Lesen oder Sex?: das Büchlein fürs Bett
Am besten liest man dieses Büchlein im Bett. Es lastet nicht auf den Rippen und verschlägt nicht den Atem vor revolutionärer Inbrunst. Der Titel, der nach politischer Gärung und Krawall tönt, ist einem der versammelten Texte entnommen, liegt dem Buch aber so eng an wie «Velofahren in China». Hingegen sitzt der Untertitel «Die Künste und […]
Am besten liest man dieses Büchlein im Bett. Es lastet nicht auf den Rippen und verschlägt nicht den Atem vor revolutionärer Inbrunst. Der Titel, der nach politischer Gärung und Krawall tönt, ist einem der versammelten Texte entnommen, liegt dem Buch aber so eng an wie «Velofahren in China». Hingegen sitzt der Untertitel «Die Künste und ihre Schauplätze». Siebzehn kurze Essays handeln von Ästhetischem, Alltagspragmatischem und Lebensphilosophischem, von Sprache, Musik, Literatur, Kunst, Zeit und Raum. Es geht ? eben gerade auch ? um das Lesen im Bett, um neugierig-gewagte Gänge in die Welt der Naturwissenschaft, des Urknalls und der Bankschalterhallen, um Spiegel, den autobiographischen Pakt oder die iPods. Es ist das Privileg von Essays, sich über alles und jedes zu äussern. Sie dürfen das Grosse und das Kleine zusammenbringen, das Naheliegende und das Entlegene; und gut gemacht wie hier, stellt sich dieses Zusammenbringen nicht nur als vollkommen natürlich dar, es verändert auch den Blick, und was nun nah ist und was entlegen, steht nach der Lektüre stark in Frage.
Ein Teil der Texte ging schon ein in Zeitungskolumnen. Kolumnen gehören je nachdem, das heisst je nach Autorin und Autor, zu den erfreulichsten oder den überflüssigsten und ärgerlichsten Spalten. Diese hätte ich mir gefallen lassen. Sie bedienen sich eines angenehm jargonlosen, manchmal umgangssprachlichen Stils und bieten ihre Substanz fast unauffällig in musikalisch-einfachen Sätzen. Nicht immer scheuen sie das Triviale ? aber warum sollten sie auch? Freundlich nickt man den Heiligen Freud, Foucault und Lacan zu, deren Säulen das Flanieren von Versuch zu Versuch da und dort beleben und erheitern.
Der Essay über das Lesen im Bett empfiehlt, vor dem Einschlafen zwischen Lesen oder Sex zu entscheiden. Das ist gefahrlos getan, denn zwischendurch wird wohl in allen Schlafzimmern ganz ohne Aufruhr die Wahl auf den Griff zu Büchern fallen; dann aber, wie gesagt, liest man am besten dieses.
besprochen von Thomas Sprecher, Zürich
Corina Caduff: «Land in Aufruhr». Basel: Lenos, 2007.