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Lange Verfahren, wenig Wirkung
Rolf Weber, zvg.

Lange Verfahren, wenig Wirkung

Die Finma leidet immer noch an Geburtsgebrechen, die bereits vor zwanzig Jahren bekannt waren. Der Fall Credit Suisse hat weitere Schwachstellen offengelegt.

Vor 25 Jahren setzte Bundesrat Kaspar Villiger eine Expertenkommission unter der Leitung von Baptiste Zufferey ein mit dem Auftrag, die Finanzmarktregulierung und -aufsicht in der Schweiz auf breiter Grundlage zu überprüfen. Hintergrund der Abklärungen waren die damalige Allfinanz-Euphorie (dass also künftig sämtliche Finanzdienstleistungen aus einer Hand angeboten würden, und nicht mehr wie bisher von Banken, Versicherungen usw.) sowie ähnliche Reformprojekte ausländischer Regierungen. Nachdem der Expertenbericht vorgelegen hatte, fand eine Vernehmlassung statt, und darauf ­basierend formulierte eine weitere Expertengruppe (2001‒2003, unter Ulrich Zimmerli) Empfehlungen für das weitere Vorgehen zuhanden des Bundesrates. Ungeachtet der Tatsache, dass Finanzmarktunternehmen in der Zwischenzeit von Allfinanzstrategien abgerückt waren, hielt der Bundesrat am Projekt einer integrierten Finanzmarktaufsicht fest, verzichtete aber darauf, die materiellen Regulierungen anzugleichen.

Die Botschaft des Bundesrates vom Februar 20061 zur Schaffung einer solchen integrierten Behörde war geprägt vom Glauben an Synergieeffekte und Effizienzsteigerungen. Positive Wirkungen sah der Bundesrat bei den Unterstützungsprozessen, also der Infrastruktur und der Informatik, sowie bei den Querschnittsaufgaben, z.B. der Aufsicht über Konglomerate, Geldwäschereibekämpfung, Vollstreckung und Kommunikation. Überdies diagnostizierte er eine zunehmende Konvergenz einzelner Teilmärkte im Finanzbereich, die sich daran zeige, dass unterschiedliche Akteure (Banken, Versicherungen, Vermögensverwalter) ähnliche Produkte anböten und sich damit auch vergleichbaren Risiken aussetzen würden. Der Vorschlag des Bundesrates zur Schaffung einer integrierten Finanzmarktaufsichtsbehörde (Finma) wurde 2006 einer unabhängigen wissenschaftlichen Analyse aus ökonomischer und rechtlicher Sicht unterzogen. Projektleiter der knapp 180seitigen Studie war der Autor dieses Beitrags.2

CS-Untergang als bisher grösste Herausforderung

Die grosse Finanzmarktkrise von 2007/08 musste noch weitgehend die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) bewältigen, bevor die Finma Anfang 2009 ihre Tätigkeit aufnahm. Hingegen ist der Untergang der Credit Suisse in diesem Frühling (natürlich neben anderen, weniger einschneidenden Krisen während der letzten 15 Jahre wie beispielsweise dem Fall der Bank Wegelin) zur bisher grössten Herausforderung für die Finma geworden. Das ist ein guter Anlass, der Frage nachzugehen, inwiefern sich die bereits in der Entstehungsgeschichte der Behörde angelegten Chancen und Risiken verwirklicht haben oder eben nicht.

Die Schweiz hat mit der Schaffung der Finma nicht eine volle Integration aller möglichen (Teil-)Bereiche, die finanzmarktrelevant sind, verwirklicht. Nicht der Finma unterstellt worden sind die Anbieter von Altersvorsorgelösungen (anders als in der EU mit der European Insurance and Occupational Pensions Authority), und im Bereich der Krankenversicherungen ist die «Zweiteilung» ebenfalls aufrechterhalten worden: Die Grundversicherungen unterstehen der Aufsicht des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV), die Zusatzversicherungen dagegen derjenigen der Finma; für die meisten Krankenversicherungen ergeben sich dadurch ineffiziente Parallelverfahren, beispielsweise bei der Übernahme einer Konkurrentin.

SNB-Verhältnis klarer regeln

Zudem wurden bei der Gründung der Finma die Stellung und die Aufgabenzuordnung im Bereich Finanzstabilität gegenüber der Schweizerischen Nationalbank (SNB) nicht im Detail geregelt. Zwar waren die Beziehungen der beiden Institutionen seit Beginn Gegenstand eines relativ losen Memorandums, das hin und wieder nachgeführt wurde.3 Gerade die Schwierigkeiten im Vorfeld des Untergangs der Credit Suisse haben indessen gezeigt, dass der Verzicht auf eine klare Regelung des Verhältnisses zwischen der integrierten Finanzmarktaufsichtsbehörde und der für die Stabilität des Finanzplatzes hauptsächlich zuständigen Zentralbank problematisch ist. Die SNB verhielt sich mit Blick auf die Zurverfügungstellung von Liquidität restriktiv, und die Finma verzichtete auf tiefergreifende stabilisierende Interventionen bei der Bank, bis es zu spät war. Den Entscheid zur Fusion mit der UBS scheint letztlich die Politik getroffen zu haben; die Finma konnte die Lebens­fähigkeit der von ihr massgeblich mitgeprägten Too-Big-to-Fail-Regulierungen für die Abwicklung systemrelevanter und international tätiger Banken nicht «testen».

Weiter ist bei der Beurteilung der vom Bundesrat seinerzeit erhofften Synergien und Effizienzgewinne nicht zu übersehen, dass nach wie vor erhebliche Unterschiede zwischen den betroffenen Segmenten im Finanzmarkt­bereich bestehen, insbesondere zwischen der Banken- und der Versicherungsüberwachung. Es erstaunt deshalb nicht, dass in der täglichen Arbeit der Austausch zwischen diesen beiden Finma-Abteilungen eher gering ist. Als Beispiele für solche Unterschiede lassen sich nennen:4

  1. Das Bilanzbild bei den Banken und den Versicherungen ist nicht deckungsgleich. Auf der Aktivseite gibt es zwar Ähnlichkeiten, weil die Unternehmen in beiden Branchen über liquide Mittel und andere Werte verschiedenster Art verfügen müssen, um die Ansprüche der Gläubiger befriedigen zu können. Differenzen finden sich aber in den Rechnungslegungspositionen auf der Passivseite: Banken haben Verpflichtungen gegenüber den Einlegern, die eine Finanzierung zur Verfügung gestellt haben (Kreditoren). Bei den Versicherungen finden sich hingegen auf der Passivseite nicht direkt mit Einlagen korrespondierende Verbindlichkeiten, sondern potentielle Verpflichtungen, die aufleben, wenn sich viel später ein bestimmtes Risiko materialisiert.
  2. Ein weiterer Unterschied betrifft das Kapital: Banken müssen über angemessene Eigenmittel und Liquidität verfügen, um ihre Verpflichtungen gegenüber den Kunden kurzfristig erfüllen zu können. Bei den Versicherungen stehen die Solvabilitätsspanne (Mindestbetrag für die Eigenmittel) und das gebundene Vermögen im Vordergrund, die gewährleisten sollen, dass die Leistungen an die Kunden auch in der (fernen) Zukunft möglich bleiben.
  3. Bei der Aufsicht der Banken durch die Finma besteht seit Jahrzehnten ein duales System, das heisst, viele Aufsichtsfunktionen werden von unabhängigen Revisionsgesellschaften als Zwischenglied zwischen den Finanzinstituten und der Finma wahrgenommen. Dagegen hat die Finma die Versicherungen traditionell direkt überprüft, und erst in den letzten Jahren wurden auch hier Revisionsgesellschaften dazwischengeschaltet.

Als allgemeines Argument für eine integrierte Finanzmarktaufsicht wird oft der Grundsatz «same business, same risks, same rules» genannt. Gleiche Geschäfte mit den gleichen Risiken sollen also, unabhängig davon, wer dahintersteht, den denselben Regeln unterworfen sein. Dabei wird ausgeblendet, dass Banken und Versicherungen eben nicht identische Geschäfte abwickeln beziehungsweise mit ähnlichen Geschäften nicht dieselben ­Risiken eingehen. Der Bundesrat hatte denn auch seinerzeit folgerichtig nicht vorgeschlagen, die materiellen Normen (Bankengesetz, Versicherungsaufsichtsgesetz) zu vereinheitlichen.

Unabhängigkeit der Finma geht zu wenig weit

Die Verselbständigung der gesamten Finanzmarktaufsicht von der zentralen Bundesverwaltung beruht auf dem Gedanken, dass eine unabhängige «Organisation» gegen eine Einflussnahme seitens der Politik und der Wirtschaft ab­geschirmt ist. Die Aufrechterhaltung der Unabhängigkeit regulatorischer und überwachender Aufgaben ist zweifellos ein Anliegen, das im öffentlichen Interesse anzustreben ist und auch von den massgebenden internationalen Organisationen gefordert wird.

Das Finanzmarktaufsichtsgesetz (Finmag) verankert die Unabhängigkeit der Finma in funktioneller und institutioneller Hinsicht. Die Form der öffentlich-rechtlichen Anstalt mit eigener Rechtspersönlichkeit ist aber nicht eine typische Rechtsform für Aufsichtstätigkeiten.5 Materiell als problematisch erweisen sich insbesondere die Pflicht zur Absprache der Regulierungsleitlinien mit dem Eidgenössischen Finanzdepartement (Art. 7 Abs. 5 Finmag). Weiter ist auch die Pflicht der Finma, ihre strategischen Ziele dem Bundesrat zur Genehmigung vorzulegen (Art. 9 Abs. 1 lit. a Finmag), im Lichte der internationalen Standards kaum sachgerecht; sie geht sogar weiter als die Pflicht der SNB im Nationalbankgesetz, den Bundesrat über die geldpolitischen Zielsetzungen zu informieren.

Einheitlichere Regulierung

In den letzten Jahren hat praktisch das gesamte Finanzmarktregelwerk eine grundsätzliche Neugestaltung in den Bereichen erfahren, die wie das Finanzmarktinfrastrukturgesetz, das Finanzinstitutsgesetz und das Finanzdienstleistungsgesetz nicht den Kern des Bank- und Versicherungsrechts betreffen. Treiber hinter dieser Entwicklung war die Finma selber, die damit eine einheitlichere materielle Regulierung anstrebte. Bereits bei der Schaffung der Behörde war nicht nachvollziehbar, weshalb der Bundesrat denjenigen Bereich, der sich besonders durch das Stichwort «same business» auszeichnen würde, nämlich die berufliche Vorsorge, praktisch ohne Begründung nicht in die integrierte Finanzmarktaufsicht einbezogen hat. Angesichts der erwähnten regulatorischen Entwicklung ist diese Unterlassung heute noch schwerer verständlich.

«Der Untergang der Credit Suisse hat gezeigt, dass die Finma nicht über ausreichende Instrumente verfügt, um eine tatsächlich

wirksame Aufsicht durchzusetzen.»

Nicht ausreichend Beachtung geschenkt wurde seinerzeit – wie erwähnt – dem zentralen Aspekt der Beziehung zwischen der integrierten Aufsichtsbehörde und der Zen­tralbank, weder in der theoretischen noch in der praktischen und auch nicht in der politischen Diskussion der ­Finanzmarktintegration. Die beiden Institutionen sind ­gemeinsam verantwortlich für die Stabilität des Finanz­systems und die Verhinderung von Systemkrisen. Abgesehen von der ungenügenden Abstimmung hat der Untergang der Credit Suisse gezeigt, dass die Finma nicht über ausreichende Instrumente verfügt, um eine tatsächlich wirksame Aufsicht (über allgemeine Verhaltensvorgaben hinaus) durchzusetzen.6 Für eine Stärkung müssten die Aufsichts- und Sanktionsinstrumente erweitert und die Effektivität der Durchsetzung verbessert werden: Das System muss so abgestuft sein, dass ein frühzeitiges Eingreifen ermöglicht wird, die Dauer von Verfahren ist zu verkürzen, die vermehrte Publikation eingeleiteter Verfahren würde den Markt transparenter machen («naming and ­shaming»), und vermehrte Vor-Ort-Kontrollen könnten das Informationsgefälle im Kontext des dualen Aufsichtskonzepts senken.7

«Das System muss so abgestuft sein, dass ein

frühzeitiges Eingreifen ermöglicht wird, vermehrte

Vor-Ort-Kontrollen könnten das Informations­gefälle senken.»

Die letzten Monate haben offengelegt, dass 25 Jahre nach der Lancierung der Idee, eine integrierte Aufsichtsbehörde zu schaffen, ein nicht zu vernachlässigender Handlungsbedarf besteht. Zum einen sind Mängel, die bereits bei der Schaffung der Finma bestanden, wie die unklare Regelung des Verhältnisses zur SNB im Bereich der Finanzstabilität, endlich zu beheben. Zum anderen sollte der Bundesrat möglichst bald tätig werden, um die neu aufgetauchten Probleme gesetzlich oder regulatorisch in den Griff zu bekommen, damit die Finma zum Beispiel bei ­Krisensymptomen früher wirksam und durchsetzbar eingreifen kann und die Verfahren weniger lang dauern. Abwarten wäre sicher die falsche Strategie.

  1. Botschaft, BBl 2006, 2829 ff.

  2. Rolf H. Weber, Hans Geiger, Christine Kaufmann, Ronnie Schmitz und Anselm Trott: «Integrierte Finanzmarktaufsicht – Rechtliche und öko­nomische Beurteilung des FINMA-Projekts», Schulthess-Verlag, ­Zürich, 2006.

  3. Die letzte Fassung des «Memorandum of Understanding im Finanz­bereich» datiert vom 15. Mai 2017, http://www.snb.ch/dam/jcr:548e1f27-192a-4f40-8fbd-f48e53452a9d/mofu.de.pdf.

  4. Zu den Einzelheiten siehe Weber et al., S. 147–151.

  5. Zu den Einzelheiten siehe Weber et al., S. 151–157.

  6. Siehe Bericht der Expertengruppe «Bankenstabilität», Reformbedarf nach dem Untergang der Credit Suisse, Bern, 2023, S. 56–65.

  7. Bericht der Expertengruppe «Bankenstabilität», S. 57–58.

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