«Kriegstagebuch 1914-1919»
Der Heidelberger Historiker Karl Hampe (1869-1936) zählte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den angesehensten deutschen Mediävisten. Seine Bücher über die Salier- und Stauferzeit galten für Studenten des Fachs als Pflichtlektüre. Das ruhige Gelehrtenleben erfuhr, wie das so vieler Zeitgenossen und Kollegen, eine schwere Erschütterung durch den Ersten Weltkrieg, auch wenn er diesen […]
Der Heidelberger Historiker Karl Hampe (1869-1936) zählte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den angesehensten deutschen Mediävisten. Seine Bücher über die Salier- und Stauferzeit galten für Studenten des Fachs als Pflichtlektüre. Das ruhige Gelehrtenleben erfuhr, wie das so vieler Zeitgenossen und Kollegen, eine schwere Erschütterung durch den Ersten Weltkrieg, auch wenn er diesen nicht an der Front erleben musste. Obwohl kein Tagebuchschreiber wie Thomas Mann, wurde er es durch den Kriegsausbruch und hielt vom 2. August 1914 bis Ende 1919 (mit einem zusammenfassenden Nachtrag 192 ) Tag für Tag seine Erlebnisse fest. Diese Aufzeichnungen sind jetzt von der «Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften» herausgegeben worden und vermitteln ein sehr lebendiges Bild des Zeiterlebens, der Sorgen und Hoffnungen zum Kriegsverlauf und des akademischen Alltags mit den Kollegen.
Anfänglich und noch lange Zeit während des Krieges hält sein Optimismus an. Es gehe «verteufelt rasch» in Belgien, ein deutscher Gouverneur sei im okkupierten Brüssel eingesetzt. Damit trat aber eine Versuchung an den Historiker heran, die sein Bild vor der Nachwelt trüben sollte. Er machte sich daran, das Lebensrecht dieses umkämpften Kleinstaates in Frage zu stellen. Im Nationalitätenkampf gegen die Vorherrschaft der welschen Partei müsse das flämische Germanentum unterstützt werden. Obwohl Hampe sich zuvor niemals mit diesem Problem beschäftigt hatte und sich erst in Pirennes Belgische Geschichte einlesen musste, verbiss er sich förmlich in die neu entdeckte Thematik, widmete ihr in den Kriegsjahren zahlreiche Vorträge, Artikel und selbst Bücher. Dies geschah mit gouvernementaler Unterstützung in der Absicht, ein Faustpfand im künftigen Frieden zu sichern. Hampe konnte in Brüssel sogar Archivstudien betreiben und Kontakte mit flämischen Separati-sten aufnehmen. Die Aussichten schwanden mit der Verhärtung der Fronten, doch hielt er bis 1918 an seiner Position fest, unter zunehmenden Zweifeln. Denn er war ansonsten kein fanatischer Annektionist und setzte sich selbst in Widerspruch zu seiner eigenen Überzeugung. Der grosse Skeptiker im Blick auf den Kriegsausgang war und blieb sein Kollege Max Weber, mit dem er sich oft stundenlang unterhielt.
Der Krieg brachte die Zermürbung und den Zwang zur Einschränkung in den verschiedenartigsten Lebensberei-chen. Immerhin kommt die Kultur – auch abgesehen von den Gelehrtenpflichten und dem ausnahmsweise übernommenen Gymnasialunterricht – nicht zu kurz. Hampe bedauert die Beschiessung der «geliebten Kathedrale» von Reims und macht sich die Entrüstung seiner Landsleute über Hodlers Protest gegen dieses Bombardement nicht zu eigen. «Sehr unangenehm» berühre es ihn, «wenn gesagt wird, wie viel Männer wie Hodler, Spitteler, Verhaeren und Maeterlinck Deutschland verdanken. Meiner Meinung nach liegt solchen Künstlern gegenüber die Dankschuld umgekehrt.» Auch sonst distanziert er sich gelegentlich von nationalen Emotionen.
Das Ende des Krieges und der Monarchie erschüttert ihn zwar zutiefst, überrascht ihn aber nicht wirklich. So versucht er mit der neuen Zeit und Staatsform zurechtzukommen. Als ihm ein Jahrzehnt später (1929) Karl Jaspers zum sechzigsten Geburtstag gratulierte, tat er es in Form einer schönen Würdigung der Persönlichkeit des Jubilars: «Was Sie sagen, hat immer für mich Gewicht gehabt, weil Sie es sagen, und dann, weil Ihre Motive, Gründe, Gesinnungen mich – gelegentlich widerwillig – überzeugt haben. Sind Sie in der Fakultätssitzung anwesend, so hat man das beruhigende Gefühl: etwas Übles kann nicht passieren. Mit entwaffnender Sicherheit schieben Sie das Unmögliche zur Seite. Ihre Gegenwart ist ein Schutz, ich glaube, wir haben ihn sehr nötig.»