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Klassenkampf von oben

Günter Ederer: Träum weiter, Deutschland! Politisch korrekt gegen die Wand. Frankfurt a.M.: Eichborn, 2011.

Die Gesellschaft überaltert. Der Sozialstaat leidet an einer Kostenexplosion. Die Staatsfinanzen treiben dem grossen Knall zu – vor allem, seit man sich verpflichtet hat, für die Pleitestaaten der Europäischen Union geradezustehen. Kann man da als Deutscher noch optimistisch sein in bezug auf sein Land?

Günter Ederer, einer der profiliertesten Wirtschaftspublizisten und Fernsehjournalisten des Landes, würde wohl gerne Optimismus predigen, aber dazu hat er wenig Anlass. Seine Formulierungen könnten fast als typisches Beispiel für die Untugend der romantisch vernebelten german angst durchgehen, wäre da nicht die Aufforderung im Titel «Träum weiter!», sich eben nicht in Illusionen zu ergehen, sondern den Realitäten der gegenwärtigen Lage zu stellen. Was Ederer liefert, ist keine hysterische Momentaufnahme, sondern der Weckruf an den ehemaligen Exportweltmeister.

Ederer durchdringt mit vielen historischen und aktuellen Beispielen die Reihe mentalitätsmässig bedingter Mythen und Fehlurteile, die die deutsche politische Diskussion dominieren – und auch in der Schweiz zunehmend beliebt sind. Da ist das totale Marktversagen als Ursache der Finanzkrise: ein Mythos, der mit einer detaillierten Auflistung staatlicher Grossinterventionen von Ederer effektiv demontiert wird. Da ist die leistungsgerechte Ausdifferenzierung des dreigliedrigen Schulsystems, die eine Bildungskatastrophe herbeigeführt haben soll, während tatsächlich Bürokratismus und gleichmacherische Ideologie die Kernprobleme der deutschen Bildungspolitik sind. Ebenso verhält es sich mit dem besonderen Stolz auf die Errungenschaften des Sozialstaats, der aus dem Obrigkeitsstaat nahtlos hervorgegangen war und die Kostenseite mit Fahrlässigkeit ignoriert, dem Bürger aber weiterhin Sicherheit vorgaukelt und das Anspruchsdenken befördert.

Sind nun die Deutschen tatsächlich ein Volk träumender Schlafwandler, die am Rande des Abgrunds spazieren? Nein, eine solche Sicht der Dinge würde ökonomisch zu kurz greifen. Hinter der Bevormundungs- und Schuldenpolitik vermutet Ederer planvolles Handeln. Er sieht allerorten den interessengelenkten homo oeconomicus am Werke – aber einen homo oeconomicus freilich, der eine solche Charakterisierung empört zurückweisen würde. Ederer begreift ihn als Teil einer politischen Strategie: die Bürger folgen demnach einem politisch orchestrierten Anreizsystem, in dem sie sich irrtümlich frei und autonom wähnen. Die Dirigenten, denen sie realiter folgen, sind, so Ederer, «sich selbst als Elite betrachtende Akteure», die suggerieren, noch «mehr Macht in ihren Händen wäre die Lösung. […] Und wo sie können, machen sie gleich noch mehr Schulden.»

Ja, in der Tat. Deutschland ist zurzeit ein Land, in dem «Klassenkampf von oben» herrscht. Ob im Bildungssystem oder beim subventionierten Aufbau der Ökoindustrie – überall bedienen sich «politisch korrekte» Eliten zwecks Beibehaltung des Status als «Besserverdienende» aus dem Vollen. Sie verschleiern genau diesen Umstand, indem sie sich mit einem zuckrig süssen Moralüberzug zu den Sprechern jenes «kleinen Mannes» ernennen, der dann am Schluss die Rechnung zahlen muss. Ein echtes Bewusstsein dafür, dass genau dieser Klassenkampf zurzeit stattfindet, ist dem leistungsbereiten Bürger kaum mehr zu attestieren. Er wehrt sich schlicht nicht. Die grün-rot gefärbte Elite hat ihre Strategie der «kulturellen Hegemonie» so konsequent durchgezogen, dass man es fast bewundern müsste, wären nicht die Folgen für die Zukunft so furchterregend. Man fühlt sich angesichts der Schwäche des Bürgertums fast an jene Adligen vor der Französischen Revolution erinnert, die begeistert die Philosophie Rousseaus priesen, deren Konsequenz sie dann auf das Schafott brachte. Nur: damals war das nicht Klassenkampf «von oben».

Erst wenn das Bewusstsein für das, was an harten Interessen hinter dem weichen politisch-korrekten Auftritt steckt, geschaffen ist, könnte die deutsche Demokratie, ebenso wie ihre europäischen Schwestern, wieder zu einem Kurswechsel in Richtung Vernunft kommen. Das Thema für Ederers nächstes Buch ist damit schon gesetzt.

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