Kollektive Unfreiheit
Elodie Arpa: Freiheit. Wien: Kremayr & Scheriau, 2023.
Seit dem durch Covid eingeläuteten postbürgerlichen Zeitalter wird einem das unveräusserliche Naturrecht der Freiheit als Privileg verkauft. Freiheit heisst die Kundenkarte, die man sich qua Impfung abstempeln lassen musste, um als Student eine Univeranstaltung besuchen, einen Kaffee trinken oder mit den Kindern in den Zoo gehen zu dürfen: «Impf dich frei!» Daraus entstand ein Paradox: Nur wenn ich das Recht auf Selbstbestimmung, als meine Freiheit, aufgebe, bin ich frei. Diesem logischen Widerspruch folgten weitere: Recht und Verfassung, die einst auch «vulnerable Gruppen» vor der Übergriffigkeit des Staates schützen sollten, wurden unter dem Namen des «Schutzes vulnerabler Gruppen» preisgegeben. Unterwerfung wurde zur «Solidarität», körperliche Autonomie und gegenseitiger Respekt physischer Grenzen zu «Egoismus».
Diesem Orwell’schen Schema verdankt sich auch das Büchlein der 1999 geborenen Elodie Arpa. Das Freiheitsverständnis derjenigen, die während der Pandemie nicht nur das nackte Leben, sondern auch Freiheit als Wert betrachteten, ist laut Arpa «rücksichtslos, menschen- und zukunftsverachtend und damit im Kern vor allem eines: freiheitsgefährdend». Die Autorin behauptet mit Bezug auf Kant weiter: «Die Freiheit des einzelnen endet dort, wo die Freiheit des anderen beginnt.» Diese Umdeutung des Kant’schen Freiheitsverständnisses als autoritärer (Impf-)Zwang ist nicht nur grotesk, sondern führt in die Unsinnigkeit des infiniten Regresses: Wenn ich mein Grundrecht auf (körperliche) Selbstbestimmung aus Rücksichtnahme auf «den anderen» verwerfe, dieser sie wiederum aus Rücksicht auf einen anderen verwirft und dieser um ein weiteres so handelt, ist am Ende niemand mehr frei. Eine Freiheit des «Kollektivs», das die Freiheit des einzelnen negiert, existiert jedoch nicht. Das wusste auch schon Kant. Dass ausgerechnet die Kritiker des biopolitischen Totalitarismus und zunehmender Entrechtung von Arpa als «Egoisten» bezeichnet werden, ist Symptom einer intellektuellen Verwahrlosung, die mit dem Begriff «Propaganda» unzureichend charakterisiert ist. Wer, wie Arpa, auf dem Auge der Macht blind ist, ist dazu verdammt, ihr zu dienen.