Wir brauchen Ihre Unterstützung — Jetzt Mitglied werden! Weitere Infos
«Kluge Netflix-Serien machen nicht intelligenter»
Elsbeth Stern am 19. März 2025 in Luzern.

«Kluge Netflix-Serien machen nicht intelligenter»

Elsbeth Stern erklärt an der Vernissage der neuen Ausgabe des Magazins Q, was Intelligenz ist und wie sie gefördert werden kann.

Was ist Intelligenz? Ist sie naturgegeben? Kann sie gefördert werden? Und falls ja, wie? Diesen und anderen Fragen ist der Schweizer Monat in seiner neusten Ausgabe des vierteljährlich erscheinenden Magazins Q auf den Grund gegangen. Vergangenen Mittwoch fand eine Vernissage ganz im Zeichen der Intelligenz statt. Ein gehaltvolles und unterhaltendes Gespräch zwischen der Intelligenzforscherin Elsbeth Stern und Ronnie Grob, Chefredaktor des Schweizer Monats, lockte zahlreiche Mitglieder und Interessenten an die Universität Luzern.

Wird jemand, der Sudokus löst, intelligenter, wollte Grob wissen. Nein, so die dezidierte Antwort der Professorin für empirische Lehr- und Lernforschung an der ETH Zürich. «Wer sich intensiv mit Sudokus beschäftigt, wird darin meist besser. Doch diese bereichsspezifischen Verbesserungen sind nicht mit einer gesteigerten Intelligenz gleichzusetzen.»

Von der Auffassung, dass zum Beispiel Ostasiaten intelligenter seien als Europäer, hält Stern nichts. Dafür gäbe es schlicht keinerlei wissenschaftliche Grundlage. Kontrovers wurde der Einfluss von Genen diskutiert – sowohl im Talk wie auch beim anschliessenden Apéro.

Lerntechnischer Unsinn an Schulen

Schlechte Neuigkeiten gab es für den einen oder anderen Studierenden in der Zuhörerschaft. Weder der Konsum anspruchsvoller Netflix-Serien noch smarter Reels machen effektiv schlauer. «Sich berieseln zu lassen, bringt nichts», sagte Stern. «Lerneffekte und verbesserte Leistungen können nur durch aktives Auseinandersetzen und Anstrengung erreicht werden.» «Time on task», also die verbrachten Stunden mit der Aufgabe, seien entscheidend. Das wusste auch Albert Einstein, dessen Brillanz gemäss Selbstanalyse zu 90 Prozent aus Arbeit und höchstens 10 Prozent aus Genie bestand.

Wir freuten uns sehr über den Besuch der GIBS Solothurn – ihre Beiträge sorgten für spannende Impulse im Gespräch.

An den Schulen und Universitäten wurde aus lehr- und lerntechnischer Sicht gemäss Stern in der Vergangenheit auch viel Unsinn betrieben. Jahreszahlen oder Hauptstädte ohne Kontext auswendig zu lernen, mache wenig Sinn. Ohne Kontext, Anwendung und Interaktion sei beispielsweise auch Frühenglisch nicht zielführend. Stern erzählt von einen einfallslosen Chemielehrer, der seine Schüler erstmal das Periodensystem der Elemente auswendig hat lernen lassen und somit wohl auf einen Schlag eine ganze Klasse für dieses Fach verloren hat. «Lehren und Lernen muss sinnstiftend sein», sagt die Lehr- und Lernexpertin.

Zu modernen bildungspolitischen Anliegen wie etwa dem «Schreiben nach Gehör» hat Stern eine klare Meinung: «Das ist gut für meine Gilde und Logopäden – aber eigentlich ist es eine Katastrophe.» Hingegen fördere guter Mathematikunterreicht die Intelligenz.

Stern empfiehlt auch, Romane zu lesen. «Sich mit dem Schicksal anderer zu befassen, ist Voraussetzung für Empathie, und dieser kommt eine wichtige Rolle bei der Anwendung von Intelligenz und der Lösung von Problemen zu.»

Stern hat unter anderem medial Bekanntheit erlangt mit der Aussage, dass ein Drittel der Gymnasiasten an dieser Bildungsinstitution nichts verloren habe. Stern ist auch eine Gegnerin zahlreicher neuer Schulfächer wie beispielsweise Psychologie und Pädagogik. «Diese Fächer führen nur dazu, dass noch mehr durch das System geschleust werden.» (Fabian Gull)

Bilder: Joanna Joos & Selina Seiler.

»
Abonnieren Sie unsere
kostenlosen Newsletter!