Kein «Versager»
Monopole, öffentliche Güter und Externalitäten: wo der Markt nicht funktioniert, muss der Staat intervenieren. Heisst es. Wenn es nur so einfach wäre.
Marktversagen scheint allgegenwärtig zu sein. Wenn es so weit kommt und das tolpatschige Kind namens Markt versagt, dann müssen Vater Staat und Mutter Bürokratie eingreifen und die Dinge richten. So will es die ökonomische «Mainstreamtheorie». Entscheidende Fragen bleiben aber meist unbeantwortet: Wann liegt eigentlich genau ein Marktversagen vor? Und ganz wichtig: wer stellt wann und wo Marktversagen fest? Um dem Mythos näherzukommen, schauen wir uns die prominentesten Fälle von diagnostiziertem Marktversagen einmal genauer an.
Vermeintliches Marktversagen I: das Monopol
Jeder junge Ökonom hat nach den ersten Semestern zu wissen, dass Monopole schlecht für die «soziale Wohlfahrt» sind. Was ein Monopol ist, wird von Ökonomen jedoch selten klar definiert. Eine Definition besagt, dass ein Monopolist der einzige Anbieter eines Gutes ist. Dies liegt aber im Auge des Betrachters. Ein Kaffeefeinschmecker mag vielleicht nur den Kaffee von Starbucks. Jedoch bin ich, aufgrund meiner Koffeinabhängigkeit, sehr flexibel und trinke alles, was Koffein enthält. Für den Feinschmecker ist Starbucks folglich der Monopolist für guten Kaffee. Aus meiner Perspektive konkurriert Starbucks mit meiner Kaffeemaschine und mit jedem anderen Café und stellt für mich daher kein Monopol dar.
Eine andere Meinung besagt, dass das Vorhandensein eines Monopolpreises ein Monopol konstituiert. Diese Definition ist unzureichend, weil man nicht klar definieren kann, wann ein Preis ein Monopolpreis ist, und es niemals einseitige Kontrolle über den Preis gibt. Der Preis ist ein bilaterales Phänomen: er kommt nur zustande, wenn Käufer und Verkäufer damit einverstanden sind. Kontrolle hat jeder nur über seine eigene Einverständniserklärung, nicht über die des anderen.
Was aber, wenn es für ein Produkt bloss einen Anbieter gibt? Dann hat der Konsument für eine kurze Dauer in der Tat keine Wahlfreiheit und kann auf überhöhte Preise bloss durch Konsumverzicht oder -einschränkung reagieren. Doch werden automatisch andere Produzenten auf den Markt drängen, weil sie eine neue Geschäftsmöglichkeit wittern, und mit der Zeit Wahlfreiheit schaffen. Diese Überlegung führt uns zu einer einleuchtenden Definition von Monopol. Sie wurde im 20. Jahrhundert von Ludwig von Mises vertreten, geht allerdings auf den Juristen Lord Coke im 17. Jahrhundert zurück. Danach ist ein Monopol dann gegeben, wenn eine In-stitution durch den Staat das alleinige Privileg geniesst, ein Gut zu produzieren. Mittel- bis langfristig gibt es in der Tat keine Beispiele von Monopolen, die ohne die Hilfe des Staates überleben konnten.
Vermeintliches Marktversagen II: öffentliche Güter
Ein oft gehörtes Argument lautet, dass manche Güter nicht vom Markt bereitgestellt werden könnten. Nach der Theorie zeichnen sich sogenannte öffentliche Güter durch zwei Kriterien aus: sie können durch eine sehr grosse Anzahl von Leuten gleichzeitig konsumiert werden (Nichtrivalität) und niemand kann von ihrem Konsum ausgeschlossen werden (Nichtausschliessbarkeit). Wenn der Zugang zu einem Gut allen Konsumenten gleichzeitig freisteht, kann dafür auch kein Preis verlangt werden. Wenn kein Preis verlangt werden kann, gibt es keinen Anreiz für private Produzenten, das Gut anzubieten. Deshalb soll die öffentliche Hand die Versorgung mit öffentlichen Gütern übernehmen. Häufig genannte Beispiele für solche Güter sind Leuchttürme, Parks und Feuerwerke. Das Problem dieser Argumentation: solche Güter wurden und werden tatsächlich immer wieder vom Markt bereitgestellt. Das Vorhandensein öffentlicher Güter beweist also nichts bzw. nur, dass der Staat sich das Recht herausnimmt, sie zu produzieren.
Ein unterstützendes Argument für die öffentliche Gütertheorie besagt, dass der Markt diese Produkte zwar eventuell herstellen kann, dies jedoch in unzureichender Menge tun wird, weil Trittbrettfahrer die Situation ausnutzen. Dieses Argument mag stimmig wirken, es ist indessen eine «Anmassung von Wissen»: Wir können unmöglich wissen, ob Marktakteure ein Produkt nicht kaufen, weil sie es nicht wünschen oder weil sie trittbrettfahren wollen. Natürlich wird man ein «kostenlos» bereitgestelltes Produkt häufiger nutzen als ein Produkt, für das man direkt bezahlen muss. Der «soziale Nutzen» ist bei der kostenlosen Bereitstellung immer höher – aber nur, wenn man dabei die Verluste durch Besteuerung, Bürokratie und vieles mehr ignoriert. Wäre die öffentliche Gütertheorie gültig, dürften auch so nützliche und monetär kostenlose Produkte wie Facebook, Google-Suche, Online-Übersetzungsdienstleister und Wikipedia nicht existieren.
Vermeintliches Marktversagen III: Externalitäten
Wenn negative oder positive Effekte auf Dritte nicht eingepreist werden, spricht man von Externalitäten. Sie taugen jedoch nicht als Begründung für Marktversagen – aus einem einfachen Grund: sie sind allgegenwärtig. Es ist wirklich schwer, über eine Handlung nachzudenken, die keine Effekte auf Dritte hat. Hält man sich an diese Logik, stellen sogar Socken eine Externalität dar und müssen für jeden vom Staat bereitgestellt werden. Warum? Wenn ich keine Socken trage, bekomme ich eventuell stinkende Füsse und sogar Krankheiten, die sich vielleicht auf andere übertragen. Dies wird die Krankenkassen zusätzlich belasten und negative Wohlfahrtseffekte auslösen. Ergo: der Staat muss Socken für das Wohl aller bereitstellen. Dieses leicht abgewandelte Beispiel des Ökonomen Walter Block zeigt die unrealistischen Implikationen von Externalitäten als Legitimation für Staatseingriffe.
Es geht an dieser Stelle nicht darum, das alte Lied von den perfekten Märkten zu singen, sondern auszuloten, welches System die besseren Anreize bereitstellt, mit der offensichtlichen Fehlerhaftigkeit des Menschen umzugehen. Nur weil der Staat sich um ein Problem kümmert, heisst dies noch nicht, dass jenes auch effizient behoben wird. Für den Unternehmer stellt jeder Fehler auf dem Markt, jede Verunreinigung, jede Fehlallokation einen Profitanreiz dar. Konsumenten auszunutzen oder zu betrügen, kann nur ein temporäres Phänomen sein, da entweder Betrug schon durch das Rechtssystem geregelt wird oder das Beheben des Fehlers lukrativ ist. Ein Beispiel: Wenn ein Strassenverkäufer ungeniessbare Muscheln anbietet und seinen Kunden davon schlecht wird, dann stellt das eine Möglichkeit für einen anderen Unternehmer dar. Durch Wirtschaftsrechnung setzt der Unternehmer relevante Informationen und Preise miteinander in Bezug und versucht zu quantifizieren, welchen Ertrag er erwirtschaften kann. Mit dem Angebot von hochwertigen Muscheln lässt sich ein erhöhter Umsatz anpeilen, weil die unbefriedigten Kunden wahrscheinlich das bessere Angebot wahrnehmen werden. Auf einem freien Markt kann nur nachhaltiger Profit gemacht werden, wenn Produkte und Services bereitgestellt werden, die die Konsumenten haben wollen. Wer den Kunden nicht zufriedenstellt, generiert keinen Profit, sondern erleidet langfristig Verlust. Dieser Mechanismus stellt eine effiziente und schnelle Rückmeldung für den Unternehmer dar.
Der Lernprozess des Marktes mag einem zu langsam erscheinen und der Weg der staatlichen Regulierung scheint das Muschelproblem vermeintlich für immer aus dem Weg zu räumen. Jedoch wirkt das Verbot des Verkaufs von schlechten Muscheln nicht unbedingt langfristig. Zunächst ist es zwar verboten, schlechte Muscheln zu verkaufen, aber der Anreiz, Konsumenten hinters Licht zu führen, wurde nicht verlernt. Das bedeutet, dass nun vielleicht der Zulieferer von Muscheln einen anderen Datumsstempel auf die Waren drückt, um damit das Frischegebot zu umgehen. Bis dies dem zuständigen Beamten auffällt, ist schon einige Zeit vergangen und eine neue Regulierung ist erforderlich, um dieses Schlupfloch zu schliessen. Denkt man diese Logik weiter, führt sie zu einer Spirale des Interventionismus. Der Anreiz, jede neue Regulierung zu umgehen, besteht nämlich weiterhin.
Zurück zur Realität
Ein wichtiges Merkmal von Theorien des Marktversagens ist, dass sie oftmals dem Nirwana-Trugschluss zum Opfer fallen. Dieser liegt dann vor, wenn ein unrealistisches theoretisches Konstrukt mit der Realität verglichen und daraus abgeleitet wird, dass der Markt unzureichend sei. Dabei wird ein Monopol mit dem Konstrukt des vollständigen Wettbewerbs verglichen. Das Konstrukt basiert auf Annahmen von homogenen Gütern, vollständigen Informationen und unendlich vielen Käufern und Verkäufern, von denen niemand den Marktpreis beeinflussen kann. Dies ist alles statisch. Diese Annahmen beschreiben jedoch keinen vollständigen Wettbewerb, sondern dessen vollständige Abwesenheit. Darum sind auch die Schlussfolgerungen ohne Bedeutung für die Wirklichkeit.
Den meisten Ökonomen ist klar, dass ihre Modelle eine Vereinfachung der Realität darstellen. Trotzdem verlassen Ökonomen den theoretischen Raum häufig, um dann mit diesen Theorien in einer normativen Weise Staatsinterventionen zu legitimieren. Wenn Märkte allerdings durch die ebenso fehlerbehafteten Regulierer umgangen werden, verhindert dies sogenanntes «Versagen» keineswegs. Das Umgehen von Märkten erschwert allerdings, dass eine unternehmerische Lösung gefunden wird. Und es führt zu einem regulatorischen Fehlerpotential, das weitaus grösser ist als das Versagen eines einzelnen Unternehmers.