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(4) Kulturwunder in der Westschweiz

Ohne die Unterstützung von Stiftungen wäre das kulturelle Leben in der Schweiz ärmer, Theater und Opernhäuser müssten den Spielbetrieb erheblich einschränken, wenn nicht einstellen. Geradezu spektakulär hat sich die Situation in der Westschweiz entwickelt, insbesondere in Lausanne.

Am Genfersee haben die Stadtväter in den achtziger Jahren und zu Beginn der neunziger Jahre ein Kulturprogramm aus dem Boden gestampft, das dem Angebot in Zürich, Basel und Bern in nichts nachstehen sollte. Rührige, kunstbeflissene Lausanner Syndics, allen voran der frei- und tiefsinnige Paul-René Martin (er schrieb Gedichte) und seine sozialistische Nachfolgerin Yvette Jaggi, heute Pro Helvetia-Präsidentin, hatten dabei noch aus einem vollen Stadtsäckel schöpfen können. So übernahm in Lausanne 1989 Starregisseur Thomas Langhoff das verstaubte, vor sich hindümpelnde Théâtre de Vidy und machte es binnen zweier Spielzeiten zur Topadresse im gesamten französischen Sprachraum. Wenig später liess sich der belgische Choreograph und Tänzer Maurice Béjart mit seiner Truppe in Lausanne nieder. Lausanne hatte sich entgültig einen Platz auf der Kulturlandkarte Europas erkämpft.

Als dann vor zehn Jahren die grosse Ebbe in den öffentlichen Haushalten begann, bedeutete dies aber nicht das Ende des Lausanner Kulturwunders. Einer Handvoll Stiftungen ist es zu verdanken, dass die in die europäische Champions League aufgerückten Spielstätten der waadtländischen Metropole dort auch verbleiben durften. Die Sandoz-Familienstiftung, die 2,9 Prozent des Kapitals am Pharmariesen Novartis hält, trat auf den Plan und liess sich in langfristige Finanzierungskonzepte des Théâtre de Vidy und des Ballet Béjart einbinden. Tatsächlich ging die Stiftung kein Risiko ein. Das Théâtre de Vidy und das Ballet Béjart galten damals mit einer bei rund 9 Prozent liegenden Auslastung als sichere, verlässliche Partner, auf die man auch aus der Deutschschweiz nicht ohne Bewunderung schaute. Daran hat sich nichts geändert. Heute besuchen 2 Prozent mehr Deutschschweizer die Wochenendaufführungen des Béjart-Balletts als noch vor zehn Jahren, und die Auslastung des Théâtre de Vidy ist auf 95 Prozent gestiegen – ein in der Schweiz einzigartiges Publikumsinteresse.

Inzwischen sind auch renommierte Deutschschweizer Stiftungen auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Sowohl die Basler Karl und Sophie Binding-Stiftung als auch die Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr unterstützen das Thèâtre de Vidy. Dafür mag es viele Gründe geben: in der Westschweiz seien nicht genug zahlungskräftige Kulturstiftungen, sagen die einen – immerhin haben sich aber auch die Nestlé-Kulturstiftung und die Lausanner Fondation Leenards in Vidy engagiert. Näher an der Realität liegt wohl die Beobachtung, dass immer mehr Kulturstiftungen beidseits der Saane sich immer stärker im jeweils anderen Landesteil engagieren.

Denn der Konkurrenzkampf wird auch zwischen den Stiftungen härter. Qualitativ hochstehende Projekte zu unterstützen ist für die zunehmend wie Unternehmen geführten Stiftungen gut fürs Image – bei den kulturellen Einrichtungen gleichermassen wie im Publikum. So warten denn Stiftungen auch nicht mehr auf Gesuche, sondern ergreifen im Vorfeld selbst die Initiative, um jene zu erhalten, die am besten zur der Stiftung passen. «Proaktiv werden» nennt Michel-Pierre Glauser, Präsident der Lausanner Leenards-Stiftung, diese Haltung, die eng mit dem Wunsch verbunden ist, eine transparente Vergabepolitik zu betreiben. Sieben Millionen Franken verteilt die Fondation Leenards jährlich an Projekte wissenschaftlicher und kultureller Provenienz in der Schweiz. Mit einem Stiftungskapital in Höhe von 38 Millionen ist Leenards eine der reichsten Stiftungen in der Schweiz. Das proaktive Verhalten im Forschungsbereich findet nun auch im Kulturbereich Anwendung.

Diskretion ist hingegen das Credo der Fondation Hans Wilsdorf, Besitzerin der Rolex-Gruppe. 11,7 Millionen Franken hat die Genfer Stiftung in knapp zehn Jahren an das Grand Théâtre, die Genfer Oper, für den Spielbetrieb und Renovierungsarbeiten gezahlt. Doch die Stiftung hütet sich davor, ihre Leistungen in der Öffentlichkeit herauszustreichen. Bei den meisten Unterstützungsleistungen verzichte die Fondation Hans Wilsdorf sogar darauf, in Erscheinung zu treten, betont ihr Stiftungspräsident, der Genfer Notar Pierre Mottu. Wie die meisten anderen Stiftungen, sieht sich die Fondation Wilsdorf mit einer wachsenden Flut von Gesuchen konfrontiert, berichtet Geschäftsführer Serge Bednarcyk. «Vor 15 Jahren erhielten wir 8 Gesuche im Jahr, heute sind es 1‘4 .»

Ein Geheimnis freilich ist und bleibt, mit wieviel Millionen Franken Schweizer Stiftungen den Kulturbetrieb insgesamt alljährlich unterstützen. Die Stiftungsaufsicht des Bundes hält dazu ebensowenig aussagekräftige Zahlen bereit wie das Bundesamt für Statistik (BFS). Als Benno Schubiger, Präsident von SwissFoundations, des Vereins für Vergabestiftungen in der Schweiz, letztes Jahr das BFS bat, ein Projekt zur Erhebung von Zahlen zur Kulturförderung durch Stiftungen (analog zur bereits vorhandenen zahlenmässigen Aufarbeitung des Kultursponsorings durch Unternehmen in der Schweiz) in die Wege zu leiten, erhielt er vom BFS eine schroffe Absage: dafür hätte man keine Zeit und keine Geldmittel. Tatsächlich aber ist mehr Transparenz wünschenswert, sind die gemeinnützigen Stiftungen in den letzten 15 Jahren doch ein boomender Wirtschaftszweig geworden. Die Öffentlichkeit will wissen, in welcher Höhe und für welche Projekte die Stiftungsmillionen verwendet werden. Und die Gesuchsteller wollen keine Zeit dadurch verlieren, dass sie unzureichend begründete Gesuche stellen, oder Gesuche an Stiftungen richten, die gar nicht zuständig sind. SwissFoundations lässt deshalb Richtlinien zur Foundations Governance ausarbeiten, die in diesem Jahr der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollen. Benno Schubiger hofft, damit die Einführung von Standards im Manage-ment von Schweizer Vergabestiftungen zu beschleunigen.

Auf 11’ schätzt man die Zahl der gemeinnützigen Stiftungen in der Schweiz. Die Eidgenössische Stiftungsaufsicht geht von einem Stiftungsgesamtvermögen in Höhe von 3 Milliarden Franken aus. Ausgeschüttet wird jährlich rund eine Milliarde, die der wissenschaftlichen Forschung, sozialen Zwecken und der Kultur zugute kommt – innerhalb und ausserhalb der Schweiz. Als das BFS 2 1 eine Betriebszählung vornahm, stellte sich überraschend heraus, dass 2,95 Prozent aller Beschäftigten in Stiftungen tätig sind. Das entspricht einer Steigerung von 17,1 Prozent seit 1995. Zwischen 1995 und 2 1 hatte die allgemeine Beschäftigung in der Schweiz nur um 3,4 Prozent zugenommen. Auch aus einer anderen Perspektive ist der Schweizer Stiftungssektor im europäischen Vergleich als bedeutend einzustufen. In England beträgt das Stiftungsvermögen pro Kopf 8 4 Franken, in Deutschland 531. Mit 1’5 Franken Stiftungsvermögen pro Kopf nimmt die Schweiz einen Spitzenplatz ein. Entscheidend ist, dass dieses Vermögen nicht nur gut angelegt und verwaltet, sondern auch im Sinn der Stifter gezielt und effizient eingesetzt wird. Indem Stiftungen auf hohem Niveau ein aktives, kreatives und anspruchsvolles Kulturleben in der ganzen Schweiz ermöglichen und fördern, leisten sie einen unschätzbaren Beitrag an das Gemeinwohl – einen Beitrag, der wohl allein durch öffentliche Bundesmittel (mit dem Beigeschmack des sprachregional-kompensatorischen Minderheitenschutzes) nicht gewährleistet werden könnte.

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(1) Die Stiftung: Eine Idee mit Tradition und Zukunft

Stiftungen haben eine weit zurückreichende Tradition. Einer breiten Öffentlichkeit sind sie dennoch unvertraut. Der folgende Beitrag zeigt charakteristische Merkmale dieser Institution auf und leitet daraus jene praktischen Konsequenzen ab, die zu beachten sind, will man die Grundidee des Stiftens für die Allgemeinheit bewahren und weiterentwickeln.

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