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Andrea Franc, zvg.

Kolonial liberal?

Es ist an der Zeit, die bibliothèque coloniale des Liberalismus aufzuarbeiten.

 

Das hatten wir doch schon mal…», denkt die Wirtschaftshistorikerin immer wieder bei aktuellen Debatten um die Macht und Ohnmacht der Ökonomen. Anlass zur ersten Kolumne gibt nun die in liberalen Kreisen vehement diskutierte Frage, ob Wilhelm Röpke (1899 – 1966), einer der Väter der sozialen Marktwirtschaft, als «Reaktionär» bezeichnet werden darf. Nun, Röpke schrieb in den «Schweizer Monatsheften» 1964, «dass die Neger Südafrikas nicht nur Menschen von einer geradezu extrem anderen Rasse sind, sondern zugleich einer völlig anderen Art und Stufe der Zivilisation angehören». Die Apartheidpolitik der südafrikanischen Regierung sei folglich «weder dumm noch bösartig».

Der amerikanische Historiker Quinn Slobodian hat in einem kürzlich erschienenen wissenschaftlichen Artikel Röpkes Einsatz für das südafrikanische Apartheidregime und seine Kontakte zur nordamerikanischen Rechten nachgezeichnet. Wilhelm Röpke hatte gemeinsam mit Friedrich August von Hayek 1947 die neoliberale Mont Pelerin Society gegründet. 1962 war Röpke jedoch im Streit mit Hayek aus der Gesellschaft ausgetreten.

1964 sollte Röpke im Rahmen des Vortragszyklus «Aktuelle Probleme Afrikas» in den Sälen der ETH Zürich sprechen. Zürcher Studenten protestierten dagegen – und erhielten Sukkurs von der «NZZ». Der langjährige Weggefährte Röpkes, NZZ-Chefredaktor Willy Bretscher, stellte sich in der Rassismusfrage auf die Seite der Studenten. Bretscher war Mitglied der Mont Pelerin Society geblieben; überraschend wenige Freunde waren Röpke beim Austritt aus der MPS gefolgt. Spielten Röpkes abendländische Überlegenheitsdünkel eine Rolle? Empfanden Röpkes Freunde seine Haltung in dieser Frage bereits vor fünfzig Jahren als «reaktionär»? Wir wissen es nicht. Während eines halben Jahrhunderts interessierte die liberale Bewegung die Haltung ihrer Vordenker gegenüber Afrika, Asien und der nichtabendländischen Kultur kaum. Es ist offenbar an der Zeit, die bibliothèque coloniale des Liberalismus aufzuarbeiten – bevor sie zur Hypothek wird.

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