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Knackig-bunte Oberflächen

Urs Fischer im Kunsthaus Zürich

«Sobald ich mit Materialien zu arbeiten beginne, läuft etwas falsch», erklärt Urs Fischer sein Schaffen. Er bedauert diese Entwicklung jedoch keineswegs, denn das Scheitern versteht Fischer als positiven Prozess, der für die angestrebte Eigenständigkeit seiner Arbeiten sogar unabdingbar sei. Diese wimmeln nur so von Zitaten, und Fischer will auch nicht verhehlen, dass es Zitate sind, aber sein Weg führt darüber hinaus in eine eigene Welt. Diese Welt ist haptisch und humorvoll, vielfältig und farbig-frisch, wie das Getränk, das seiner ersten umfassenden Einzelausstellung den Namen gab: «Kir Royal».

Im wahrsten Sinn des Wortes läuft etwas bei Urs Fischer: die lebensgrosse Wachsfrau mag zwar an die Arbeit von Jeff Koons erinnern, aber die brennenden Kerzen auf Schulter und Kopf lassen sie langsam dahinschmelzen. Der Wachs verklebt den Arm, und der Titel der Skulptur entspricht der Frage, die der Betrachter sich unwillkürlich stellt: «What if the phone rings?». Fischer baut den destruktiven Prozess, den ein Dieter Roth dem Zahn der Zeit überlässt, gleich mit ein oder zeigt in der Themenwahl und den Dimensionen seiner Bilder und Skulpturen die Vergänglichkeit der menschlichen Existenz. Deshalb mutet wohl auch Fischers dreidimensionale Fabulierlust als Verweis auf die Leichtigkeit des irdischen Seins mittelalterlich an, und es erstaunt nicht, dass der grösste Saal des Zürcher Kunsthauses in ein Wunderland verwandelt werden konnte. Man steigt durch die grossen, in die Wände geschlagenen Löcher, betrachtet die farbigen, in Mischtechnik ausgeführten Bilder, läuft durch einen gipsernen Platzregen aus 1500 an Polyesterfäden herunterhängenden, türkisfarbenen Tropfen und steht am Schluss nicht wie Alice vor einer riesigen Teekanne, sondern vor einem ebenso überdimensionierten, mit einer Zigarettenschachtel vereinten Stuhl.

Der dreissigjährige Fischer, in Zürich geboren, lebt und arbeitet zwar zur Zeit in Berlin und Los Angeles, sein Atelier ist aber überall auf der Welt. In den zehn Tagen vor der Ausstellung war es das Kunsthaus Zürich, wo gesägt, geschliffen, genagelt und gehämmert wurde. Das heisst aber nicht, dass Fischer ein Mensch des Zufalls ist. Seine Motive, Stilleben, Skelette, Spiegel und Stühle sind sehr bewusst gewählt: mit dem Stuhlmotiv arbeitet er besonders gern und knüpft damit an eine lange kunsthistorische Tradition an. Sein «Scheitern ins Kunstwerk» basiert einerseits – ganz ein Geschöpf unserer Zeit – auf der Sicherheit des do-it-yourself- Ladens, wo Materialien und Gegenstände in genügender Quantität und Qualität vorhanden sind.

Fischer ist ein grosser Künstler, der es versteht, mit der Unsicherheit unserer Welt souverän umzugehen, und der mit seinen Werken Aussagen macht, die zum Nachdenken anregen. So ruft das Gemälde mit der kleinen, sich aus einer Wolke entwickelnden Taube und dem untergehenden Dampfer irritierende Assoziationen wach: Ist die biblische Arche Noah nun tatsächlich untergegangen, wird eine neue Arche sang- und klanglos untergehen oder ist es doch nur die Titanic?

Die Ausstellung «Kir Royal» im Kunsthaus Zürich dauert bis zum 26. September 2004.

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