Lehren aus dem irakischen Fiasko
Strategische Interventionen sind ihrem Wesen nach eine andere Aufgabe als Landesverteidigung
Seit über dreieinhalb Jahren führen die USA im Irak einen Krieg gegen aufständische Sunniten und Schiiten. Beinahe im Stundentakt folgen im Irak Anschläge gegen amerikanische oder britische Patrouillen mit Hilfe von improvisierten Sprengladungen und Raketenrohren RPG-7. Die Amerikaner haben Ende 2006 nach offiziellen Angaben seit Kriegsbeginn mindestens 3’000 Tote und über 10’000 Schwerverletzte zu beklagen. Gemäss dem Bericht der Baker-Hamilton-Kommission können die USA den Krieg im Irak nicht gewinnen. Wenn aber in einem Kleinkrieg die Besatzungsmacht den Krieg nicht gewinnen kann, hat sie ihn gemäss den Lehren der Kriegsgeschichte bereits verloren.
Des weiteren sind die USA mit ihren Alliierten in Afghanistan in einen regelrechten Kleinkrieg mit neuen Kampfgruppen der Taliban verwickelt. Vor allem im südlichen und östlichen Afghanistan erleben sie einen Feind, der die Kriegführung im Irak in zunehmendem Masse kopiert. Gegen die steigende militärische Macht der Taliban operiert die Koalition (dazu gehören auch die Streitkräfte der Nato) in Afghanistan recht hilflos. Bereits ist in Kabul heute die Rede von einer Übergabe von drei Provinzen an die Taliban. Die Erkenntnis, gegen eine kleinkriegsgewohnte Organisation nicht gewinnen zu können, blieb 2006 auch der israelischen Armee im südlichen Libanon nicht erspart. Sie geriet in Hinterhalte und Minenfelder und verlor den nicht gewinnbaren Krieg.
Im Prinzip sind wir Zeugen des militärischen Bankrotts der amerikanischen Streitkräfte und ihrer verschiedenen Alliierten in zwei Kleinkriegen. Dieser Bankrott wird früher oder später die globalstrategische Lage der USA beeinflussen. Interessant ist, welche Lehren in der Schweiz aus dem irakischen Fiasko gezogen werden. Nachdem die amerikanischen Streitkräfte die Bedeutung uralter Taktiken gegen Kleinkriegsstreitkräfte – Zerstörung und Bombardierung von Städten, die diesen als Stützpunkten dienen – entdeckt haben, möchte die Spitze unserer Armee offenbar dieser Antiguerillataktik folgen. Bereits jetzt wird auf dem Waffenplatz Thun geübt, entsprechend der Situation in Bagdad, Häuser mit Schützenpanzern und Kampfgruppen zu stürmen, mit dem Ziel, Guerilleros (gemäss der offiziellen Bezeichnung der Amerikaner Terroristen) auszuschalten. Der Entwicklungsschritt 08/11 mit dem für Einsätze im Ausland vorgesehenen Bataillon weist auch in diese Richtung. Auch das deutsche Kommando Spezialkräfte soll kopiert werden. Möglichweise will man den Amerikanern für ihre Antiguerillakriegführung irgendwo in der Welt eine kleine Spezialeinheit gut ausgebildeter Soldaten zur Verfügung stellen.
Dieses Kopieren des US-Vorbildes nach den Ratschlägen der dort massgebenden Experten stellt keinen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Schweiz dar. Im Gegenteil, ein Fiasko dürfte absehbar sein sein. Unsere bisherigen Verteidigungsanstrengungen werden einerseits dadurch abgewertet, und andererseits werden wir in den Strudel des amerikanischen Misserfolgs gezogen. Anstelle des gehorsamen Kopierens der Amerikaner, sollten wir die Taktik der irakischen Guerilleros analysieren und uns diese zum Vorbild nehmen. Vielleicht müssen wir trotz allen Friedensschalmeien eines Tages den Überfall einer militärischen Grossmacht abwehren. Was ist naheliegender als zur früheren Raumverteidigung zurückzukehren und unser Land systematisch auf einen solchen Angriff vorzubereiten? Die dazu notwendige Taktik müssen wir lediglich von den irakischen Aufständischen übernehmen.
Es ist höchste Zeit, dass wir in der Schweiz aufhören, dem sogenannten Fachwissen selbsternannter in- oder ausländischer Militärexperten blindlings nachzueilen und ihre Hypothesen als die reine Lehre zu übernehmen. Die Angriffsdoktrinen und -strategien von Grossmächten sind für die Selbstverteidigung eines Kleinstaates, wie es die Schweiz ist, ungeeignet. Die Grossmannssucht international willfähriger Vordenker unserer Verteidigungspolitik gehört abgelegt und vergessen.
Trotz oder gerade wegen der angeblich neuen Strategie und der Entsendung zusätzlicher Truppen, die Bush jetzt verkündet hat, werden sich eines Tages die USA aus dem für sie hoffnungslosen Krieg im Irak zurückziehen müssen. Die irakischen Guerilleros werden dies zu Recht als ihren Erfolg feiern. Unter keinen Umständen dürfen wir deshalb den militärischen Bankrotteuren der Bush-Administration nacheifern. Rein taktisch ist vom Vorgehen der erfolgreichen irakischen Guerilleros mehr zu lernen. Jener Sachverstand, der sich auf praktische Erfahrungen der Kriegführung durch gewaltsamen Widerstand im eigenen Lande stützt, ist wertvoller als alle Lehren der weltweit praktizierten strategischen Intervention einer Grossmacht und ihrer Verbündeten in allen Konfliktherden der Welt, wie sie die Experten an amerikanischen Militärschulen derzeit vermitteln und als einzige zukunftstaugliche Doktrin verbreiten.
ALBERT A. STAHEL, geboren 1943, ist Titularprofessor an der Universität Zürich und Mitglied des Instituts für Strategische Studien, London.