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Kein Leben ohne Herrn Blanc

Der 30jährige Schweizer Autor Roman Graf wartet mit einem erstaunlichen Debüt auf. «Herr Blanc» erzählt von einem ebenso rechtschaffenenen wie rechthaberischen Schweizer, der sich selbst so sehr in die Pflicht nimmt, dass er darin gefangen bleibt. Was auf den ersten Blick bekannt und abgegriffen wirkt, erhält hier neue Facetten. Es ist weniger das Thema denn […]

Der 30jährige Schweizer Autor Roman Graf wartet mit einem erstaunlichen Debüt auf. «Herr Blanc» erzählt von einem ebenso rechtschaffenenen wie rechthaberischen Schweizer, der sich selbst so sehr in die Pflicht nimmt, dass er darin gefangen bleibt. Was auf den ersten Blick bekannt und abgegriffen wirkt, erhält hier neue Facetten. Es ist weniger das Thema denn die Sprache selbst, die diese filigrane Prosa steuert.

In einem träge sich verquirlenden und verdichtenden Strom von Beobachtungen und Gedanken charakterisiert Roman Graf seinen Helden. Herr Blanc lebt ein unscheinbares Leben. Er verrichtet seine Arbeit bei den Städtischen Verkehrsbetrieben, zweimal wöchentlich isst er bei Muttern, er trinkt gerne Tee und studiert auf Vaters Wunsch in Cambridge, wo er Heike kennenlernt. Nach dem Tod der fürsorglichen Mutter ist er mit Vreni verheiratet. Heike aber bleibt sein Ideal, mit jedem Jahr weiter in die Ferne der Erinnerung entrückt. Er hält Heike insgeheim die Treue, weil sie, ausserhalb der Zeit, weder altert noch ärgerliche Gewohnheiten annimmt. Herr Blanc ist ein elender Sophist, der, zwischen Anpassung und Auflehnung schwankend und die Vergangenheit verklärend, jedes Detail akribisch und pedantisch hin und her wendet. Der Autor folgt ihm darin willig. Allerdings überlässt er seinem Helden keinen bequemen inneren Monolog, sondern hält sein Objekt der Beobachtung in distanzierter Er-Rede. Trotzdem bleibt dieses Buch gut und vergnüglich zu lesen. Roman Graf gelingt ein kleines Kunststück, indem er selbst die Oberhand über seinen Helden behält und damit sorgfältig dessen Denkfiguren abzirkelt. Dessen nörglerisches Gemüt verrät auch heitere Seiten, sein common sense wirkt beunruhigend normal, gelegentlich sogar souverän. Manchmal könnte man Herrn Blanc fast mögen.

Gerade deshalb erkennen wir in ihm auch uns selbst. Er spiegelt eine kleinbürgerliche Mentalität wieder, die Weltgeltung beansprucht. So hat es auf der ganzen Welt zu sein! Das Beunruhigende daran ist nur, dass Herr Blanc die Ansprüche, die er an andere stellt, für sich selbst nicht zwingend gelten lässt. Die Rechtschaffenheit verengt ihm den Blick, die Herzenssache wird zur Pflicht – und umgekehrt.

Im Titel erinnert Roman Grafs Roman an Paul Valérys «Monsieur Teste». 1925 schrieb Valéry: «Ich war von dem akuten Leiden Präzision befallen.» Auch wenn Roman Grafs Text anders funktioniert, verbindet ihn mit jenem die leidenschaftliche Präzision. «Herr Blanc» lässt ein gutbekanntes Sujet differenziert und gekonnt in neuem Licht erscheinen. Die Sprache zwingt die Titelfigur in einen erzählerischen Sog, der sie genauer darstellt als sie sich selbst kennt.

vorgestellt von Beat Mazenauer, Luzern

Roman Graf: «Herr Blanc». Zürich: Limmat, 2009

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