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Klug gespart ist halb saniert

Die wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise verdeutlichen den Nutzen der Schuldenbremse. Nach dem Ausgabenrausch ist es entscheidend, den Kompass wieder auf solides Haushalten auszurichten.

 

Pandemien sind nicht nur enorme medizinische und gesundheitspolitische Herausforderungen. Wie die aktuelle Coronakrise vor Augen führt, ist mit einer Pandemie auch ein massiver volkswirtschaftlicher Schock verbunden: Es droht die grösste wirtschaftliche Rezession seit der Grossen Depression der 1930er Jahre. Gemäss der Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird die Weltwirtschaft um drei Prozent einbrechen. Für die Schweiz rechnet das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) im laufenden Jahr mit einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um fast sieben Prozent und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit auf rund vier Prozent.

Diese wirtschaftlichen Verwerfungen finden ihren Niederschlag in den Staatshaushalten rund um den Globus. Einerseits werden die Steuereinnahmen durch die tiefere Wirtschaftsleistung zurückgehen. Gleichzeitig steigen die Ausgaben in schwindelerregende Höhen. Weltweit summieren sich die Kosten der ­Bewältigung der Coronapandemie gemäss IWF bereits auf über acht Billionen Dollar. In der Schweiz hat der Bund innerhalb von wenigen Wochen Massnahmen im Umfang von über 72 Milliarden Franken beschlossen. Die Folgen sind Defizite und Schulden, welche die Niveaus der globalen Finanzkrise von 2009 bei weitem übersteigen werden. Und damit wird einmal mehr die Frage ins Zentrum rücken, ob und wie die Schuldenberge wieder abgebaut werden sollten.

Die Debatte hat historische Wurzeln

Diese Fragen und der damit einhergehende ökonomische Diskurs sind so alt wie zeitgemäss. Einer der frühen und prominentesten Befürworter der Sparsamkeit und des Schuldenabbaus war David Ricardo. Der englische Ökonom argumentierte 1820, die Schulden von heute seien die Steuern von morgen. Der Bürger wisse bei steigenden Staatsausgaben, dass er die dafür vom Staat aufgenommenen Schulden irgendwann zurückzahlen müsse. Daher bilde er Rücklagen, um die künftige Steuerschuld zu begleichen beziehungsweise seinen Konsum zu glätten. Das aber gehe zulasten der aktuellen Konsumausgaben.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelten ­einige im Verein für Socialpolitik organisierte Finanzwissenschafter, unter ihnen Carl Dietzel, Lorenz von Stein oder Adolph Wagner, eine völlig andere Perspektive. Besonders Dietzel sah 1855 in dem rasanten Zuwachs britischer Staatsschulden seit der «Glorious Revolution» von 1688, als die absolutistische Herrschaft des Königs gebrochen und durch Budgetrechte des Parlaments abgelöst wurde, eine wesentliche Ursache des Aufstiegs der britischen Wirtschaft zur führenden Weltmacht. Die Finanzwissenschafter sprachen der produktivitätssteigernden Wirkung der staatlichen Dienstleistungen in allen Bereichen das Wort.

Diese beiden Perspektiven sind der Kern des immer wieder aufflammenden fundamentalen Dissens in der Wirtschaftspolitik. Die eine Seite plädiert in postkeynesianischer Manier für schuldenfinanzierte Konjunkturprogramme der öffentlichen Hand. Die andere hält – ganz im Sinne Ricardos – das Eingreifen des Staates für überflüssig und plädiert für einen ausgeglichenen Haushalt als Basis solider und vertrauenssichernder Finanz- und Wirtschaftspolitik.

Unbestritten ist: Durch Aufnahme längerfristiger Kredite kann der Staat kurz- und mittelfristig seinen finanziellen Spielraum erhöhen. Die Frage, die sich die Finanzwissenschaft heute stellt, ist nicht, ob Staaten Schulden machen sollen, sondern wie viel Schulden sie machen sollten. Die Antwort hängt wesentlich davon ab, ob der Staat dieses Mittel der Finanzierung seiner Ausgaben nutzen kann, ohne seine zukünftige Kreditwürdigkeit und Zahlungsfähigkeit zu beschädigen. Die grundsätzlichen Auswirkungen von Staatsschulden auf die Handlungsfähigkeit des Staates hat bereits Evsey Domar in den 1940er Jahren gezeigt: «The faster income grows, the lighter will be the burden of the debt.» Er kommt zum Schluss, dass die Staatsschuld langfristig nicht schneller wachsen kann als das Sozialprodukt.

Wenn Staatsschulden ungebremst wachsen, wird irgendwann die Toleranzgrenze der Gläubiger erreicht. Dies zeigte sich etwa, als im Zuge der grossen Rezession nach 2010 einige für den Euroraum wichtige Volkswirtschaften in finanzielle Notlage gerieten. Zinsdifferenzen bei den gehandelten Staatsanleihen spreizen sich dann jäh. Der US-Ökonom Kenneth Rogoff spricht vom «Phänomen der Schuldenintoleranz». Die Folge davon ist die eingeschränkte Möglichkeit zur Kreditaufnahme bis hin zur Kreditklemme. Um aus dieser Klemme herauszukommen, bleibt dann im wesentlichen nur die Wahl zwischen Ausgabenkürzungen, Steuererhöhungen oder einer Kombination von beidem. Konkret bedeutet dies Austerität – also Disziplin, Entbehrung und Sparsamkeit.

Austerität ist ein Begriff, der den Vergleich zu den Dreissigerjahren des vorigen Jahrhunderts provoziert. Zu Unrecht, wie wir meinen. Der Vergleich der aktuellen Lage mit der Zwischenkriegszeit hinkt. Im Fall Griechenlands einigten sich EU und IMF auf Stützungsmassnahmen in der Höhe von 110 Milliarden Euro. Darüber hinaus wurde ein Rettungsschirm im Umfang von 750 Milliarden Euro aufgespannt. Die Zentralbanken haben als Reaktion zusätzlich die Zinsen der hochverschuldeten Staaten durch Staatsanleihenkäufe reduziert. Exemplarisch sind in diesem Zusammenhang die Aussagen des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, der versprach, alles Notwendige zu tun, um Griechenland und damit den Euro zu retten: «Whatever it takes.»

Unbestritten ist, dass es Draghi mit seinem Versprechen gelungen ist, die Krise zu beruhigen und den drohenden Zusammenbruch des Euro abzuwenden. Die Geldpolitiker erhofften sich allerdings, dass die betroffenen Staaten die Entlastung nutzen würden, um ihre Schuldenberge auch tatsächlich abzubauen. Davon war in den meisten Ländern wenig zu sehen – im Gegenteil.

Die Weigerung, zu soliden Staatsfinanzen zurückzukehren, bedroht eine nachhaltige und langfristig tragfähige Finanzpolitik und damit die Resilienz, um auf Krisen wie Pandemien adäquat reagieren zu können. Das Konzept der antizyklischen Finanzpolitik sieht vor, die Verschuldung im Aufschwung wieder abzubauen. «The boom, not the slump, is the right time for austerity at the treasury», erklärte sogar Keynes 1937. Was in der Theorie schlüssig ist, scheint in der politischen Realität allerdings nicht leicht zu ­realisieren.

Regelbindung als kluger Mittelweg

Die grundsätzliche Frage lautet deshalb: Welche Rahmenbedingungen sind sinnvoll, um in schlechten Zeiten Ausgaben tätigen zu können, gleichzeitig aber eine persistent steigende Verschuldung in guten Zeiten präventiv zu verhindern? Das Beispiel der Schweiz zeigt: Es gibt durchaus Mittel und Wege, das Schuldenwachstum zu begrenzen und Austerität zu verhindern. Die Rezession der Neunzigerjahre war einschneidend: Die Verschuldung von Bund, Kantonen und Gemeinden schnellte innerhalb eines Jahrzehnts um rund 20 Prozentpunkte auf fast 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hoch. Alleine die Schulden des Bundes stiegen zwischen 1990 und 2002 von 37 auf über 120 Milliarden Franken.

Knapp zwanzig Jahre später steht die Schweiz deutlich besser da als die meisten anderen Industrieländer. Die Divergenz ist spektakulär – und lässt sich an einem Punkt festmachen: dem Jahr 2003. Damals wurde die sogenannte Schuldenbremse in die Bundesverfassung aufgenommen. Der Bundeshaushalt wurde seither auf Resilienz und Nachhaltigkeit getrimmt. Davon profitiert die Schweiz in der aktuellen Krise. Dennoch sollte man nicht vergessen: Seit der Einführung der Schuldenbremse wurden Schulden in der Höhe von 24 Milliarden abgebaut. Fast im gleichen Umfang wurden im Rahmen der Massnahmenpakete nun Ausgaben getätigt – innerhalb von wenigen Wochen. Und die Krise ist noch nicht ausgestanden. Die Schuldenstände werden massiv ansteigen und mittelfristigen Konsolidierungsbedarf nach sich ziehen.

Da Steuererhöhungen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten kontraproduktiv wirken können, werden wohl auch mit einer Rückkehr auf den langfristigen Wachstumspfad Sparmassnahmen unumgänglich. Die Möglichkeiten für Ausgabenkürzungen sind jedoch aufgrund der hohen gebundenen Ausgaben (zwei Drittel der Bundesausgaben) begrenzt. Gerade im grössten Ausgabenbereich, der sozialen Wohlfahrt, sind viele Ausgaben gesetzlich festgelegt. Steht weniger Geld zur Verfügung, werden Kürzungen ­deshalb in der Regel im Bereich Landwirtschaft, Bildung und Forschung, Entwicklungshilfe oder bei der Armee vorgenommen. Um den finanzpolitischen Spielraum nicht über Gebühr einzuschränken, müsste allenfalls über Gesetzesanpassungen das Problem der gebundenen Ausgaben angegangen werden. Zudem wäre für die Mehrausgaben ein längerfristiger Abbaupfad analog den späten 1990er und frühen 2000er Jahren zu entwerfen. Die Abtragungsfrist der Abfederungsmassnahmen müsste womöglich auf 15 Jahre oder mehr erstreckt werden.

Um die Widerstandsfähigkeit der Bundesfinanzen auch für kommende Krisen zu erhalten und um strukturellen Problemen vorzubeugen, sollte die Schuldenbremse in jedem Fall in ihrer heutigen Funktionsweise beibehalten werden. Alles andere wäre kurzsichtig. Der mittelfristige Konsolidierungsbedarf reduziert sich nicht mit dem Aussetzen der Schuldenbremse, wie es nun vielfach gefordert wird. Um eine konjunkturelle Abwärtsspirale zu verhindern, kann der Bund jetzt an zwei Stellen ansetzen: bei der Priorisierung der Ausgaben und bei der Festlegung der Amortisationsfrist.

Gute Regeln sind wichtiger als gute Spieler

Schulden sind per se weder gut noch schlecht. Sie sind die Grundlage für eine moderne Staatsfinanzierung und gerade in Krisenzeiten wie der aktuellen Pandemie unverzichtbar. Doch Staatsschulden bergen Risiken: Wie die Politische Ökonomie uns lehrt, neigt die parlamentarische Demokratie zu exzessiven Staatsausgaben. Das beste Mittel für diese Art von Problem liegt in klugen Rahmenbedingungen. Der Ökonom James Buchanan meinte nicht zu Unrecht: «Good games depend on good rules more than they depend on good players.»

Nach dem Ausgabenrausch sollten wir wieder den Kompass auf die langfristige Tragfähigkeit legen. Finanzpolitische Disziplin braucht Fürsprecher und Selbstverantwortung, denn im tagespolitischen Hickhack werden die ordnungspolitischen Grundsätze soliden Haushaltens nur allzu leichtfertig beiseitegeschoben.

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