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Land der Verhinderer
Ancillo Canepa. Bild: Imago Images.

Land der Verhinderer

Die ausgeprägte Mitbestimmungskultur in der Schweiz geht so weit, dass einzelne Bürger mit willkürlichen Einsprachen bereits legitimierte Projekte blockieren können. Es ist an der Zeit, die Verfahren zu beschleunigen.

Im demokratischsten Land der Welt bewegt sich grundsätzlich jeder, der sich öffentlich kritisch zu den Themen «Demokratie» oder «Bürgerrechte» äussert, auf sehr dünnem Eis. Denn Mitbestimmungsrechte sind sakrosankt, auch wenn die Schweiz im 21. Jahrhundert in vielerlei Hinsicht nicht mehr vergleichbar ist mit jener der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als das Fundament dieser Staatsform gelegt wurde. Mit dem Bevölkerungswachstum und dem technischen Fortschritt ist auch die Komplexität angewachsen. Der Investitions- und Innovationsprozess ist dabei nicht ganz mitgekommen, er ist schwerfällig und hürdenreich geworden. Der FC Zürich hat dies beim Projekt eines neuen Fussballstadions erfahren müssen.

Sisyphusabstimmung zum Stadionprojekt

Im November 2018 stimmte das Zürcher Stimmvolk bereits zum dritten Mal über den Bau eines echten Fussballstadions für den FC Zürich und den Grasshopper Club ab. Obwohl das Stadion privat finanziert wird, musste das Volk den Bau absegnen. Der Grund: Es ist die Stadt, die das Grundstück zur Verfügung stellt. Wobei angemerkt sei, dass die Stadt im Jahr 2010 ihren Landanteil von der Credit Suisse nur unter der Bedingung erwerben durfte, dass dort auch tatsächlich ein Fussballstadion gebaut wird. Rund 54 Prozent der Stimmbürger hiessen den Stadionneubau gut.

Trotz klarem Rats- und Volksmehr ergriff eine Handvoll Gegner das Referendum gegen den Gestaltungsplan. Sie behaupteten wider alle verfügbaren Fakten, dass das Projekt zu wenig ökologisch sei. So kam es zu einer weiteren Abstimmung, deren Termin aufgrund von Corona mehrmals verschoben wurde. Am 27. September 2020 fand dann endlich die finale Abstimmung statt, fürs Zürcher Stimmvolk bereits die vierte. Diesmal waren es rund 60 Prozent, die dem Stadionprojekt zustimmten.

Nach diesem weiteren glasklaren Verdikt des Stimmvolkes reichten zwei einzelne Stadiongegner Stimmrechtsbeschwerden ein. Eine der Begründungen: In der Abstimmungszeitung sei nicht erwähnt worden, dass im Rahmen der Gesamtüberbauung auch ein Schulhaus integriert werden solle. Fakt ist, dass die Idee der Integration von Schulräumen erst später, also nach der Abstimmung, entstanden ist. Das Bezirksgericht wie auch das Verwaltungsgericht wiesen die Beschwerden klar und deutlich zurück.

Doch damit immer noch nicht genug. Die Stadiongegner akzeptierten den Entscheid des Verwaltungsgerichtes nicht und gelangten ans Bundesgericht. Der Bezirksrat, der den Entscheid getroffen hat, habe nur aus vier statt wie formell vorgesehen aus fünf Mitgliedern bestanden. Also ging das Geschäft wieder zurück an den Bezirksrat, wo es noch einmal behandelt werden musste. Heraus kam das gleiche Ergebnis, nämlich die einstimmige Ablehnung der Beschwerden.

Doch selbst ein vom Volk demokratisch gefällter und vom Verwaltungsgericht zweimal bestätigter Entscheid reichte den Stadiongegnern nicht aus, um die Durchführung des Projekts endlich zu akzeptieren. Sie zogen das Urteil des Verwaltungsgerichtes doch tatsächlich nochmals ans Bundesgericht weiter. Das Bundesgericht seinerseits brauchte dann wieder rund eineinhalb Jahre, um diese banalen und aussichtslosen Einsprachen zu behandeln. Natürlich wurden die Beschwerden im Juli 2022 dann auch vom Bundesgericht abgewiesen. Von der Abstimmung im November 2018 bis zum Zeitpunkt, ab dem der eigentliche Planungs- und Realisationsprozess überhaupt hätte beginnen können, dauerte es somit sage und schreibe dreieinhalb Jahre.

Schaden im zweistelligen Millionenbereich

Wer nun aber glaubt, das Projekt könne nun endlich zügig realisiert werden, täuscht sich. Die eigentlichen Hürden aufgrund der Rechtsnormen ergeben sich erst jetzt: Gegen den Gestaltungsplan wie auch gegen die Baubewilligung können wieder Einsprachen erhoben werden, die wiederum durch drei gerichtliche Instanzen gezogen werden können. Das bedeutet, dass der Baubeginn um weitere 4 bis 5 Jahre verzögert werden kann. Realistischerweise wird das Stadion erst im Jahre 2029 bezugsbereit sein. Das wären 11 Jahre von der Abstimmung im November 2018 bis zum Stadionbezug. Seit der ersten Stadionabstimmung im September 2003 wären dann sogar unfassbare 26 Jahre vergangen.

Von den Auswirkungen dieser unsäglichen Entwicklung ist der FC Zürich direkt betroffen. Die Herrenmannschaft – als amtierender Schweizer Meister eigentlich das Aushängeschild der Stadt auf dem internationalen Parkett – musste zwei ihrer Europacup-Heimspiele auswärts in St. Gallen austragen. Dies aufgrund von Terminkollisionen, da im Letzigrundstadion auch Konzerte und Leichtathletikmeetings durchgeführt werden. Weil die Zuschauerkapazität im St. Galler Kybunpark um einige Tausend Plätze tiefer ist als im Letzigrund, beschert das dem Verein einen Einnahmenausfall von Hunderttausenden von Franken. Beim Spiel gegen den englischen Spitzenklub Arsenal London wäre mit einem vollen Letzigrund zu rechnen gewesen.

Wäre das Stadion wie ursprünglich geplant erstellt worden, hätten alle diese Spiele bereits im eigenen Fussballstadion ausgetragen werden können. Auch die FCZ-Frauen, die sich dieses Jahr zum ersten Mal für die Gruppenphase der Champions League qualifiziert haben, müssen aktuell sämtliche Heimspiele in Schaffhausen austragen, weil im Zürcher Letzigrund Terminkollisionen unvermeidbar gewesen wären. Alles in allem belaufen sich die zusätzlichen Kosten für Stadionmiete, Sicherheitskosten und Logistik für den FCZ in dieser Saison somit auf einen siebenstelligen Betrag.

Der finanzielle Schaden durch die Verzögerung des Stadionbaus ist für den Generalunternehmer wie auch für die beiden Vereine enorm und bewegt sich im zweistelligen Millionenbereich. Darüber hinaus wird auch der im Rahmen des Gesamtprojektes geplante Bau von 174 gemeinnützigen Wohnungen sowie von 125 Genossenschaftswohnungen verzögert.

Kampf gegen Willkür und Zwängerei

Dass einige wenige Rekurrenten mit partikulären Interessen oder aus reiner Willkür mit aussichtslosen Einsprachen wichtige Projekte in die Länge ziehen oder gar verhindern können, ist für die Betroffenen hochgradig ärgerlich. Mit legitimen Bürgerrechten oder einem gemeinsam geteilten Verständnis von Demokratie hat das aus meiner Sicht wenig bis nichts zu tun. Der Reformbedarf ist offensichtlich: Die langwierigen Entscheidungsprozesse durch alle möglichen Instanzen müssen verkürzt und mit Fristbegrenzungen auf ein normales Mass reduziert werden. Die Möglichkeit für Einsprachen sollte ausschliesslich Direktbetroffenen offenstehen.

«Eine lebhafte und dynamische Stadt muss visionären und mutigen ­
Bauprojekten ­einen Platz bieten können.»

Ein kommunales Referendum in der Stadt Zürich kann heute mit gerade mal 2000 Unterschriften verlangt werden. Bei einer Einwohnerzahl von aktuell 450 000 ist das ein 225stel. Zum Vergleich: Für ein Referendum auf nationaler Ebene braucht es 50 000 Unterschriften bei 8,8 Millionen Einwohnern, was einem Faktor von 176 entspricht. Die Hürden für Referenden sind also zu tief.

Dringend berücksichtigt werden sollte auch die demografische Entwicklung: Die Schweiz steuert auf 10 Millionen Einwohner zu. Gerade in der Stadt Zürich ist das Wachstum deutlich zu spüren: Gemäss einer Prognose des Präsidialdepartements werden 2040 rund 514 000 Personen ihren Wohnort in der Stadt haben.1 Bei einem solchen Bevölkerungswachstum wäre es blauäugig, die starren Unterschriftsvorgaben nicht zum Diskussionsgegenstand zu machen.

Zudem sollten die Einsprachemöglichkeiten bei bereits vom Volk genehmigten Projekten eingeschränkt werden. Das Gleiche gilt für Projekte, die von den Legislativbehörden geprüft und genehmigt worden sind. Auch Einsprachelustige haben den demokratischen Prozess sowie die Entscheide der gerichtlichen Kontrollinstanzen zu respektieren. Bei den Stadionabstimmungen war das offensichtlich nicht der Fall: Sowohl der Schiedsrichter als auch der Videoassistent, um es fussballterminologisch auszudrücken, hatten ihr Urteil gefällt – und dennoch wurden die Entscheide mehrfach angefochten. Heute können sich Gegner von ambitionierten Bauprojekten wieder und wieder bereits legitimierten Urteilen widersetzen und mit der Lupe nach Argumenten suchen, um die nächste Sau durchs Dorf zu treiben. Dies unterminiert das Wesen der Demokratie und stellt die Entscheidungskompetenz des Stimmvolks grundsätzlich in Frage. Bei willkürlichen und ohnehin aussichtslosen Einsprachen sollte den Betroffenen zudem Anspruch auf Schadenersatz eingeräumt werden – ein Abschreckungsmechanismus, damit nicht nur eine Seite etwas zu verlieren hat.

Die Schweiz, die sich selber gerne als Pionierin rühmt, klemmt mit ihren tiefen Blockadehürden zunehmend den Innovationsgeist ab. Eine lebhafte und dynamische Stadt muss visionären und mutigen Bauprojekten einen Platz bieten können. Gewinnen Verzögerer und Blockierer überhand, büsst der Wirtschaftsstandort unvermeidlich an Attraktivität ein. Das gilt für Zürich, aber auch für andere Schweizer Städte. Die Schweiz muss aufpassen, dass sie nicht im Abseits stehenbleibt.

«Gewinnen Verzögerer und Blockierer überhand, büsst der
Wirtschaftsstandort un­vermeidlich an ­Attraktivität ein.»

Mir ist bewusst, dass einige der oben genannten Forderungen kaum mehrheitsfähig und deshalb unrealistisch sind. Der Kampf gegen Willkür und politische Zwängerei muss trotzdem an die Hand genommen werden. Ausgebaute Volksrechte sollen nicht zum Instrument der ständigen Verhinderung werden.

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