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Konkordanz durch Konkurrenz

Grüne, CVP, FDP, SVP – wer ergattert den Bundesratssitz des abtretenden Sozialministers Pascal Couchepin? Immer diese Parteipolitik!
Es wäre nun der Moment, um das Wahlverfahren der Bundesräte grundsätzlich zu überdenken.

Der Schweizer Ökonom Jürg Niehans hat in einem Essay für die «Schweizer Monatshefte» auf ein Grunddilemma hingewiesen: die Schweizer Wähler müssen entweder auf die Volkswahl, die der demokratischen Idee und der Gewaltentrennung eher entspricht, oder auf die ausgewogene Zusammensetzung der Exekutive verzichten. Mit einem originellen Vorschlag zeigte er im Jahre 1999 einen gangbaren Ausweg aus diesem Dilemma, indem nämlich die Ausgewogenheit selbst zum Kriterium der Attraktivität bei der Wählerschaft wird. Ein echtes Problem entsteht nach Niehans nur, wenn jedes Mitglied des Bundesrats in einer Volkswahl einzeln zu wählen wäre. Der Ausweg ist die «Blockwahl», die «globale Volkswahl» der Landesregierung, indem die Wahlvorschläge nicht auf die einzelnen Mitglieder der Landesregierung, sondern auf Listen von sieben Regierungsmitgliedern lauten.
Niehans schreibt: «Die Wähler legen eine der Listen A,B,C… in die Urne. Auf jeder Liste sind sieben Namen von Kandidierenden vorgedruckt. Listen mit weniger als sieben Namen sind ungültig. Der gleiche Name kann sehr wohl auf mehreren Listen erscheinen. Gewählt sind alle Kandidierenden jener Liste, die das absolute Mehr erreicht. Wird dieses von keiner Liste erreicht, findet in kurzem Abstand ein zweiter Wahlgang statt, in dem nur die beiden Listen mit den höchsten Stimmenzahlen zur Wahl stehen. Im Unterschied zum vertrauten Proporzsystem wird also die Sitzverteilung nicht von den Stimmenanteilen der Kandidierenden und Parteien bestimmt, und es kann zwischen den Kandidierenden der gleichen Liste keine Unterschiede in den Stimmenzahlen geben. Entweder sind alle Kandidierenden einer Liste gewählt oder gar keiner. Streichen, Kumulieren und Panaschieren sind ausgeschlossen.» – Der Gesamtbundesrat wäre alle vier Jahre zu wählen, aber nicht gleichzeitig mit dem Parlament, damit der politische Apparat nicht überbeansprucht wird.

 

Die Qualität der Wahlvorschläge bestimmt den Erfolg oder Misserfolg in der globalen Volkswahl. Die Parteien müssten nach Niehans eigene Vorwahlverfahren entwickeln, die starke Impulse für das Parteileben ergeben könnten. Im Unterschied zur üblichen Proporzwahl der Legislative wäre jede Partei durch den politischen Wettbewerb gezwungen, auf «ihre» Liste auch zugkräftige Leute anderer Parteien zu setzen. Die Konkordanz selbst wäre bei diesem Verfahren nicht mehr ein Spielball der Königsmacher und Intrigenschmiede aller Parteien, sondern ein Bestandteil des kollektiven Meinungsbildungsprozesses bei der gesamten Wählerschaft.

 

Das Niehans-Modell würde es auch erleichtern, vermehrt populäre und fähige Kandidaten zu finden, die nicht aus einer Parteikarriere hervorgegangen sind: «Statt das Trennende werden die Parteien (im Rahmen ihrer Liste) das Verbindende in den Vordergrund rücken.» Dies würde die transparente Bildung politischer Koalitionen begünstigen. Auch im Wahlkampf müsste sich das Team bewähren und könnte sich bereits aufeinander einspielen. Das Programmatische, die politischen Inhalte bekämen so mehr Gewicht. Die Zeiten des undurchsichtigen Paktierens und Intrigierens unter den Parteispitzen wären vorbei.

 

Ein weiterer Vorteil: die Gefahr, dass sich in Ersatzwahlen taktische Koalitionen bilden, bei denen gerade nicht der beste und profilierteste Wahlvorschlag einer Partei Erfolg hat, würde verringert. Man hätte als Partei ein Interesse, die zugkräftigste eigene Kandidatur mit der zugkräftigsten des Konkurrenten und Koalitionspartners zu kombinieren, um damit die Chancen des jeweiligen 7er-Tickets zu erhöhen. Niehans: «Die globale Volkswahl gibt der Regierung ein (politisch) verbindliches Programm auf den Weg mit. Die Kandidierenden einer Liste müssen ja die Wählerschaft überzeugen, dass sie eine (aus der Sicht der Mehrheit) erfolgreiche Politik zu führen vermögen. Zu einer zugkräftigen Liste gehört ein überzeugendes Programm.» Damit wären auch die Voraussetzungen gegeben für ein innovatives Alternanz-System schweizerischer Prägung, das die überlebte Vier-Bundesratsparteien-Parteienkonkordanz zum Wohl des Landes ablösen und das so zu einer neuen Gruppierung der politischen Kräfte führen könnte.

 

Der vor zwei Jahren verstorbene Schweizer Ökonom hat eine wirklich innovative, originelle, praktikable und auf schweizerische Traditionen gestützte Lösung skizziert. Sie ist nicht weit von dem entfernt, was annäherungsweise, de facto und ohne explizite Gesetzesgrundlage, auf lokaler und kantonaler Ebene verschiedentlich schon praktiziert wird, aber auf Bundesebene noch immer als utopisch gilt.

Jürg Niehans (1919–2007) war ein Schweizer Nationalökonom mit inter-nationaler Ausstrahlung, dessen Interessensbereich von der Geldtheorie über die Aussenwirtschaft bis zur Ideengeschichte und zur politischen Öko-nomie reichte. Sein Essay erschien in der Ausgabe 2/1999 der «Schweizer Monatshefte» (Original unter www.schweizermonatshefte.ch).

Robert Nef war bis 2008 Mitherausgeber der «Schweizer Monatshefte». Woldemar Muischneek war von 1975 bis 2001 Bundeshausredaktor für die Aargauer Zeitung.

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