KLÄRanlage #05: «Klimatainment»
Portugal auf der Überholspur?
Alle Jahre wieder … stellen sich Deutsche wie Schweizer die alles entscheidende Frage: Werden wir in diesem Jahr weisse Weihnachten haben? Und wenn ja, wo genau? Spätestens ab Mitte Dezember werden in den zahlreichen Wettervorhersagen in allen Medien wieder Hochrechnungen präsentiert, die den Versuch unternehmen, punkt- oder fast schon vorgartengenau die Schneefallwahrscheinlichkeit vorherzusagen. Und immer endet die Präsentation mit der Aussage, man könne das Wetter für einen Zeitraum, der mehr als vier Tage lang ist, eigentlich überhaupt nicht vorhersagen, da so viele Faktoren dabei eine Rolle spielen.
Interessanterweise werden die Vielzahl der Faktoren und die daraus folgende Unvorhersehbarkeit nur bei der Wettervorhersage betont. Bei der Mutter allen Wetters, dem Klima, ist das jedoch ganz anders. Hier stehen die Prognosen für die nächsten Jahrzehnte bereits fest: Die Temperaturen werden steigen, und zwar stärker als wir vorhersagen können. Und damit wir normale Klimaverbraucher das auch glauben, wird uns beschwichtigend erklärt, dass gerade auch das Absinken der Temperaturen in Mitteleuropa eine Folge der Klimaerwärmung sei. Da solcherlei Erläuterungen in kurzen Sommern allein aber nicht ausreichen, um unseren Wetterfrust in Klimaschuldgefühle umzuwandeln, braucht es einen jährlichen und medial entsprechend vor- und nachbereiteten Höhepunkt, um die wirren Geschichten der vergangenen zwölf Monate in einen möglichst angsteinflössenden Zusammenhang zu setzen.
Zu diesem Zwecke treffen sich alljährlich im Dezember Dutzende Fliegerladungen von Klimaexperten, zumeist an Orten, an denen die Chancen auf weisse Weihnachten im Nullbereich liegen, um darüber zu beraten, wie künftig die Chancen auf weisse Weihnachten in unseren Breitengraden vergrössert werden können. Alle Jahre wieder wird, sobald die Temperaturen in den einstelligen Bereich fallen, die Klimaerwärmung beschworen. Im Sommer könnten eventuell mehr hier wohnende Menschen den Eindruck bekommen, dass der Temperaturanstieg weiterhin auf sich warten lässt. Und selbst wenn während des ganzen Jahres seit der letzten Weltklimakonferenz relative Windstille und Ebbe herrschte, veröffentlichen pünktlich zur Weihnachtszeit die professionellen Warner neue Schreckensszenarien und betonen die Einmaligkeit der Wetterkapriolen der letzten zwölf Monate.
In diesem Jahr traf sich der Klima-Jetset im kuscheligen Doha in Katar. Erneut ging es darum, den globalen Temperaturanstieg auf 2° C zu begrenzen. Freilich hat es auch in diesem Jahr keine neuen Ergebnisse gegeben, einzig auf eine Kyoto-Verlängerung, die strenggenommen kein Erfolg, sondern eine Bankrotterklärung ist, hat man sich einigen können. Stattdessen gab es aber ein beachtliches Rahmenprogramm zur Auslieferung des vorweihnachtlichen «Klimatainments»: Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch hat am Rande der Konferenz den neuesten Klimaschutz-Index vorgestellt und das Klimaschützen zu einem globalen Wettbewerb mit quasi olympischen Zügen stilisiert. Dies allerdings nicht, ohne den moralischen Zeigefinger auch nur um ein halbes Grad zu senken: In ihrem weltweiten Ranking hat die Organisation bewusst die Plätze auf dem Treppchen nicht vergeben – ein Modell, das künftig auch im Radsport eine Rolle spielen könnte. Der moralischen Leere folgt auf Rang vier als inoffizieller «Klima-Weltmeister»: Dänemark.
Das Schöne an solchen Rankings ist: Sie helfen dabei, Krisen aktiv in Erfolgsgeschichten umzuwandeln. Denn während Deutschland aufgrund seiner weiterhin recht stabilen Wirtschaftsentwicklung auf Platz acht abrutschte, konnte sich Portugal wegen des Zusammenbruchs seiner Wirtschaft und der damit verbundenen Reduktion seiner CO2-Emissionen auf Platz sechs vorarbeiten. Davon können sich die Überraschungsaufsteiger des Jahres zwar nichts kaufen, dies aber immerhin ohne Schuldgefühle und voller Stolz. Es ist eben immer eine Frage des Standpunktes, ob ein Wasserglas austrocknet oder lediglich die feuchten Folgen seines Umfallens erfolgreich minimiert werden.
Aber zurück zum Ausgangsproblem: Wenn es wirklich so sein soll, dass die Klimaerwärmung in Europa zu kälteren Wintern führt, warum sind dann verschneite Festtage weiterhin Mangelware? Oder überwiegen dann andere Faktoren des Klimawandels? Wenn Sie mit einer solch einfachen und provokanten Fragestellung einem Klimaexperten gegenübertreten, ernten sie in der Regel ein abschätziges Lächeln oder aber Entrüstung, noch häufiger aber beides. Und die Erklärung, dass Wetter nichts mit dem Klima zu tun habe. Wenn Sie streitlüstern sind, könnten Sie die Frage hinterher schieben, wie es denn dann sein könne, dass die Forschung ihre Rückschlüsse über die Klimaveränderungen fast nur auf Wetteraufzeichnungen basiere. Diese Frage dürfte Sie dann aus Sicht ihres ohnehin bereits aufgebrachten Gegenübers endgültig auf die Gehaltsliste der Ölindustrie katapultieren. Denn nur, wer dort steht, kann schliesslich so fiese Gedanken haben.
Wir fassen also zusammen: Weil es wärmer wird, kann es durchaus sein, dass es auch kälter wird. Ob unsere Winter also kälter oder wärmer werden, ist demnach kein Indiz dafür, dass es nicht wärmer wird. Das Klima ist eben ein komplexes Gebilde, und das ist gut für den Klimaschutz, denn es ist eben kaum nachweisbar, dass er keinen positiven Effekt auf das Klima hat. Und da wir es gewohnt sind, alle möglichen Dinge zu tun, um vermeintliche Gefahren und Risiken zu minimieren, weil sich das gut anfühlt, egal, ob sie funktionieren oder nicht, passt der Klimaschutz eben besser in unsere Zeit als die Frage nach seinem Sinn. Den Portugiesen war sicherlich auch nicht gleich bewusst, dass sie sich durch ihren Industrieabbau in die Spitzengruppe der Weltenretter setzen könnten, sonst hätten sie bestimmt nicht so heftig dagegen demonstriert. Man muss eben an das Gute glauben, nicht nur zur Weihnachtszeit. Meine Mutter hat früher immer gesagt: Wenn Du Deinen Teller leer isst, gibt es morgen schönes Wetter. Was sie mit «schön» meinte, hat sie nie gesagt. Aber ich mach‘s trotzdem.
Matthias Heitmann ist freier Journalist und lebt in Frankfurt am Main. An dieser Stelle macht er sich regelmässig Gedanken darüber, welche Absurditäten in Deutschland aufschlussreich für künftige mögliche Entwicklungen in der Schweiz sein könnten. Seine Website findet sich unter www.heitmann-klartext.de.