Korruption kriegt die Quittung
23 Hühner für ein Staatsbankett? In Georgien können die Bürger kritisch prüfen, was sich ihre Politiker genehmigen. Kein anderes Land hat im letzten Jahrzehnt effektiver gegen Korruption und Misswirtschaft gekämpft – mit politischem Willen, neuen Technologien und den richtigen Anreizen.
Wasser und Strom gibt es nur einige Stunden am Tag. Ob man auf eine gute Universität kommt und Prüfungen besteht, hängt von den finanziellen Verhandlungen mit dem Professor ab. Auf einer längeren Autofahrt wird man zweimal grundlos von der Polizei aufgehalten, mit ein wenig Trinkgeld ist das Problem gelöst. Ein beliebtes Geschenk zum 18. Geburtstag: ein offizieller Führerschein, gekauft für 100 Dollar. Gerüchteweise bekommt man ihn billiger, wenn der Empfänger Auto fahren kann.
Im Jahr 2003 gilt Georgien als eines der korruptesten Länder der Welt. Der Staat, jahrelang geführt vom letzten sowjetischen Aussenminister Eduard Shevardnadze, hat abgewirtschaftet, existiert kaum noch. In der friedlichen Rosenrevolution kommen Reformer rund um Mikheil Saakashvili, damals 36 Jahre, an die Macht. «Georgien ohne Korruption» war der Wahlkampfslogan der Opposition. Kaum an der Macht, beginnt sie mit der Umsetzung.
Elf Jahre später ist Korruption aus dem Alltag der Leute verschwunden. Saakashvili und sein Team haben den Staat wieder aufgebaut, auch wenn sie oft – zu oft – unlautere Abkürzungen genommen haben. 2012 wird seine Partei im ersten demokratischen Machtwechsel aus dem Amt gewählt – auch aufgrund von systematischer Folter in den Gefängnissen.
Doch die Reformen wirken weiter: heute gibt nur ein Prozent der Befragten in Umfragen des Meinungsforschungsinstitutes Caucasus Research Resource Center (CRRC) an, in den vorangegangenen 12 Monaten Schmiergeld bezahlt zu haben – ein Wert, den nur wenige westliche Länder erreichen. Die Südkaukasusrepublik liegt im jährlichen Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International derzeit auf Rang 55 von 178 – und damit besser als sieben EU-Mitgliedsstaaten.
Saakashvili und seine Mitstreiter erkannten, dass sie nur ein kurzes Zeitfenster hatten, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es ihnen mit ihren Reformversprechen ernst war. Eines der grössten Probleme war die Polizei – wo die Regierung rigoros durchgriff und innert kürzester Zeit alle 16 000 Gendarmen feuerte (vgl. dazu S. 62). Ausgemistet wurde aber auch bei den Regulierungen: 2003 gab es in Georgien noch 909 verschiedene Genehmigungen und Lizenzen, viele aus Sowjetzeiten. 2011 waren davon nur noch 137 übrig. Ganze Behörden wurden zugesperrt. Die meisten Amtswege können heute online oder in futuristisch de-signten Verwaltungsgebäuden erledigt werden.
Seit 2003 hat sich der georgische Staatshaushalt mehr als vervierfacht. Möglich war dies nur, weil es der Regierung gelang, Steuern einzutreiben. Aus 21 komplexen Steuern wurden 7 Flat Taxes, die leichter einzuziehen sind. Ende 2010 übermittelten bereits knapp drei Viertel aller Steuerzahler ihre Erklärungen in elektronischer Form.
Um Betrug bei der Mehrwertsteuer zu bekämpfen, zwang Georgien 2012 alle Geschäfte des Landes, vom Elektronikhändler bis zur Gemüsefrau im Dorf, eine elektronische Registrierkasse mit eingebautem Mobilfunk-Chip einzusetzen. Darin musste der Wert einer Transaktion eingegeben werden, der in Echtzeit via Handynetz an das Finanzministerium weitergeleitet wurde. Von dort kam ein Code zurück, der dann auf die Rechnung gedruckt wurde. Die wurde so zum Lotterieschein, mit dem der Einkäufer Geld gewinnen konnte. Je mehr Käufer einen Beleg verlangten, desto mehr Händler zahlten Steuern. Eine derartige Kombination von wirtschaftlichen Anreizen und Technologie könnte vielleicht auch Italien, Griechenland und anderen Ländern mit grosser Schattenwirtschaft zu mehr Einnahmen verhelfen.
Auch was die Ausgaben angeht, setzt man in Georgien auf Innovation: Seit 2011 werden alle Beschaffungen öffentlicher Stellen über eine zentrale Webseite durchgeführt. Ähnlich wie bei Ebay können Unternehmen Gebote abgeben – nur dass diese niedriger sein müssen als die der Vorbieter. Das System setzt auf radikale Transparenz: alles ist für den Bürger einsehbar. Welche Firmen wie viel für welche Projekte bieten, wer disqualifiziert wurde und wer schliesslich den Zuschlag erhalten hat, dazu alle Dokumente und Verträge. Somit wird auch für Firmen nachvollziehbar, warum die Konkurrenz gewonnen hat. Auch die Konten der Verwaltung sind mit der Plattform verknüpft: jede Zahlung an eine Firma für einen Auftrag wird öffentlich gemacht. Wer bei einem Vergabeprozess ein Problem sieht, kann formlos online Einspruch erheben, alle Beschwerden und Entscheidungen dazu sind einsehbar. Ebenso alle Budgets. So können Eltern sehen, wie viel Geld die Schule ihrer Kinder im aktuellen Jahr für neue Tische und Computer ausgeben kann. Seit 2012 geht man noch einen Schritt weiter: nun sind auch alle Rechnungen online, bis zum letzten Toilettenreiniger.
Die Öffentlichkeit kann so die Ausgaben des Staates kontrollieren. Und tut es. Vor kurzem sorgte eine Restaurantrechnung des Finanzministeriums für Aufregung: Mehr als 3500 Franken wurden für ein Abendessen mit einer Delegation von Weltbank und IWF ausgegeben. Hat man wirklich 23 ganze Hühner bestellen müssen? Als Reaktion auf die Medienkritik veröffentlichte das Ministerium den Menüplan für das nächste Festmahl (Supra) mit Diplomaten auf Facebook: wieder 25 Speisen für jeden Gast. «Bestellt den Hühnerlebersalat ab! So etwas isst doch niemand», lautete ein Kommentar.
Auch von den Lenkern des Staates wird Offenheit verlangt: Regierungsmitglieder, Abgeordnete und leitende Beamte – insgesamt mehr als 3000 Personen – müssen einmal im Jahr den Besitz und alle Verdienste ihres Haushaltes online offenlegen. In der Erklärung müssen etwa Boote, Kunstwerke, Motorräder und Autos mit einem Wert von mehr als 5000 Franken angegeben werden – samt Modell, Baujahr und Nummerntafel. Deklariert werden müssen auch sämtliche Grundstücke und Immobilien, Bankkonten, Firmenbeteiligungen, Aktien, Einkommen, Bargeld, Kredite sowie Verträge mit einem Wert von mehr als 1500 Franken. Auch erhaltene Geschenke mit einem Wert von mehr als 250 Franken und Ausgaben von mehr als 750 Franken müssen deklariert werden.
Die Vollständigkeit der Angaben in den Offenlegungen wird zwar nicht von staatlicher Seite kontrolliert, jedoch müssen sich etwa Parlamentarier von Medien unangenehme Fragen stellen lassen, wenn herauskommt, dass sie eine Firmenbeteiligung ihres Ehepartners oder ein Grundstück nicht korrekt gemeldet haben. Medien und Nichtregierungsorganisationen können zumindest einen Teil der Angaben auf ihre Richtigkeit überprüfen – sowohl das Firmenverzeichnis samt Unternehmenseigentümer als auch das Grundbuch sind kostenlos online zugänglich.
Auch Parteispenden müssen in Georgien – anders als in der Schweiz – regelmässig bis auf den letzten Franken offengelegt werden, vor Wahlen im 3-Wochen-Rhythmus. Diese Daten erlauben neuartige Analysen: So zeigte sich, dass über drei Jahre staatliche Aufträge im Wert von mehr als 100 Millionen Franken ohne Ausschreibung an Firmen im Besitz von hohen Beamten und Parlamentariern oder deren Ehepartnern gegangen waren. 60 Prozent aller Spenden erhielt die damalige Regierungspartei 2012 von Unternehmern, die ebenso Verträge ohne Ausschreibung erhalten hatten – der Wert der Spenden lag durchschnittlich bei 4 Prozent des Auftragswertes. Transparenz kann Korruption nicht völlig verhindern. Aber sie kann sie zurückdrängen, weil sie schwerer zu verschleiern ist. Vom Beispiel Georgien könnte auch so manches Land in Westeuropa noch etwas lernen.