Keine Angst vor Uncle Sam
Die US-Steuerbehörden machen Jagd auf ihre Bürger in der ganzen Welt. Dabei wissen sie insgeheim: Die Steuerflucht ist das Ergebnis schlechter amerikanischer Steuergesetze. Warum wagt die Schweiz es nicht, die US-Bürger für sich einzunehmen, indem sie die US-Regierung genau daran erinnert?
Auch wenn viele Schweizer es zurzeit so sehen: Die Schweiz verfügt nicht über das exklusive Privileg, von der US-Regierung unter Druck gesetzt zu werden. Doch macht sie ihr Status als Bastion gesunder Steuerpolitik und finanzieller Privatsphäre zweifellos zu einer besonders attraktiven Zielscheibe eines neuen amerikanischen Fiskalimperialismus. Um sich gegen die Angriffe zur Wehr zu setzen, sollte die Schweiz zuerst einmal verstehen, welche Motive hinter den politischen Angriffen der USA stecken. Da dies die Amerikaner besser wissen als die braven Schweizer, haben wir diesen Beitrag verfasst.
In einigen Fällen sind die amerikanischen Angriffe auf die Souveränität der Schweiz das Ergebnis unilateraler US-Entscheidungen. Die USA bürden mit Gesetzen wie dem Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA) der ganzen Welt beträchtliche bürokratische Belastungen auf, um eine ziemlich armselige Summe an Steuerdollars einzukassieren. Der FATCA strebt danach, ausländische Finanzinstitute (FFI) als Stellvertreter in den Dienst des Internal Revenue Service (IRS) zu stellen – oder zugespitzt: Banken auf der ganzen Welt sollen zum verlängerten Arm der amerikanischen Steuerbehörde werden. Natürlich erwarten die USA, dass die Finanzinstitute die Kosten dafür selber tragen.
Jenseits des FATCA, der alle Länder betrifft, muss sich die Schweiz mit einer spezifisch bilateralen Drangsalierung beschäftigen. Das Verfahren gegen die UBS, die Anklage gegen Wegelin und Aufforderungen zum Informationsaustausch bei Gruppenanfragen sind Beispiele dafür, dass die USA an der Schweiz ein Exempel statuieren wollen. Diese bilateralen Massnahmen führen in der Tat zu einer nicht nur für die Schweiz beunruhigend anmutenden Konstellation: Die Weltmacht Nummer eins tritt mit geballter Macht gegen ein kleines und friedfertiges Land an.
Aber auch hier bedarf es der Relativierung. Die Obama-Administration unterstützt zahlreiche multilaterale Initiativen im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die alle dasselbe Ziel verfolgen: Untergrabung des Steuerwettbewerbs und Beseitigung der finanziellen Privatsphäre. Die US-Regierung hegt durchaus starke Sympathien für das Modell eines automatischen Informationsaustauschs, das durch die Europäische Kommission im Rahmen der Richtlinie zur Zinsbesteuerung gefördert wird. Der Grund liegt auf der Hand: Der Informationsaustausch vergrössert die Macht des Staates, freien Zugriff auf die finanziellen Verhältnisse ihrer Bürger zu haben.
Was aber ist letztlich der fundamentale Antrieb für das aggressive Vorgehen der Amerikaner? Ganz einfach: die USA haben durch die mehrfache und allumfassende Besteuerung von Vermögen und Investitionen das weltweit wohl schlechteste Steuersystem für grenzüberschreitende Aktivitäten. Dieser selbstzerstörerische Ansatz gilt für Arbeitseinkommen, Unternehmens- und Kapitalerträge – und zwar auf der ganzen Welt. Das US-Steuersystem ist «imperialistisch». Dies ist ein präziser Begriff, denn US-Recht gilt für US-Bürger immer und überall. Die ganze Welt ist amerikanisches Territorium. Und es ist letztlich diese schlechte Steuerpolitik, die die uni-, bi- und multilateralen Angriffe motiviert und Konflikte mit jenen Nationen provoziert, die gute Steuergesetze haben und Investitionen anziehen.
Das schlechte fiskalische Umfeld der USA hat in den letzten Jahren die weltweiten Auswirkungen dieser schlechten Steuerpolitik verschärft. Budgetüberschreitungen von Präsident Bush und Präsident Obama und politische Demagogen, die einen riesigen Topf voller Gold am Ende des steuerlichen Regenbogens versprechen, geben dem IRS die Lizenz, in der Jagd nach mehr Einkünften noch aggressiver vorzugehen.
Aus Schweizer Sicht ist es ein leichtes, die Vereinigten Staaten in dieser Geschichte als skrupellosen Bösewicht zu sehen, den nichts anderes als der Hunger nach Macht und der Wunsch nach Unterdrückung antreibt. Wer so denkt, übersieht allerdings das Wesentliche. Ein guter Schriftsteller weiss, dass jeder Bösewicht sich in der eigenen Erzählung der Geschichte zugleich als einen Helden darstellt. Und es ist nun genau diese Heldenerzählung, die in den USA kursiert. Die amerikanische Regierung stellt sich zu Hause als heldenhafter Protagonist dar, der tapfer jene finsteren Hindernisse abbaut, die gierige amerikanische Steuerhinterzieher vor der Zahlung ihres fairen Anteils an den Fiskus schützen.
Fairness ist zweifellos ein wesentlicher Bestandteil des amerikanischen Ethos, das bis zur Gründung des Landes zurückgeht. Die Amerikanische Revolution nährte sich mitunter aus dem Bewusstsein, dass Grossbritannien den amerikanischen Kolonien unfaire Steuern und eine willkürliche Regierung aufgebürdet hatte.Seitdem glauben Amerikaner, dass die Bürger Anrecht auf eine faire Behandlung durch den Staat haben und dass vor dem Gesetze alle gleich sind. Doch ist dies nur die halbe Wahrheit – in den USA tobt gerade ein Kampf um die Deutungshoheit dessen, was «Fairness» meint. Einige Vertreter innerhalb der politischen Klasse, die sich ebenfalls auf die Gründung der USA berufen, sehen Fairness nicht als eine Frage gleicher Behandlung, sondern gleicher Ergebnisse. Nach dieser Ansicht ist es ausgeschlossen, dass Unterschiede in Einkommen und Wohlstand davon herrühren, dass einige härter arbeiten und mehr leisten als andere; solche Unterschiede müssen vielmehr eine Folge von Diskriminierungen sein, mithin ein Beweis für etwas Unheimliches und Unfaires.
Viele Vertreter dieser Ansicht handeln, als wäre die Wirtschaft ein vorgegebener Kuchen. Logische Folge dieser Denkweise: Es ist unmöglich, reich zu werden, ohne jemand anderen arm zu machen. Wer hat, hat es anderen genommen. Das ist eine Rhetorik, die sich in Zeiten exorbitanter Steuersätze und leerer Staatskassen natürlich anbietet, auch wenn sie kompletter Unsinn ist. Viele Wähler, die von Existenzsorgen geplagt sind, lassen sich so emotional ansprechen und mobilisieren. Die politischen Verfechter dieser Rhetorik geben vor, den Klassenkampf zu besänftigen, während sie ihn in Wirklichkeit anheizen. «Reiche» Menschen mit «Offshore»-Geld werden damit zu einem leichten Ziel.
Wirksame Gegenstrategien
Wie aber kann, wie soll die Schweiz nun auf die amerikanischen Angriffe reagieren, wenn sie sich diesen Zusammenhang vergegenwärtigt?
Eine wirksame Verteidigung erfordert mehrere Strategien. Es ist klar: Die Schweiz muss sich dringend schützen. Der Faktor Zeit ist entscheidend. Wie viele internationale Firmen sind Schweizer Institutionen bereits daran, amerikanische Kunden loszuwerden. Kunden, die der amerikanischen Steuerpflicht unterstehen, sind langfristig schlicht zu teuer und zu riskant. Dies ist zweifellos eine schlechte Nachricht für Überseeamerikaner, die durch die schlechten Gesetze aus Washington grosse Unannehmlichkeiten erfahren. Aber Schweizer Finanzinstitute, die sich von der amerikanischen Wirtschaft lösen können, sollten mit Vorteil von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Ohne direkte Investitionen in amerikanische Aktien und Anleihen fallen allfällige Verknüpfungen weg, die vom IRS ausgenutzt werden könnten. Das Problem: Nicht alle Schweizer Firmen können sich dies leisten. Dieser wirksame Ansatz ist deshalb vermutlich für die grosse und diversifizierte Finanzbranche der Schweiz als Ganzes nicht realistisch. Die Firmen müssen sich des verbleibenden Restrisikos auf jeden Fall bewusst sein; die Amerikaner haben weitere Pfeile im Köcher, die sie jederzeit gegen sie abschiessen können. Es ist an den Firmen, sich rechtlich umfassend abzusichern. Die Schweizer Regierung kann Hilfe bieten, indem sie sich hinter ihre Unternehmen stellt und sich einigen der ungeheuerlichen Forderungen der amerikanischen Regierung widersetzt.
Das amerikanische Justiz- und das amerikanische Finanzministerium sind derzeit durch linke Ideologien geleitet. Das macht sie zweifellos verhandlungsresistenter als für die Schweiz wünschbar. Dennoch sind nicht alle Karrierebürokraten, die die Vereinbarungen mit der Schweiz aushandeln, unvernünftig. Und vor allem: das amerikanische Aussenministerium weiss um die Unvereinbarkeit der amerikanischen Steuergesetze mit dem Rechtsverständnis und der Wirtschaftspolitik der Schweiz.
Jenseits dieser eher defensiven Taktiken ist eine proaktive Agenda dringend notwendig. Die Schweiz sollte offensiv das Argument vertreten, dass der Konflikt mit der US-Regierung das Ergebnis schlechter amerikanischer Steuergesetze ist – und sie sollte dies in den USA tun! Die Schweizer Regierung vermag viele amerikanische Bürger für sich einzunehmen, wenn sie darauf hinweist, dass die Wahrung der finanziellen Privatsphäre als Teil der Menschenrechte zu verteidigen sei und dass die USA dem Rest der Welt nicht eine Politik diktieren sollten, die ebendiese Rechte untergrabe.
Wesentlich ist für die Schweiz auf jeden Fall, sich aktiv und selbstbewusst in die Debatte über Fairness und gute Steuerpolitik einzubringen. Die Schweiz kann in den USA auf viele Freunde und Verbündete in Politik und Wirtschaft zählen. Werden sie als Fürsprecher gewonnen, erzeugt dies weitere Unterstützung unter den Mitgliedern des Kongresses, die die Schweiz oft kaum kennen, unter den Public-Policy-Gruppen, Wissenschaftern und Medien. Die Botschaft dabei ist so einfach wie überzeugend: Die Schweizer Steuerpraxis sollte nachgeahmt, nicht verfolgt werden!
Flankierend dazu sollten Schweizer Vertreter von Staat, Administration und Privatwirtschaft ihren amerikanischen Kollegen freundliche Beratung in Steuerfragen anbieten. Denn zurzeit verfolgen diese eine Steuerpolitik, die nicht nur die eigene Wirtschaft untergräbt, sondern in der ganzen Welt Unmut gegenüber den USA schafft. Der Wunsch wächst, Uncle Sam in Schranken zu halten – einige meinen gar, dass die Zeit gekommen sei, die Rolle des Dollars als weltweite Leitwährung zu beenden. Amerikanische Politiker benötigen eindeutige Zeichen von aussen, die sie wachrufen und daran hindern, sich selbst und anderen noch mehr Schaden zuzufügen.
Eine überzeugende und solide Strategie, die sowohl auf defensiven Manövern als auch auf einer selbstbewussten Charmeoffensive basiert, hat Aussicht auf Erfolg. Die Alternative besteht darin, die USA in ihren Forderungen zu besänftigen oder mit kleineren Zugeständnissen den Schaden zu begrenzen. Ein solcher Ansatz würde US-Politikern jedoch nicht nur erlauben, das amerikanische Volk weiterhin an der Nase herumzuführen, sondern er würde darüber hinaus den Nährboden für noch aggressiveres amerikanisches Vorgehen bieten.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Florian Rittmeyer