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Kunst ist nicht Kommerz

Kunst und Business sind zwei verschiedene Welten, sagt der Unternehmer Jobst Wagner. Er sammelt Kunst aus Leidenschaft. Der «Waldweg» von Franz Gertsch ist sein liebstes Werk. Ein Gespräch über Kritik, Kommerz und Lebenswege.

Herr Wagner, Sie sind Unternehmer. Betrachten Sie Kunst als Investment?

Es wird Sie überraschen, aber in der Kunst gelten für mich andere Massstäbe als im Geschäftsleben. Kunst ist nicht in erster Linie Business. In der Kunst geht es vielmehr um das Beobachten, Fragen, Zweifeln, Nachdenken.

Sie haben für unser erstes Kunstgespräch ein Werk des Schweizer Künstlers Franz Gertsch ausgewählt, den «Waldweg» aus dem Zyklus «Ausblick». Warum?
Der «Waldweg» ist für mich ein Symbol. Zunächst einmal persönlich- thematisch – ich bin ein sehr naturverbundener Mensch. Auch Franz Gertsch hat einen engen Bezug zur Natur, was in der Wahl der Holzschnitttechnik zum Ausdruck kommt. Er arbeitet die Naturmotive mit dem Hohleisen in unzähligen Stunden aus einer Lindenholzplatte heraus. Das gedruckte Blatt «Waldweg» ist sozusagen materialisierte Natur: im Wald wachsen Bäume, die liefern das Holz, in das das Motiv eingearbeitet wird. Zuletzt hat der «Waldweg» auch eine symbolische Botschaft, die jeder für sich deuten muss: wohin führt dieser Weg?

«Waldweg» als Symbol für den Lebensweg?
Genau. Interessanterweise sehe ich als Betrachter im Weg immer das Wohin, also das, was vor mir liegt, das Zukünftige, und nicht, was ja auch denkbar wäre, das Woher, das Zurückliegende. Es kann gut sein, dass andere Betrachter genau das Gegenteil wahrnehmen, das ist auch eine Frage der Einstellung. Ich jedenfalls blicke lieber voraus, und der «Waldweg» führt mich immer wieder auf neue Denk- und Lebenswege – stets mit ungewissem Ausgang.

Wie wichtig ist für einen Sammler der persönliche Bezug zu einem Werk?
Warum mich ein Werk anspricht, bleibt wohl letztlich ein Rätsel. Die beste Theorie hilft nicht, wenn der Funke nicht überspringt. Das Werk muss mir etwas zu sagen haben. Es ist dieses schwer zu beschreibende Angesprochensein, das den persönlichen Bezug zu einem Werk stiftet. Was den «Waldweg» angeht, so ist dieser Bezug auch durch meine Freundschaft zum Künstler geprägt. Ich habe die Entstehungsgeschichte dieser Werke von Beginn an verfolgt. Der Zyklus «Ausblick» besteht ja eigentlich aus drei Motiven: «Waldweg », «Gräser» und «Pestwurz». Franz Gertsch hat mit mir die Idee in der Anfangsphase des Werks besprochen. Ich war beim Druckvorgang dabei, habe Hand angelegt. Die Natur, die Übertragung des Motivs auf die Holzplatte, der Druckvorgang – die Entstehungsgeschichte hat für mich deshalb grosse Bedeutung.

Gehört es zu einem guten Kunstwerk, dass es Raum für unterschiedliche Interpretationen lässt?
Sicher, man sieht ein Bild auch immer wieder anders. «Waldweg» hing in einem kleineren Format lange Zeit in meinem Büro. Ich war jeden Tag damit konfrontiert. Manchmal habe ich ihn übersehen, manchmal hat er mich genervt. Dann habe ich mich aber bisweilen auch zurückgelehnt, mich ihm zugewendet und mich gefragt: Wo stehe ich eigentlich? Wo will ich hin? Natürlich hat mir das Bild meine Fragen nicht beantwortet, aber in diesen Momenten hat es mir auf die Sprünge geholfen. Das ist aber nur das eine, das Subjektive. Ebenso wichtig ist es, sich zu fragen, was der Künstler mit diesem Bild ausdrücken will. Es geht nicht nur darum, was ich beim Betrachten entgegennehme, sondern auch darum, was der Künstler ins Werk gegeben hat. Die Deutung eines Bildes beruht stets auf einem Geben und Nehmen.

Hätten Sie dieselben Empfindungen beim Betrachten des Bildes gehabt, wenn Sie die Beweggründe des Künstlers aus persönlichen Gesprächen nicht kennen würden?
Gute Frage. Ich hätte wohl nicht dieselbe Erfahrung gemacht, wenn ich nicht mit Gertsch eng den ganzen Entstehungsprozess begleitet hätte. So entsteht eine andere Beziehung zu einem Werk, als wenn man bloss ein fertiges Produkt an der Wand hängen sieht. Ich denke, das ist auch das Problem heute: viele Leute nähern sich einem modernen Kunstwerk nicht an, weil sie zu grossen Respekt davor haben. Sie können nichts damit anfangen. Ein wenig Anleitung und Unterstützung – durch den Künstler, durch einen Kurator, durch wen auch immer – hilft da enorm. Der Zugang ist generell das Problem. Es ist symptomatisch, dass alle in die Picasso-Ausstellung rennen – aber wenn Gegenwartskunst präsentiert wird, bleiben die Hallen meistens leer.

«Waldweg» ist für den unbedarften Betrachter zugänglich, wirkt aber auf den geübten Betrachter gefällig. Jemand, der zufällig auf dieses Werk stösst, könnte sich durchaus fragen, was dieser Riesenaufwand soll. Man könnte dieses Motiv auch einfach photographieren, vergrössern und an die Wand hängen.
Da liegt eben das Problem. Die Sparte Photorealismus, der Gertsch, wie ich meine, nicht ganz korrekt zugeordnet wird, aber gut, lassen wir das – der Photorealismus gilt hinlänglich als gefällige Kunstrichtung. Franz Gertsch erscheint dem Laien banal: Er projiziert seine Motive auf die Holzplatte und markiert darauf Licht und Schatten mit einem weissen Stift. Hier rühren wir ans Wesentliche, hier drängt sich die Frage aller Fragen auf: was ist denn überhaupt Kunst? Muss Kunst unverständlich, darf Kunst nicht zugänglich sein? Ist es eine Frage der Technik, der Tradition, der Botschaft?

Erwarten Sie von mir eine Antwort?
Gerne. Sie sind Kunsthistorikerin.

Ich befürchte, es gibt darauf keine kurze Antwort. In einem Vortrag bemerkten Sie einmal, ein Künstler müsse ein unbestechlicher Chronist sein. Erfüllt Franz Gertsch dieses Kriterium?
Ich würde ihn durchaus als Chronisten bezeichnen. Er hat in den 1970er Jahren in seinen monumentalen Ölbildern Szenen festgehalten, die unter anderem Patti Smith zeigen, und die ganze «Luciano»-Serie gefertigt, eine Reihe von Gemälden, die den Schweizer Künstler Luciano Castelli zeigen. Diese Bilder sind zweifellos ein Spiegel der Gesellschaft. Aber ich möchte Franz Gertsch nicht auf einen Chronisten reduzieren. Sicher ist er nicht der zeitkritische Künstler, der Sittenwächter, aber man sollte ihn auch nicht einfach in eine Ecke stellen. Ich habe ein Problem mit Künstlern, die keine Linie haben, die nur gefallen wollen, um so den Absatz ihrer Werke zu erhöhen. Der gesamte Kunstbetrieb ist heute kommerzialisiert – man könnte sagen: Kunst ist zum Kommerz geworden. Idealismus und Authentizität bleiben auf der Strecke.

Marketing ist heute auch im Kunstbetrieb die halbe Miete. Man mag das bedauern. Aber anderseits ist auch Kunst ein Business. Siehe Damien Hirst.
Bei Damien Hirst kann man ja vielleicht noch von Selbstpersiflage sprechen, weil er mit eigenen Werken Auktionen veranstaltet hat und dank dem Verkauf seiner Werke zum mehrfachen Millionär wurde. Aber eigentlich hat sich Hirst zu einem Künstlerfürsten wie Baselitz oder Gerhard Richter entwickelt, die nicht mehr zu den kritischen Zeitgenossen gezählt werden können. Künstler und Intellektuelle, Schriftsteller, Theatermacher biedern sich mit der Macht an, statt dass sie ein Gegengewicht zu den herrschenden Machtverhältnissen bilden – darin bestünde ihr Potential…

…das ist eine sehr klassische Sicht der Dinge…
…ja, vielleicht. Aber ich halte dennoch an ihr fest. Denken Sie an die «Gruppe 47» in der Literatur – das ist nicht meine Linie, aber die Leute hatten etwas zu sagen! Da war noch intellektuelles Potential vorhanden. Wo sind diese Stimmen heute?

Wollen Sie damit sagen, dass sich viele Künstler haben kaufen lassen?
Das ist mein Verdacht, ja.

Gilt das auch für Franz Gertsch?
Nein, denn er richtet sich nicht nach dem Zeitgeschmack. Er ist ein Künstler, der auch handwerklich sehr glaubwürdig ist. Gertsch zeigt eine beeindruckende Solidität in seinem Schaffen, ebenso wie Markus Raetz, dessen Werke ich auch sammle. Beide legen ganz deutlich Kontinuität an den Tag, sie sind ihrer Linie treu geblieben, ihre Arbeiten sind nicht geschmäcklerisch, sondern authentisch. Gertsch übt mit der absoluten Konsequenz seines Schaffens Kritik an der Kommerzialisierung. In seiner Kontinuität ist er sehr mutig und innovativ.

Weshalb haben Sie nicht die Gelegenheit ergriffen, einen jüngeren Künstler mäzenatisch zu unterstützen? Franz Gertsch hat ja bereits eine gefestigte Position in der Kunstwelt.
Ich habe auch schon mit jüngeren Künstlern Ausstellungen gemacht. In diesem Fall stand aber nicht die Wahl des Künstlers oder die Vergabe eines Projektes im Vordergrund, sondern die Umsetzung einer Idee, mit der Franz Gertsch an mich herangetreten ist. Der Zufall spielte hier die Hauptrolle.

Wann und wie haben Sie Franz Gertsch kennengelernt?
Das war ungefähr 1990. Ich bin zuerst seiner Tochter Silvia begegnet, die ebenfalls Künstlerin ist. Sie stellte damals aus. Über sie machte ich dann mit Franz Gertsch und der ganzen Familie Bekanntschaft. Diese Freundschaft hat sich über die Jahre entwickelt und ist sehr wertvoll für mich.

Welche Bedeutung hat der Zyklus «Ausblick» innerhalb Ihrer Sammlung?
Er ist das Herzstück. Ich konzentriere mich vor allem auf Schweizer Künstler, auch jüngere. Aber Gertsch und Raetz bilden die tragenden Säulen meiner Sammlung. Sie verkörpern Werte, die mir wichtig sind. Ihre Werke haben mich gepackt und lassen mich nicht mehr los.

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