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Kraut und Rüben kreuz und quer

Peter Weber: «Die melodielosen Jahre». Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2007.

Auf dem Cover prangt das Wort «Roman» genauso gross wie der Autorenname, der Titel und der Verlagsname, also ganz und gar unverschämt. Im Hause Suhrkamp steht man der totalen Entwertung der Gattungs­bezeichnung «Roman» offenbar gleichgültig gegenüber; denn was dieses Buch des Autors Peter Weber ist, bleibt rätselhaft. Vielleicht erkennen Anhänger des Free Jazz darin eine Form oder sogar – wie der Titel «Die melodielosen Jahre» es andeutet – etwas Musikalisches. Zwar sind die «melodielosen Jahre» ohne Zweifel melodielos, aber Peter Weber erweist sich hier eher als Maler, Photograph oder Abfilmer; denn das Buch lebt von kurzen optischen Eindrücken.

Sinnbildlich hat es die Un-Form eines Haufens nach dem Auskippen mehrerer Schubladen. Dieses Chaos soll vermutlich als Gerümpel-Installation durchgehen, damit Leser denken, der Autor wisse, was er da tut. (Hartnäckige Free-Jazzer sagen jetzt: Ordnung und Gradlinigkeit sind falsch, fast so schlimm wie Melodik.)

Dieses Snapshot-Album mit seinen wenigen Handlungs­partikeln ist nur durch ein simples Prinzip überhaupt lesbar: ein junger Mann fährt kreuz und quer durch Europa und teilt seine Reflexionen mit. Er heisst entweder «ich» oder «O» oder «Oliver» und reist meist per Bahn (sein «Generalabonnement» erinnert an Sten Nadolnys Netzkarte) oder auch per Flugzeug zwischen Frankfurt, Berlin, Warschau, Istanbul, Görlitz, Italien, Prag, Leipzig, Zürich und London herum, auch New York wird gestreift. Mal liefert er Einträge wie aus einem risikoscheuen Tagebuch, mal teilt er aneinandergereihte Beobachtungen mit wie in einem unpersönlichen Internet-Blog, er streut Gedanken zur Musikgeschichte hinein, und dann wiederum präsentiert er gestochen scharfe, ja hochschreckende Bilder.

Allerdings nützen die Reisen höchstens mittelbar, denn die stärksten und überzeugendsten Episoden bestehen aus Schweizer Kindheitsszenen und Betrachtungen zum Tourismus in der Schweiz. Zwischendurch tauchen Szenen mit einem gewissen «Mr. Please» auf, warum auch nicht, da hat sich das Verstehen eh längst verabschiedet. Sogar eine sprechende Katze läuft einmal durchs Bild, heisst allerdings «Chopin» und grinst nicht. (Wieder raunt es aus der Free-Jazz-Ecke: Man darf spielen und anspielen, was man will, beliebig.)

Da der junge Müssiggänger nahezu kontur-, willen- und sorgenlos bleibt, müssen die Kulissen alles tragen. So entsteht das, was man früher einmal einen Reigen von Capriccios nannte. Andeutungen von grösseren Projektideen scheinen durch – das wirkt, als hätte der Autor sich nicht aufraffen mögen, eine Sache zu verfolgen, sondern lieber die Schnipsel irgendwie kollagiert, um sie noch zu verwenden.

Dieses stellenweise schöne Flaneur-Buch könnte ebenso gut 50 oder 500 Seiten lang sein. Formal überzeugt es keinesfalls. Sprachlich gibt es ein paar tolle Wortschöpfungen zu entdecken: «Urbrumm», «mischwirklich», «Flitzlicht», «Welpenenglisch», auch hochpoetische Sätze: «Unter der Brücke werden flossenreich Blickzucker und Augentrost angerührt, Entenarbeit, Tauchvogelarbeit, von der herrschenden Schwanpolizei beaufsichtigt.»

vorgestellt von Marcus Jensen, Berlin

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