Klangwerte
Ein Dialekt sei keine Sprache, wohl aber eine Stimme, bemerkte Hugo von Hofmannsthal bei Gelegenheit. Diese «Stimmen» der multikulturellen Schweiz haben im Band «Die Schweiz ist Klang» ansprechenden, mit einer CD unterstützten Ausdruck gefunden. Anheimelnd klingt das alles, aber keineswegs betulich; schliesslich geht es auch um Schweizer Rockmusik, um die Sprach-Tonwelt Notkers aus St. Gallen, […]
Ein Dialekt sei keine Sprache, wohl aber eine Stimme, bemerkte Hugo von Hofmannsthal bei Gelegenheit. Diese «Stimmen» der multikulturellen Schweiz haben im Band «Die Schweiz ist Klang» ansprechenden, mit einer CD unterstützten Ausdruck gefunden.
Anheimelnd klingt das alles, aber keineswegs betulich; schliesslich geht es auch um Schweizer Rockmusik, um die Sprach-Tonwelt Notkers aus St. Gallen, um die Klanglichkeit der Gedichte Felix Philipp Ingolds (kann man ihn je genug preisen?), um soundscapes der schweizerischen Regionen. Der Band hat eine Mission, die er eindruckvoll erfüllt: das Zerrbild von der ton- und klangarmen, ja, musikabstinenten, wenn nicht -feindlichen Schweiz zu widerlegen. Schliesslich ist die Schweiz eine politische, staatgewordene Kulturpolyphonie, sicherlich seit 1848, aber doch auch schon im Mittelalter. Man hätte den Verweisen auf Notker einige auf Johannes Hadlaub folgen lassen sollen, der virtuos zwischen feinsinnigen Liebesliedern und derber Dörperlyrik abzuwechseln verstand.
Träumte es mir oder erinnere ich mich an einen alten Mann, der zwischen Sils Maria und Sils Baselgia, ein Sommerabend war’s, sein Alphorn ruhig und bedächtig zusammensetzte, ein-, zweimal blies, unvergleichlich schön, es dann schon wieder auseinandernahm, langsamer als er es zuvor zusammengefügt hatte, und – sichtlich erschöpft – davon schlich, das zerlegte Alphorn auf einem kleinen Leiterwagen über die Wiese in den Abend ziehend?
Ach, die Klänge der Schweiz, dazu gehören, ja, natürlich, Herdenglocken und Alphorn wie die Kompositionen Arthur Honeggers und Frank Martins, Jodeln und Schwyzerörgeli und die Musikkritik Hans Georg Nägelis und das Rauschen des Rheinfalls. Die Klänge der Schweiz werden in einer Vielzahl bedeutender Musikfestivals erzeugt und in staunenswerten Kompositionen. Man höre sie sich an, die Werke eines Martin Jaggi, Sandor Veress, Daniel Schnyder, Martin Wettstein, Paul Juon, Jörg Widmann, Alberto Ginastera und Astor Piazzola, was zuweilen leichter ist, wenn man von aussen auf die Schweiz hört. Unsereinem bieten vor allem die Londoner Swiss Ambassador Award Concerts reiches Schweizer Hörmaterial, das auch in diesem Band eine Erwähnung verdient hätte. Aber es geht nicht um Vollständigkeit, sondern darum, auf diese so eigene Klangwelt hinzuweisen, und das ist diesem Band vollauf gelungen.
vorgestellt von Rüdiger Görner, London
Ottmar Ette, Joseph Jurt & Yvette Sánchez (Hrsg.): «Die Schweiz ist Klang». Basel: Schwabe, 2007, Buch & CD.