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Leben unter Onkel Enver
Bild: Suhrkamp, 2022.

Leben unter Onkel Enver

Lea Ypi: Frei – Erwachsenwerden am Ende der Geschichte.

 

Isoliert vom «imperialistischen Westen» und dem «revisionistischen Osten» blieb Albanien auch nach Enver Hoxhas Tod eine stalinistische Diktatur – bis Dezember 1990, als sich auch die Welt eines 11jährigen Mädchens für ­immer veränderte.

Lea Ypi, Professorin für politische Theorie an der London School of Economics, schreibt in ihrer Autobiografie «Frei» über ihr Grosswerden in Albanien. Sie erzählt von den «vielen ungelösten Rätseln ihrer Kindheit» unter «Onkel Enver»: Was hatte es beispielsweise mit dem Aufenthalt an «Universitäten» auf sich, von denen so mancher Nachbar erst nach Jahren – wenn überhaupt – zurückkehrte? Klarheit erhielt die Heranwachsende erst, als der ­Sekretär des Politbüros im Fernsehen erklärte, dass politischer Pluralismus kein Vergehen mehr darstelle. Ypis Eltern offenbarten der kleinen Lea daraufhin, dass sie den Sozialismus stets für ein ungerechtes System gehalten hätten, in welchem ein freies Leben verunmöglicht worden war. Das Kind war mit dieser Situation zunächst überfordert: War es also gar nicht so frei, wie es in der Schule jahrelang nahegelegt worden war?

Ypi schildert in packender Prosa die persönliche Leidensgeschichte der Albaner im streng abgeriegelten Kommunismus. Der zweite Teil des Buches widmet sich den «gebrochenen Versprechen» des liberalen Aufbruchs: so etwa, wie ­Mitarbeiter der Weltbank in den frühen 1990er-Jahren nach Albanien reisten, um «Strukturreformen» – Kündigungen – und Teilprivatisierungen durchzusetzen. Als 1997 die grassierenden Pyramidensysteme kollabierten und zahlreiche Albaner ihre Ersparnisse verloren, brach ein Bürgerkrieg aus.

«Frei» ist eine lesenswerte und lebensnahe Auseinandersetzung mit dem abstrakten Begriff, den sie oftmals aus einer ausschliessenden Perspektive durchleuchtet: Was ist «Freiheit» nicht? Die Autorin hat hierzu eine klare Haltung: «Meine Welt ist so weit von der Freiheit entfernt wie die, aus der meine Eltern entkommen wollten», schreibt sie im Epilog. Was wäre denn eine «freie» Welt? Anhand ihrer eigenen ­Erfahrungen kann Lea Ypi die Frage nicht abschliessend beantworten, wohl aber aufzeigen, dass zwei unterschiedliche Weltanschauungen im konkreten Fall Albanien ihr Idealbild verfehlten.

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