmut zu bekämpfen, weiss auch er. Aber: Der Groll des Kleinunternehmers gegen jene, die durch ihr verantwortungsloses Wirtschaften innerhalb weniger Jahre gleich zwei Schweizer Grossbanken an den Rand des Zusammenbruchs brachten und nie dafür geradestehen mussten, sitzt tief. Dass der Staat mit Milliardenkrediten in die Bresche sprang, hinterlässt bei ihm den Eindruck, der Zurückhaltende und Gewissenhafte sei der Dumme.

«Weniger Staat» reicht nicht

Das Ja von Ruedi S. zu einer 13. AHV-Rente ist aber auch eine Kritik daran, dass Liberale die sozialpolitische Arena bislang zu sehr den Linken überlassen und es verpasst haben, freiheitliche Antworten auf soziale Herausforderungen unserer Zeit zu präsentieren. Ein zeitgemässer Liberalismus kann sich nicht mit der Abwehr staatlicher Übergriffe zufriedengeben. Anstatt auf jede Frage mit «weniger Staat» zu antworten, anstatt die sozialen Sicherungssysteme nur als Kostenfaktor zu kritisieren, sollten liberale Köpfe, denen politische Gegner noch so gerne soziale Kälte unterstellen, ihre eigene Vorstellung eines sozialen Staates einbringen.

«Ein zeitgemässer Liberalismus kann sich nicht mit der Abwehr

staatlicher Übergriffe zufriedengeben.»

Das liberale Menschenbild geht davon aus, dass der Einzelne die moralische Pflicht hat, für sich und für seine Nächsten zu sorgen und seine Verantwortung nicht auf andere oder die Gesellschaft abzuwälzen. Auf dieser Grundlage sollten Liberale Ideen liefern für einen modernen Sozialstaat, in dem Menschen nach Einbrüchen im Lebenslauf geholfen wird, möglichst schnell das Heft für ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen.

«Das liberale Menschenbild geht davon aus, dass der Einzelne die

moralische Pflicht hat, für sich und für seine Nächsten zu sorgen und

seine Verantwortung nicht auf andere oder die Gesellschaft abzuwälzen.»

Denn Menschen dauerhaft in Abhängigkeit zu versetzen, auch in finanzielle, ist für Liberale zutiefst demütigend und deshalb unethisch. Und weil die Freiheit, zwischen verschiedenen Optionen wählen und so sein eigenes Leben gestalten zu können, durch Armut eingeschränkt wird, sollte liberale Politik freiheitliche Lösungen zur Verhinderung von Armut offensiv vorantreiben. Dazu gehört ein soziales Sicherheitsnetz, das vor dem Absturz in dauerhafte Armut schützt und die Selbstwirksamkeit des Einzelnen stärkt. Weil zu einer liberalen Sozialpolitik eine möglichst grosse Wahlmöglichkeit gehört, wären zum Beispiel auch einkommensabhängige Franchisen zu prüfen. Und anstatt das Angebot für bestimmte Personen oder Personengruppen zu verbilligen, wie dies derzeit etwa mit Genossenschaftswohnungen geschieht, sollte liberale Sozialpolitik den Menschen direkt helfen.

Hätte eine liberale Politik, die diesen Namen verdient, bewiesen, dass sie nicht nur Grossbanken retten kann, sondern auch Antworten auf die sozialen Herausforderungen unserer Zeit hat, hätten Ruedi S. & Co. nicht für die 13. AHV-Rente zu stimmen brauchen.

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