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Kultur, Betrieb, Kulturbetrieb

Noch so gern würde ich Ingolds – im letzten «Monat» zur Schau gestellten – Optimismus teilen und hochgemut davon ausgehen, dass irgendwann in der Zukunft «jede (wirklich jede) Idee» ihre Chance auf Verwirklichung und Verwertung hat. Mit Idee ist hier wohl generell das Gute, Schöne und Wahre gemeint, das sich entgegen unterschiedlichsten Widerständen zu seiner […]

Kultur, Betrieb, Kulturbetrieb
Simon M. Ingold und Felix Philipp Ingold, photographiert von Thomas Burla.

Noch so gern würde ich Ingolds – im letzten «Monat» zur Schau gestellten – Optimismus teilen und hochgemut davon ausgehen, dass irgendwann in der Zukunft «jede (wirklich jede) Idee» ihre Chance auf Verwirklichung und Verwertung hat. Mit Idee ist hier wohl generell das Gute, Schöne und Wahre gemeint, das sich entgegen unterschiedlichsten Widerständen zu seiner Zeit durchsetzen und nachfolgend für immer als wahr, schön und gut behaupten wird – «egal ob in der Technologie oder in der Kunst». So egal ist das nun aber keineswegs.

In der Technik wie in den exakten Wissenschaften, die mit nachprüfbaren Daten und Fakten operieren, ist der Fortschritt (oder eben: die «Chance») durch die laufende Falsifizierung bzw. Korrektur ihrer «Ideen» bestimmt, derweil die Künste als weiche Kulturprodukte sich solcher Begradigung entziehen. Werke der Kunst lassen sich nicht objektiv als schön, gut oder wahr bewerten, es gibt dafür keine allgemein geltenden Kriterien – Kunst gefällt oder gefällt nicht, wird für nützlich oder für schädlich gehalten, je nach aktuellen Interessen und Bedürfnissen, je nach gesellschaftlichen Bedingungen oder politischen Verhältnissen. Von daher erklärt sich die paradoxale Tatsache, dass Kunstwerke in ihrem ursprünglichen Zustand Jahrhunderte überdauern und immer wieder neue Konjunkturen erleben, während technische oder naturwissenschaftliche Errungenschaften, sind sie einmal überholt, definitiv nicht mehr genutzt und meistens rasch vergessen werden: Galileis Fernrohr würde heute kein Astronom mehr benutzen wollen, während Shakespeares «Hamlet» noch immer weltweit (und in immer wieder neuen Lesarten) aufgeführt und als zeitgemäss empfunden, für aktuell gehalten wird.

Worauf ich hinauswill: Wenn ein Hölderlin, eine Dickinson, ein Rimbaud und selbst ein Franz Kafka zuversichtlich hoffen durften, dass ihr Werk die Zeiten überdauern und irgendwann seine «Chance» haben würde, so besteht diese Hoffnung heute – erstmals in der Literatur- und Kunstgeschichte – nicht mehr. Heute unterliegen Kulturprodukte generell einer saisonalen Halbwertszeit, sie werden für den Moment geschaffen und im Moment konsumiert, und was danach übrigbleibt, ist Abfall (gilt als Abfall), in dem niemand mehr wühlen mag. Backlists – sie können noch so grossartig dotiert sein – finden kein Interesse mehr, sind kein «Kapital» mehr für die Verlage, sondern Makulatur, die nur noch ungern magaziniert wird. Heutige Kunstschaffende wiederum haben sich grösstenteils auf die Kurzfristigkeit und Zeitgebundenheit des Marktgeschehens eingestellt – wer an morgen, an übermorgen oder gar an die Ewigkeit denkt, macht sich lächerlich; es geht darum, hier und jetzt zu reüssieren, doch wer hier und jetzt reüssiert, kann weniger mit Nachruhm rechnen als damit, dass er schon bald wieder vergessen ist.

Die kritische «Unterscheidung von U- und E-Kultur», die Ingold für obsolet hält, finde ich nach wie vor notwendig und auch nützlich, abgesehen davon, dass es ohne die Schrittmacher der «ernsten» bzw. «elitären» Kunst eine U-Kultur überhaupt nicht gäbe. Die gesamte U-Kultur ist nivellierte E-Kultur. Doch ich kann nicht einsehen, weshalb die Quantität die Qualität vereinnahmen und auf deren Kosten prosperieren sollte. Ebenso uneinsichtig ist mir, dass künstlerische Leistungen zum «direkten Wettbewerb mit beliebig vielen andern Leistungen» und damit vorab schon in die Anpassung an mehrheitliche Erwartungen gezwungen werden sollen. U und E müssen genau so auseinandergehalten werden wie X und U. Sonst wird alles zum kulturellen Eintopf – man sehe sich die Feuilletonseiten der Tagespresse an oder die Kulturrubriken in den grossen Publikumsmagazinen: Von Naturkatastrophen über Lebensmittelskandale bis hin zu aktuellen Preisverleihungen scheint alles in irgendeiner Weise «kulturell» relevant sein zu sollen. Nur geht es eben schon lange nicht mehr um das von Ratings und Gewinnquoten abgekoppelte, mithin als elitär geltende kulturelle Geschehen – es geht um den Betrieb, und der muss nichts anderes als weiterlaufen, auch wenn er zu grossen Teilen offenkundig leerläuft.

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