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Kein Grund zum Jammern

Die Finanzbranche wird totgeschrieben und bemitleidet sich selbst. Beides war nie unpassender.

Bis vor wenigen Jahren bemerkte man bei Spaziergängen durch Zürich die vielen wohlklingenden Namen traditionsreicher Bankinstitute auf Schritt und Tritt. Schön war das, irgendwie: ihre diskreten, schweren Türen, die völlige Absenz von Werbung – all das belebte die Phantasie. Welch weltgewandte Kundschaft hier wohl ein- und ausgehen mochte?

Wo früher Banken waren, verkauft man heute Uhren, Schmuck oder Mode. Ist das nun besser oder schlechter? Weder noch: eigentlich ist es total egal. Banken sind zwar in Krisenzeiten «system­relevant», sonst aber sind sie weitgehend austauschbar. Vergleichen Sie einmal die Liste der weltgrössten Banken von 1980 mit der von heute: Da blieb kein Stein auf dem anderen. Vor allem die Finanzkrise von 2008 war ein epochaler Schock für die Weltwirtschaft. Es war die gefährlichste Rezession der Nachkriegszeit: Banken wankten, der Interbankenmarkt war über Nacht versiegt. So etwas hatte es lange nicht gegeben. Die Öffentlichkeit war entsetzt. Regierungen ratloser, als sie zugaben. Undenkbares musste gedacht werden. Die Schweiz traf die Krise gleich doppelt. Erstens, weil der Finanzsektor hier mit über 12 Prozent Anteil an der nationalen Wirtschaftsleistung besonders wichtig ist. Die gesellschaftliche Belastung, die ein systemrelevanter Bankensturm ausgelöst hätte, wäre katastrophal gewesen. Zweitens, weil unvermittelt ein globaler, politisch-juristischer Wirbelsturm die Geschäftsmodelle der Schweizer Banken und Vermögensverwalter nachhaltig veränderte. 

Heute, zehn Jahre später, gibt es in der Schweiz siebzig Banken und fast sechzig Versicherungen weniger als vor zehn Jahren. Wie im Zeitraffer erlebte der Finanzplatz Schweiz in den letzten zehn Jahren eine Katharsis, die die Konsolidierung des globalen Bank­geschäftes der Nachkriegsgeschichte geradezu exemplarisch illus­triert. Doch allen Unkenrufen über seine bevorstehende Bedeutungslosigkeit zum Trotz präsentiert sich die Bankenbranche heute grösser, stärker und wahrscheinlich auch erfolgversprechender als zuvor. Woran zeigt, wie erklärt sich und was bedeutet diese scheinbar widersprüchliche Entwicklung? 

• Der Finanzplatz Schweiz beschäftigt heute mit über 213000 Beschäftigten etwa 7000 Menschen mehr als noch 2007. Dieses Beschäftigungswachstum ist auf die neuen Geschäftsmodelle (mit deutlich höheren Kosten, besonders im Bereich der Rechts- und Compliance-Abteilungen sowie in der Informatik) zurückzuführen. 

• Die in der Schweiz verwalteten Vermögen sind trotz substantieller Repatriierungen ausländischer Vermögen in den letzten zehn Jahren von 5600 Milliarden Franken auf aktuell circa 6700 Milliarden Franken gestiegen. Sie lesen richtig. 

• Heute verwaltet die Schweiz etwa 25 Prozent des weltweiten, grenzüberschreitenden Vermögens. Das ist nicht nur mehr denn je, sondern auch mehr als jedes andere Land. Das verlustabsorbierende Kapital von Schweizer Banken ist ebenfalls höher als je zuvor – obwohl die bilanziellen Risiken tiefer sind als noch vor zehn Jahren.

• Allerdings: die Wertschöpfung des Sektors ist in den letzten zehn Jahren von 73 Milliarden Franken auf heute etwa 60 Milliarden Franken gesunken. 

Diese Entwicklung hat drei häufig unterschätzte Konsequenzen:

1. Das heutige Bankgeschäft ist aufwendiger (= mehr Personal) und kompetitiver (= tiefere Margen) geworden. Das erklärt jenes «Bankensterben», das der aufmerksame Spaziergänger exemplarisch in Zürichs, Genfs oder Luganos Innenstädten bemerkt.

2. Die Qualität der Dienstleistung hat sich verbessert. Anlegerschutz, Beratungstransparenz, Risikoüberprüfung – das sind jene Geschäftsbereiche, die den Löwenanteil der personellen und der Technologieinvestitionen von Banken erhielten. Die Schweiz hat deshalb ihre weltweit führende Stellung in der Vermögensverwaltung nach 2008 nicht verloren, sondern – im Gegenteil – sogar ausgebaut.

3. Die Natur des Geschäftes ist nachhaltiger geworden. Nach der kathartischen Erfahrung des letzten Jahrzehntes dürfen der Finanzplatz Schweiz und die Öffentlichkeit zuversichtlicher in die Zukunft blicken als früher. 

Kurzum: das vermeintlich problematische Bankensterben der Schweiz brachte tatsächlich Produktivitätsgewinne, Serviceverbesserungen und sogar mehr Jobs. Die irritierende Diskreditierung sowie Selbstbemitleidung der Branche waren selten unpassender als heute. 


Burkhard Varnholt
ist Chief Investment Officer der Credit Suisse (Schweiz).

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Schalterhalle oder Schlachthof: «Der Eingang ist für alle gleich, und am Ende wird alles irgendwie verwurstet.» Bild: imago / Eibner.
Willkommen im Schlachthof!

Wer Kunden wie Mastvieh behandelt, hat irgendwann keine mehr – das gilt auch für das Private Banking in der Schweiz. Will sie nicht untergehen, muss die Branche ihre Tugenden wiederentdecken.

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